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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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jenes Bedingniß einer Politik im größern Stile, die wirkliche Vereinigung aller
Staatsfunctiouen in einer mächtigen Hand nicht in Aussicht steht, so würden wir
in Verlegenheit sein, anzugeben, worauf unsere Hoffnung für Preuße" und für
Deutschland beruhte, wenn uns nicht das Beispiel von 18-12 und -13 einen Fin¬
gerzeig gäbe.

Wir haben in einer der vorigen Nummern bemerkt, daß die gegenwärtige
Haltung der herrschenden Classe in Preußen, des Adels, uns von der Noth¬
wendigkeit durchgreifenderer Reformen des preußischen Staatslebens überzeugt
hat. Wir wollen das näher motiviren. Wir wollten damit keineswegs auf die
demokratische Chimäre eines Aufbaues des Staates von unten eingehen, wir
halten diese Idee noch ebenso für ein Wort ohne Sinn als 18i8. Das soge¬
nannte Volk, d. h. die Sammlung von Handwerkern, Tagelöhnern, Bauern,
kleinen Gewürzkrämern u. s. w. hat weder den Beruf, noch die Fähigkeit, einen
Staat zu bilden und zu erneuern; es kaun ihn uuter Umständen stürzen, aber
dann erfolgt nur zweierlei: entweder ist die Maschine so gut eingerichtet, daß sie
fortgeht, auch wenn der erste beste sich ihrer bemächtigt, wie 1848 und 1832 in
Frankreich, oder sie fällt auseinander und wird dem Zufall zur Beute. Die
Reform des Staats kann nnr von denen ausgehen, die auf der Hohe der Bildung
und der Macht stehen, die das Bewußtsein und die Einsicht in das Wesen des
Staates lebhafter in sich tragen, als die regierenden Kreise selbst. So war es
in dem Decennium von 1807--17, so wird es anch wieder der Fall sein, wenn
die Noth so groß sei" wird, daß alles, was überhaupt uoch Leben hat, sich zu
einer gesteigerten Lebensthätigkeit angeregt fühlt. Was aber bereits in jenen
Jahren stattfand, wird diesmal noch in höherem Grade der Fall sein. Sowie
der Freiherr v. Stein trotz seiner stolzen aristokratischen Gesinnung sich veranlaßt
sah, seineu Stand in engere Grenzen einzuengen, um dem erkrankten Staate
neue Lebenssäfte zuzuführen, so wird der Staatsmann der Zukunft diese bürger¬
lichen Reformen in einer ungleich größern Ausdehnung fortsetzen müssen. Denn
in dem Adel als einem Stande ist der Geist Friedrich des Großen, der Preußen
allein lebensfähig macht, nicht mehr vorhanden. Um einen wirklichen Adel der
Gesinnung hervorzurufen, wird man neues Blut in die Adern des Staates flößen
müssen, und wenn wir überhaupt auf eine Verjüngung rechnen wollen, so wird es
eine vollständige Wiedergeburt sein.

Der preußische Geist ist aus deu begünstigten Classen unserer Nation ge¬
wichen, er ist aber nicht gestorben. Er haftet nicht mehr blos an den geborenen
Preußen, er dehnt sich über ganz Deutschland aus, und auch dafür ist uns das
vorliegende Buch ein schlagender Und höchst erfreulicher Beweis. --


jenes Bedingniß einer Politik im größern Stile, die wirkliche Vereinigung aller
Staatsfunctiouen in einer mächtigen Hand nicht in Aussicht steht, so würden wir
in Verlegenheit sein, anzugeben, worauf unsere Hoffnung für Preuße» und für
Deutschland beruhte, wenn uns nicht das Beispiel von 18-12 und -13 einen Fin¬
gerzeig gäbe.

Wir haben in einer der vorigen Nummern bemerkt, daß die gegenwärtige
Haltung der herrschenden Classe in Preußen, des Adels, uns von der Noth¬
wendigkeit durchgreifenderer Reformen des preußischen Staatslebens überzeugt
hat. Wir wollen das näher motiviren. Wir wollten damit keineswegs auf die
demokratische Chimäre eines Aufbaues des Staates von unten eingehen, wir
halten diese Idee noch ebenso für ein Wort ohne Sinn als 18i8. Das soge¬
nannte Volk, d. h. die Sammlung von Handwerkern, Tagelöhnern, Bauern,
kleinen Gewürzkrämern u. s. w. hat weder den Beruf, noch die Fähigkeit, einen
Staat zu bilden und zu erneuern; es kaun ihn uuter Umständen stürzen, aber
dann erfolgt nur zweierlei: entweder ist die Maschine so gut eingerichtet, daß sie
fortgeht, auch wenn der erste beste sich ihrer bemächtigt, wie 1848 und 1832 in
Frankreich, oder sie fällt auseinander und wird dem Zufall zur Beute. Die
Reform des Staats kann nnr von denen ausgehen, die auf der Hohe der Bildung
und der Macht stehen, die das Bewußtsein und die Einsicht in das Wesen des
Staates lebhafter in sich tragen, als die regierenden Kreise selbst. So war es
in dem Decennium von 1807—17, so wird es anch wieder der Fall sein, wenn
die Noth so groß sei» wird, daß alles, was überhaupt uoch Leben hat, sich zu
einer gesteigerten Lebensthätigkeit angeregt fühlt. Was aber bereits in jenen
Jahren stattfand, wird diesmal noch in höherem Grade der Fall sein. Sowie
der Freiherr v. Stein trotz seiner stolzen aristokratischen Gesinnung sich veranlaßt
sah, seineu Stand in engere Grenzen einzuengen, um dem erkrankten Staate
neue Lebenssäfte zuzuführen, so wird der Staatsmann der Zukunft diese bürger¬
lichen Reformen in einer ungleich größern Ausdehnung fortsetzen müssen. Denn
in dem Adel als einem Stande ist der Geist Friedrich des Großen, der Preußen
allein lebensfähig macht, nicht mehr vorhanden. Um einen wirklichen Adel der
Gesinnung hervorzurufen, wird man neues Blut in die Adern des Staates flößen
müssen, und wenn wir überhaupt auf eine Verjüngung rechnen wollen, so wird es
eine vollständige Wiedergeburt sein.

Der preußische Geist ist aus deu begünstigten Classen unserer Nation ge¬
wichen, er ist aber nicht gestorben. Er haftet nicht mehr blos an den geborenen
Preußen, er dehnt sich über ganz Deutschland aus, und auch dafür ist uns das
vorliegende Buch ein schlagender Und höchst erfreulicher Beweis. —


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/173>, abgerufen am 25.08.2024.