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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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dem Beutel des Volkes zahlen sollen, keine Bürgschaft, die sie ihren Committenten
gegenüber rechtfertigen könnte. Man weiß, daß die Mehrzahl des Ministeriums
der entgegengesetzten Ansicht ist, man weiß, daß Herr v. Bonin in jedem Augen¬
blick von seinem Posten entfernt werden kann, man weiß aber auch, daß selbst
ohne diese Eventualität die theoretische Ueberzeugung eines Ministers, der zugleich
General ist, noch nicht unbedingt maßgebend für die Handlungsweise der Regierung
ist. Hatte doch kurz vorher eine sehr hochstehende Person, von der man annimmt,
daß sie die Ansichten des Herrn v. Bonin im allgemeinen theilt, in einer öffent¬
lichen Erklärung deu Willen ausgesprochen, auch gegen ihre Ueberzeugung der
Soldatenpflicht zu folgen. Nicht der Inhalt dieser Erklärung, sondern daß sie
überhaupt abgegeben wurde, mußte die allgemeine Aufmerksamkeit erregen, mußte
vor allen Dingen die Kammern davor warnen, die theoretischen Ansichten eines
Generals als maßgebend für seine Handlungsweise aufzufassen.

Noch viel weniger befriedigend war die Haltung des Ministerpräsidenten.
Er hat zwar seinen guten Willen im allgemeinen versichert, eine Versicherung,
die nicht zum ersten Mal abgelegt worden ist, aber er hat weder deutlich ausge¬
sprochen, daß seine Auffassung mit der der Kammern Hand in Hand geht, noch
auch nur, daß er die Situation vollkommen beherrscht. Wenn der Präsident des
Ministeriums zugeben mußte, von sehr wichtigen, vielleicht von entscheidenden
Unterhandlungen keine Kenntniß zu haben, so konnte er, selbst seinen guten Willen
vorausgesetzt, den Kammern keine Bürgschaft geben, die sie ihren Committenten
gegenüber gerechtfertigt hätte.

Unter diesen Umständen war der einzige correcte Ausdruck der Opposition
die Verweigerung der Anleihe, in jener Form, die Vincke vorgeschlagen hatte,
nämlich nur die vorläufige Verweigerung, bis genauere Aufschlüsse über die Ab¬
sichten der Regierung gegeben wären, verbunden mit dem Versprechen, in diesem
Fall zu jedem Opfer freudig bereit zu sein.

Von der Pflicht, in diesem Sinn ihre Stimme abzugeben, konnte sich die
Opposition nur unter einer Bedingung für frei halten, wenn sie nämlich mit Be¬
stimmtheit voraussah, daß ihr Antrag durchfallen, daß dagegen eine modificirte
Genehmigung der Anleihe, nämlich eine Bewilligung unter bestimmten Bedingungen,
eine sehr große und imposante Majorität erhalten würde. staatsrechtlich war
zwar eine solche Modification vollkommen null und nichtig, denn ausgesprochene
"Erwägungen" siud kein rechtliches Hinderniß für die Verwendung einer be¬
willigten Geldsumme; aber es wäre allerdings eine wichtige Thatsache gewesen,
wenn in dieser durchaus aus conservativen Elementen zusammengesetzten Kammer
eine sehr starke Majorität ihre politische Ueberzeugung auch nur in der Weise,
wie es der Commissionsantrag formulirte, ausgesprochen hätte.

Allein nnr die gewisse Voraussetzung einer sehr starken Majorität konnte
eine solche Abschwächung der wirklichen Ueberzeugung rechtfertigen. Wurde der


dem Beutel des Volkes zahlen sollen, keine Bürgschaft, die sie ihren Committenten
gegenüber rechtfertigen könnte. Man weiß, daß die Mehrzahl des Ministeriums
der entgegengesetzten Ansicht ist, man weiß, daß Herr v. Bonin in jedem Augen¬
blick von seinem Posten entfernt werden kann, man weiß aber auch, daß selbst
ohne diese Eventualität die theoretische Ueberzeugung eines Ministers, der zugleich
General ist, noch nicht unbedingt maßgebend für die Handlungsweise der Regierung
ist. Hatte doch kurz vorher eine sehr hochstehende Person, von der man annimmt,
daß sie die Ansichten des Herrn v. Bonin im allgemeinen theilt, in einer öffent¬
lichen Erklärung deu Willen ausgesprochen, auch gegen ihre Ueberzeugung der
Soldatenpflicht zu folgen. Nicht der Inhalt dieser Erklärung, sondern daß sie
überhaupt abgegeben wurde, mußte die allgemeine Aufmerksamkeit erregen, mußte
vor allen Dingen die Kammern davor warnen, die theoretischen Ansichten eines
Generals als maßgebend für seine Handlungsweise aufzufassen.

Noch viel weniger befriedigend war die Haltung des Ministerpräsidenten.
Er hat zwar seinen guten Willen im allgemeinen versichert, eine Versicherung,
die nicht zum ersten Mal abgelegt worden ist, aber er hat weder deutlich ausge¬
sprochen, daß seine Auffassung mit der der Kammern Hand in Hand geht, noch
auch nur, daß er die Situation vollkommen beherrscht. Wenn der Präsident des
Ministeriums zugeben mußte, von sehr wichtigen, vielleicht von entscheidenden
Unterhandlungen keine Kenntniß zu haben, so konnte er, selbst seinen guten Willen
vorausgesetzt, den Kammern keine Bürgschaft geben, die sie ihren Committenten
gegenüber gerechtfertigt hätte.

Unter diesen Umständen war der einzige correcte Ausdruck der Opposition
die Verweigerung der Anleihe, in jener Form, die Vincke vorgeschlagen hatte,
nämlich nur die vorläufige Verweigerung, bis genauere Aufschlüsse über die Ab¬
sichten der Regierung gegeben wären, verbunden mit dem Versprechen, in diesem
Fall zu jedem Opfer freudig bereit zu sein.

Von der Pflicht, in diesem Sinn ihre Stimme abzugeben, konnte sich die
Opposition nur unter einer Bedingung für frei halten, wenn sie nämlich mit Be¬
stimmtheit voraussah, daß ihr Antrag durchfallen, daß dagegen eine modificirte
Genehmigung der Anleihe, nämlich eine Bewilligung unter bestimmten Bedingungen,
eine sehr große und imposante Majorität erhalten würde. staatsrechtlich war
zwar eine solche Modification vollkommen null und nichtig, denn ausgesprochene
„Erwägungen" siud kein rechtliches Hinderniß für die Verwendung einer be¬
willigten Geldsumme; aber es wäre allerdings eine wichtige Thatsache gewesen,
wenn in dieser durchaus aus conservativen Elementen zusammengesetzten Kammer
eine sehr starke Majorität ihre politische Ueberzeugung auch nur in der Weise,
wie es der Commissionsantrag formulirte, ausgesprochen hätte.

Allein nnr die gewisse Voraussetzung einer sehr starken Majorität konnte
eine solche Abschwächung der wirklichen Ueberzeugung rechtfertigen. Wurde der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/119>, abgerufen am 23.07.2024.