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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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Mitgliedern als zu dem großen Publicum außerhalb des.Hauses spricht, denn
sehr oft hält er seine Reden zwischen sechs und sieben Uhr, wo alle Welt zu
Tische geht. Milner Gibson, sein Nebenmann, sieht für einen Radicalen sehr
stutzerhaft ans. Auch Sir Benjamin Hall, der beständig mit sanftester Stimme
die Mißbräuche der Kirche und das üppige Leben der Bischöfe rügt, erscheint nie
anders als im schwarzen Frack, weißer Weste und weißem Halstuch, als käme er
von einem Galadiner. In dieser Abtheilung des Hauses sitzen anch die irländi¬
schen Mitglieder, welche das Ministerium unterstützen, unter ihnen Vincent Scully,
der einmal, um eine lästige Debatte über Maynooth loszuwerden, in einem Zuge
von halb ein Uhr bis sechs Uhr sprach, wo das Haus, da Mittwoch war, vertagt
werden mußte. Hier sehen wir auch Müntz von Birmingham, bis vor kurzem
vielleicht der einzige in England, der einen vollen .Kinnbart zu tragen wagte.
Hier finden auch die Mitglieder Hren Platz, die nicht in den großen Debatten
glänzen, aber unschätzbar als unermüdliche Arbeiter in den Comite's sind, wo die
zu erlassenden Gesetze in ihren Details berathen werden. Auf der ersten Bank
der OppositiouSseite, ungefähr in der Mitte, sitzt der Exschatzkanzler Disraeli.
Er kann seine orientalische Abkunft nicht verleugnen, obgleich er nicht das Juden-
jmigenaussehn hat, das ihm die Caricaturen geben, souderu ein geistreiches und
zugleich vornehmes Gesicht. Er ist von Mittelgröße, fast hager, hat eine hohe,
runde, glatte Stirn, schwarze Augenbrauen, lebhafte, dunkelbraune Augen, einen
festgeschlossenen Mund, ein spitzes Kinn und schwarzes, gelocktes Haar, von dem
eine Locke anscheinend kunstlos über die Stirn herabfallen soll, aber etwas zu
regelrecht dort hängt. Auch der Anzug ist berechnet einfach, aber' die Kunst ist
nicht künstlich genug versteckt. Er sitzt zusammengesunken mit vorgebeugtem
Haupte und aus den Boden gehefteten oder ins Leere schauenden Blick allem
Anschein nach ganz theilnahmlos da, bis der rechte Augenblick kommt. Da ver¬
wandelt sich die kalte Gleichgiltigkeit in Lebendigkeit und Kraft und -er weiß mit
dem sprühenden Feuerwerk seines Witzes und seinen schonungsloser Sarkasmen
das Haus eine ganze Nacht hindurch in Spannung zu erhalten. Zu beiden Seiten
Disraelis sitzen die Mitglieder von Lord Derbys Ministerium: Sir John Pakington,
von dem der verstorbene Herzog von Wellington, als er seine Ernennung zum
Colonialminister vernahm,- verwundert sagte: "von dem Mann habe ich noch nie
gehört." Der ehemalige Minister des Innern Walpole, ein sehr verblaßter
Schatten im Aeußern, in den Manieren und in der Stimme von dem verstorbenen
Sir Robert Peel, Lord Stanley, der Erbe des Grasen Derby und sein Ebenbild,
zwar ohne die physische Kraft und das Feuer seines Vaters, aber als Staats¬
mann zu Hoffnungen berechtigend; der ehemalige Admiralitätssecretär, Stafford
und andere weniger bekannte Mitglieder der protectionistischen Partei. Hier sitzt
anch Sir Edward Bulwer Lytton, ehemals ein Whig und fast ein Radicaler,
jetzt Protectivnist und Tory und größer als Schriftsteller denn als Politiker.


Mitgliedern als zu dem großen Publicum außerhalb des.Hauses spricht, denn
sehr oft hält er seine Reden zwischen sechs und sieben Uhr, wo alle Welt zu
Tische geht. Milner Gibson, sein Nebenmann, sieht für einen Radicalen sehr
stutzerhaft ans. Auch Sir Benjamin Hall, der beständig mit sanftester Stimme
die Mißbräuche der Kirche und das üppige Leben der Bischöfe rügt, erscheint nie
anders als im schwarzen Frack, weißer Weste und weißem Halstuch, als käme er
von einem Galadiner. In dieser Abtheilung des Hauses sitzen anch die irländi¬
schen Mitglieder, welche das Ministerium unterstützen, unter ihnen Vincent Scully,
der einmal, um eine lästige Debatte über Maynooth loszuwerden, in einem Zuge
von halb ein Uhr bis sechs Uhr sprach, wo das Haus, da Mittwoch war, vertagt
werden mußte. Hier sehen wir auch Müntz von Birmingham, bis vor kurzem
vielleicht der einzige in England, der einen vollen .Kinnbart zu tragen wagte.
Hier finden auch die Mitglieder Hren Platz, die nicht in den großen Debatten
glänzen, aber unschätzbar als unermüdliche Arbeiter in den Comite's sind, wo die
zu erlassenden Gesetze in ihren Details berathen werden. Auf der ersten Bank
der OppositiouSseite, ungefähr in der Mitte, sitzt der Exschatzkanzler Disraeli.
Er kann seine orientalische Abkunft nicht verleugnen, obgleich er nicht das Juden-
jmigenaussehn hat, das ihm die Caricaturen geben, souderu ein geistreiches und
zugleich vornehmes Gesicht. Er ist von Mittelgröße, fast hager, hat eine hohe,
runde, glatte Stirn, schwarze Augenbrauen, lebhafte, dunkelbraune Augen, einen
festgeschlossenen Mund, ein spitzes Kinn und schwarzes, gelocktes Haar, von dem
eine Locke anscheinend kunstlos über die Stirn herabfallen soll, aber etwas zu
regelrecht dort hängt. Auch der Anzug ist berechnet einfach, aber' die Kunst ist
nicht künstlich genug versteckt. Er sitzt zusammengesunken mit vorgebeugtem
Haupte und aus den Boden gehefteten oder ins Leere schauenden Blick allem
Anschein nach ganz theilnahmlos da, bis der rechte Augenblick kommt. Da ver¬
wandelt sich die kalte Gleichgiltigkeit in Lebendigkeit und Kraft und -er weiß mit
dem sprühenden Feuerwerk seines Witzes und seinen schonungsloser Sarkasmen
das Haus eine ganze Nacht hindurch in Spannung zu erhalten. Zu beiden Seiten
Disraelis sitzen die Mitglieder von Lord Derbys Ministerium: Sir John Pakington,
von dem der verstorbene Herzog von Wellington, als er seine Ernennung zum
Colonialminister vernahm,- verwundert sagte: „von dem Mann habe ich noch nie
gehört." Der ehemalige Minister des Innern Walpole, ein sehr verblaßter
Schatten im Aeußern, in den Manieren und in der Stimme von dem verstorbenen
Sir Robert Peel, Lord Stanley, der Erbe des Grasen Derby und sein Ebenbild,
zwar ohne die physische Kraft und das Feuer seines Vaters, aber als Staats¬
mann zu Hoffnungen berechtigend; der ehemalige Admiralitätssecretär, Stafford
und andere weniger bekannte Mitglieder der protectionistischen Partei. Hier sitzt
anch Sir Edward Bulwer Lytton, ehemals ein Whig und fast ein Radicaler,
jetzt Protectivnist und Tory und größer als Schriftsteller denn als Politiker.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/12>, abgerufen am 23.07.2024.