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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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Seitdem läßt sich ein Rückschlag, der zunächst sich nicht eben sehr bemerklich
machte, dann deutlicher hervortrat, sowol in Hinsicht auf Oestreich als ans Preu¬
ßen verspüren. Der Gegenwart ist es selten geboten, einen tieferen Einblick in
ihre eigne Geschichte zu thun. Am meisten aber entziehen sich diplomatische Ac-
tivnen der allgemeinen Kenntniß. Erst in einer späteren Epoche wird man da¬
her die Gründe zu würdigen vermögen, die in den letztvergangenen Jahren die
so merkliche Erkaltung der politischen Beziehungen zwischen dem Zarenhvse und
den Cabineteu vou Berlin und Wien herbeigeführt haben.

Die im März 1853 begonnene Unterhandlung des Fürsten Menschikoss mit
der Pforte, über deren Zwecke sich jetzt niemand mehr täuschen kann, war allem
Vermuthen nach ein in .mehrfacher Hinsicht vom russischen Zaren schlecht über¬
legter Schritt. Abgesehen davon, daß auf die thatsächlich bestehenden Verhältnisse
im europäischen Westen dabei wenig gerückstchtigt worden war, unterfing sich Ru߬
land, zu einer entscheidungsvollen Unternehmung in einem Augenblicke vorzugehen,
wo seine Beziehungen zu den beiden deutschen Großmächten in der Erkaltung be¬
griffen waren. Wenn irgend etwas, so kennzeichnet dieses seinen politischen Ueber¬
muth; und wahrlich es scheint wenig daran gefehlt zu haben, daß derselbe trium-
phirte; ja was Oestreich anlangt, so schien .bis vor kurzem in dieser Hinsicht noch
nicht jede etwa drohende Gefahr beschworen zu sein, wenn es auch an und für
sich schon als ein großer Gewinn zu erachten war, daß der Ausgang Januars
gemachte Versuch Rußlands, diese deutsche Großmacht für sein Interesse zu ge¬
winnen, scheiterte.

Mit weniger Sorge als auf den deutschen Südosten durfte man von jeher
aus Preußen schauen. Es ist wahr, die Politik dieses Reiches hat der Momente
viele gehabt, in denen sie abgeirrt ist, und was die Consequenz anlangt, so ward
sie darin von Oestreich in -mancher Hjnstcht übertroffen; anch mag es Be¬
fürchtungen erregen, daß eine "kleine aber einflußreiche Partei" in Preußen dem
Zarenthnm das Wort redet. Dagegen aber sind Widerwille und Grimm im
deutschen Volke nirgends anderswo so entschieden gegen Nußland gewendet, wie
in Preußen. Diese nationale Antipathie ist so groß, und sie kann möglicherweise
ein so bedeutendes, bestimmendes Motiv bei den Eventualitäten der Zukunft
werden, daß mau nicht annehmen darf, die preußische Regierung dürfe und werde
sich der Beachtung derselben entziehen.

Sodann ist Preußen mehr, als dies von Oestreich gesagt werden kann, mit
den westlichen Interessen verbunden. Jedermann weiß, daß seine Herrschaft am
Rhein eine größere Bedeutung in Anspruch nimmt, als einfach aus der Größe
des dort vou ihm besessenen Gebiets gefolgert werden kann.. Diese wichtige Po¬
sition, welche hente den Kern Westdeutschlands ausmacht, ist indeß, wie nicht
minder bekannt, eine keineswegs unbestrittene. Sie würde es insbesondere dann
nicht sein, wenn Preußen sich in deu Schlingen russischer Politik fangen ließe,


Seitdem läßt sich ein Rückschlag, der zunächst sich nicht eben sehr bemerklich
machte, dann deutlicher hervortrat, sowol in Hinsicht auf Oestreich als ans Preu¬
ßen verspüren. Der Gegenwart ist es selten geboten, einen tieferen Einblick in
ihre eigne Geschichte zu thun. Am meisten aber entziehen sich diplomatische Ac-
tivnen der allgemeinen Kenntniß. Erst in einer späteren Epoche wird man da¬
her die Gründe zu würdigen vermögen, die in den letztvergangenen Jahren die
so merkliche Erkaltung der politischen Beziehungen zwischen dem Zarenhvse und
den Cabineteu vou Berlin und Wien herbeigeführt haben.

Die im März 1853 begonnene Unterhandlung des Fürsten Menschikoss mit
der Pforte, über deren Zwecke sich jetzt niemand mehr täuschen kann, war allem
Vermuthen nach ein in .mehrfacher Hinsicht vom russischen Zaren schlecht über¬
legter Schritt. Abgesehen davon, daß auf die thatsächlich bestehenden Verhältnisse
im europäischen Westen dabei wenig gerückstchtigt worden war, unterfing sich Ru߬
land, zu einer entscheidungsvollen Unternehmung in einem Augenblicke vorzugehen,
wo seine Beziehungen zu den beiden deutschen Großmächten in der Erkaltung be¬
griffen waren. Wenn irgend etwas, so kennzeichnet dieses seinen politischen Ueber¬
muth; und wahrlich es scheint wenig daran gefehlt zu haben, daß derselbe trium-
phirte; ja was Oestreich anlangt, so schien .bis vor kurzem in dieser Hinsicht noch
nicht jede etwa drohende Gefahr beschworen zu sein, wenn es auch an und für
sich schon als ein großer Gewinn zu erachten war, daß der Ausgang Januars
gemachte Versuch Rußlands, diese deutsche Großmacht für sein Interesse zu ge¬
winnen, scheiterte.

Mit weniger Sorge als auf den deutschen Südosten durfte man von jeher
aus Preußen schauen. Es ist wahr, die Politik dieses Reiches hat der Momente
viele gehabt, in denen sie abgeirrt ist, und was die Consequenz anlangt, so ward
sie darin von Oestreich in -mancher Hjnstcht übertroffen; anch mag es Be¬
fürchtungen erregen, daß eine „kleine aber einflußreiche Partei" in Preußen dem
Zarenthnm das Wort redet. Dagegen aber sind Widerwille und Grimm im
deutschen Volke nirgends anderswo so entschieden gegen Nußland gewendet, wie
in Preußen. Diese nationale Antipathie ist so groß, und sie kann möglicherweise
ein so bedeutendes, bestimmendes Motiv bei den Eventualitäten der Zukunft
werden, daß mau nicht annehmen darf, die preußische Regierung dürfe und werde
sich der Beachtung derselben entziehen.

Sodann ist Preußen mehr, als dies von Oestreich gesagt werden kann, mit
den westlichen Interessen verbunden. Jedermann weiß, daß seine Herrschaft am
Rhein eine größere Bedeutung in Anspruch nimmt, als einfach aus der Größe
des dort vou ihm besessenen Gebiets gefolgert werden kann.. Diese wichtige Po¬
sition, welche hente den Kern Westdeutschlands ausmacht, ist indeß, wie nicht
minder bekannt, eine keineswegs unbestrittene. Sie würde es insbesondere dann
nicht sein, wenn Preußen sich in deu Schlingen russischer Politik fangen ließe,


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[0142] Seitdem läßt sich ein Rückschlag, der zunächst sich nicht eben sehr bemerklich machte, dann deutlicher hervortrat, sowol in Hinsicht auf Oestreich als ans Preu¬ ßen verspüren. Der Gegenwart ist es selten geboten, einen tieferen Einblick in ihre eigne Geschichte zu thun. Am meisten aber entziehen sich diplomatische Ac- tivnen der allgemeinen Kenntniß. Erst in einer späteren Epoche wird man da¬ her die Gründe zu würdigen vermögen, die in den letztvergangenen Jahren die so merkliche Erkaltung der politischen Beziehungen zwischen dem Zarenhvse und den Cabineteu vou Berlin und Wien herbeigeführt haben. Die im März 1853 begonnene Unterhandlung des Fürsten Menschikoss mit der Pforte, über deren Zwecke sich jetzt niemand mehr täuschen kann, war allem Vermuthen nach ein in .mehrfacher Hinsicht vom russischen Zaren schlecht über¬ legter Schritt. Abgesehen davon, daß auf die thatsächlich bestehenden Verhältnisse im europäischen Westen dabei wenig gerückstchtigt worden war, unterfing sich Ru߬ land, zu einer entscheidungsvollen Unternehmung in einem Augenblicke vorzugehen, wo seine Beziehungen zu den beiden deutschen Großmächten in der Erkaltung be¬ griffen waren. Wenn irgend etwas, so kennzeichnet dieses seinen politischen Ueber¬ muth; und wahrlich es scheint wenig daran gefehlt zu haben, daß derselbe trium- phirte; ja was Oestreich anlangt, so schien .bis vor kurzem in dieser Hinsicht noch nicht jede etwa drohende Gefahr beschworen zu sein, wenn es auch an und für sich schon als ein großer Gewinn zu erachten war, daß der Ausgang Januars gemachte Versuch Rußlands, diese deutsche Großmacht für sein Interesse zu ge¬ winnen, scheiterte. Mit weniger Sorge als auf den deutschen Südosten durfte man von jeher aus Preußen schauen. Es ist wahr, die Politik dieses Reiches hat der Momente viele gehabt, in denen sie abgeirrt ist, und was die Consequenz anlangt, so ward sie darin von Oestreich in -mancher Hjnstcht übertroffen; anch mag es Be¬ fürchtungen erregen, daß eine „kleine aber einflußreiche Partei" in Preußen dem Zarenthnm das Wort redet. Dagegen aber sind Widerwille und Grimm im deutschen Volke nirgends anderswo so entschieden gegen Nußland gewendet, wie in Preußen. Diese nationale Antipathie ist so groß, und sie kann möglicherweise ein so bedeutendes, bestimmendes Motiv bei den Eventualitäten der Zukunft werden, daß mau nicht annehmen darf, die preußische Regierung dürfe und werde sich der Beachtung derselben entziehen. Sodann ist Preußen mehr, als dies von Oestreich gesagt werden kann, mit den westlichen Interessen verbunden. Jedermann weiß, daß seine Herrschaft am Rhein eine größere Bedeutung in Anspruch nimmt, als einfach aus der Größe des dort vou ihm besessenen Gebiets gefolgert werden kann.. Diese wichtige Po¬ sition, welche hente den Kern Westdeutschlands ausmacht, ist indeß, wie nicht minder bekannt, eine keineswegs unbestrittene. Sie würde es insbesondere dann nicht sein, wenn Preußen sich in deu Schlingen russischer Politik fangen ließe,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/141>, abgerufen am 23.07.2024.