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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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von den Lippen. Mit der Peroration wird er feierlicher und ernster; der Pe-
riodenbau wird schwungreicher, selbst ein wenig rhetorischer Zierrath findet sich
ein, die Stimme wird etwas gehobener und die Geberden lebhafter; aber bis zum
letzten Wort spürt man keine Aufregung und des Redners erste Sorge ist, stets
anspruchslos zu erscheinen, damit der Beifallsruf immer an der rechten Stelle er¬
klingt, und seine Sieden machen stets Eindruck.

Lord Palmerston hat eine der größten Reden, die man jemals im Parlament
gehört hat, gehalten; die über die griechische Frage im Jahre 1850; er hatte
einen ganzen Abend für sich; vom Abend des einen bis zum Grauen des andern
Tages hing das Haus an seinen Lippen. Er ist einer der besten Sprecher des
englischen Parlaments. Aber niemand spricht ein schmuckloseres Englisch oder
gebraucht einfachere Worte. Gedrungen, epigrammatisch, durchsichtig, klar, gründlich
eingeweiht in seinen Gegenstand, mit Manieren, die den Zuhörer gewinnen und
fortreißen, hat er von allen Rednern den größten Einfluß auf das Haus, und
zweimal in den letzten Jahren, bei der Berathung über die Milizbill, wo er das
Ministerium Russell stürzte, und bei der Freihandelsdebatte zu Aufang der jetzigen
Session, wo er dem.Ministerium Derby noch einige Wochen Lebensfrist verschaffte,
sah man, wie er die Stimmung des Hauses zu beherrschen versteht, aber vou dem,
was man schulgerechte Beredtsamkeit nennt, zeigen seine Reden keine Spur.

Lord John Russell fehlen die physischen Gaben, die ein Redner kaum ent¬
behren kann; er stockt nach jedem Worte mit einem ah und quetscht jeden Buch¬
staben ins Breite. Seine Diction ist höchst einfach und seine Manier frostig;
aber dabei fühlt mau, daß es ihm Ernst um die Sache ist und er hat genug
schöne Siege im Parlament erworben. Uebrigens hat er anch Augenblicke, wo
er sich über das Gewöhnliche erhebt, und wirklich schöne Stellen hören läßt; aber
selbst da verläßt ihn seine Kälte nicht und keine sichtbare Aufregung bringt es dazu,
den langsamen Fluß seiner Worte zu beschleunigen.

Gladstone besitzt eine außerordentliche Herrschaft über die Sprache und bringt
seine verwickelt, aber schön gebauten Perioden außerordentlich schnell, aber so
correct heraus, daß die stcuographische Nachschrift ohne Correctur gedruckt wer¬
den kann. In voriger Sitzung war seine fünf und eine halbe Stunde dauernde
Rede über das Budget, in der er die verwickeltsten finanziellen Fragen mit Klar¬
heit und in schönster Form behandelte, eine wahrhaft wunderbare Leistung. Aber
mit bloßen schönen Worten begnügt sich das Unterhaus nie; es sieht auf den
Inhalt und nicht auf die Form und bloße Schönredner finden vor seinen Augen
keine Gnade.

Die Hauptredner haben gesprochen und die weniger bedeutenden Mitglieder,
die jetzt aus dem Kampfplatz erscheinen, werden häufig durch den Ruf: zur Ab¬
stimmung! unterbrochen. Endlich hat sich der letzte Redner niedergesetzt und der
Sprecher befiehlt mit lautester Stimme vor der Abstimmung, daß sich die Fremden


Grenzboten. II. -1864. 2 ,

von den Lippen. Mit der Peroration wird er feierlicher und ernster; der Pe-
riodenbau wird schwungreicher, selbst ein wenig rhetorischer Zierrath findet sich
ein, die Stimme wird etwas gehobener und die Geberden lebhafter; aber bis zum
letzten Wort spürt man keine Aufregung und des Redners erste Sorge ist, stets
anspruchslos zu erscheinen, damit der Beifallsruf immer an der rechten Stelle er¬
klingt, und seine Sieden machen stets Eindruck.

Lord Palmerston hat eine der größten Reden, die man jemals im Parlament
gehört hat, gehalten; die über die griechische Frage im Jahre 1850; er hatte
einen ganzen Abend für sich; vom Abend des einen bis zum Grauen des andern
Tages hing das Haus an seinen Lippen. Er ist einer der besten Sprecher des
englischen Parlaments. Aber niemand spricht ein schmuckloseres Englisch oder
gebraucht einfachere Worte. Gedrungen, epigrammatisch, durchsichtig, klar, gründlich
eingeweiht in seinen Gegenstand, mit Manieren, die den Zuhörer gewinnen und
fortreißen, hat er von allen Rednern den größten Einfluß auf das Haus, und
zweimal in den letzten Jahren, bei der Berathung über die Milizbill, wo er das
Ministerium Russell stürzte, und bei der Freihandelsdebatte zu Aufang der jetzigen
Session, wo er dem.Ministerium Derby noch einige Wochen Lebensfrist verschaffte,
sah man, wie er die Stimmung des Hauses zu beherrschen versteht, aber vou dem,
was man schulgerechte Beredtsamkeit nennt, zeigen seine Reden keine Spur.

Lord John Russell fehlen die physischen Gaben, die ein Redner kaum ent¬
behren kann; er stockt nach jedem Worte mit einem ah und quetscht jeden Buch¬
staben ins Breite. Seine Diction ist höchst einfach und seine Manier frostig;
aber dabei fühlt mau, daß es ihm Ernst um die Sache ist und er hat genug
schöne Siege im Parlament erworben. Uebrigens hat er anch Augenblicke, wo
er sich über das Gewöhnliche erhebt, und wirklich schöne Stellen hören läßt; aber
selbst da verläßt ihn seine Kälte nicht und keine sichtbare Aufregung bringt es dazu,
den langsamen Fluß seiner Worte zu beschleunigen.

Gladstone besitzt eine außerordentliche Herrschaft über die Sprache und bringt
seine verwickelt, aber schön gebauten Perioden außerordentlich schnell, aber so
correct heraus, daß die stcuographische Nachschrift ohne Correctur gedruckt wer¬
den kann. In voriger Sitzung war seine fünf und eine halbe Stunde dauernde
Rede über das Budget, in der er die verwickeltsten finanziellen Fragen mit Klar¬
heit und in schönster Form behandelte, eine wahrhaft wunderbare Leistung. Aber
mit bloßen schönen Worten begnügt sich das Unterhaus nie; es sieht auf den
Inhalt und nicht auf die Form und bloße Schönredner finden vor seinen Augen
keine Gnade.

Die Hauptredner haben gesprochen und die weniger bedeutenden Mitglieder,
die jetzt aus dem Kampfplatz erscheinen, werden häufig durch den Ruf: zur Ab¬
stimmung! unterbrochen. Endlich hat sich der letzte Redner niedergesetzt und der
Sprecher befiehlt mit lautester Stimme vor der Abstimmung, daß sich die Fremden


Grenzboten. II. -1864. 2 ,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/16>, abgerufen am 23.07.2024.