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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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ständigster Consequenz zu ihren Erklärungen, die sie angesichts Europas abge¬
geben, nämlich, daß bei ihrem energischen Auftreten im Orient, die Erhaltung der
Integrität des osmanischen Reiches alleiniger Zweck für sie sei. Damit fallen
alle jene gehässigen Behauptungen zusammen, wornach Gewinnsucht und blinde
Erobcrungsgier, überhaupt eine arglistige Staatskunst, Frankreich sowol wie
Großbritannien zum Krieg gegen Rußland führten.

In den Straßen von Pera begegnet man noch immer vielen Offizieren beider
Flotten. Es sind eben jetzt die letzten, vielleicht knapp gemessenen Tage vor dem
Auslaufen in den Euxiu, die jeder Mum an Bord, so weit es angeht, sich noch
zunutzemacheu will. Thatsache ist es, daß sämmtliche Fahrzeuge Befehl em¬
pfangen haben, ihre Wasservorrärhe complet zu halten und sich segelfertig zu
machen. Man hatte dieses mit dem neulich in ,Umlauf gewesenen und gewiß
bereits zu Ihnen hingelangten Gerücht in Verbindung gebracht, wornach fünfzehn
russische Linienschiffe aus Sebastopol ausgelaufen und vor Odessa vor Anker ge¬
gangen seien, um dort Truppen für Nabud-Kate an Bord zu nehmen. Dieses
Gerücht mag begründet sein, es ist aber nichsdestowenigcr möglich, ja wahrscheinlich,
daß die Umstände, wie sie nun einmal dem Kriege entgegengeschritten sind, ganz
im allgemeinen die Maßregel veranlaßt habe".

Seil mehren Wochen ist hier eine Kurdin (aus Kurdistan) Löwin des Tages.
Sie ist Anführerin einer Neiterschar, bereits bejahrt, kriegserfahren und hat
Antheil an den Kämpfen zwischen dem verstorbenen Vicekönig von Aegypten, Me-
hemed Ali Pascha, und der Pforte gehabt. Vor acht Tagen wurde sie dem
Padischah vorgestellt, der denn doch bei dem Anblick der Amazone ein Lächeln
nicht soll unterdrücken haben können.

Sie haben ausdrücklich den Wunsch ausgesprochen, ich möchte von den Vor¬
kommnissen an der Donau in meinen Berichten seltener Act nehmen, weil dieselben
Ihnen von dort her viel früher mitgetheilt würden. Deßungeachtet kann ich in
Betreff der Vorfälle in den ersten Tagen des März, gegenüber von Silistria,
einige Notizen, die mir erst vorgestern zugingen, nicht unterdrücken. Nachdem
die Türken den Rückzug zu ihren Barken glücklich ausgeführt und das rechte
Douauufer wieder erreicht hatte", marschirten die Russen, in Colonne und im
langsamen Schritt, am linken Ufer, der Festung gegenüber, entlang. Der Strom
ist hier 1020 Schritt breit. Indeß versuchte der Commandant von Silistria, der
wohlbeleibte Mussa (Moses) Pascha, die Colonne mit seinem Wallgeschütz, und
zwar weil für Vollkugelu die Wahrscheinlichkeit des Treffens gering war, mit
Kartätschen zu erreiche", was, wider alles Erwarten, gute Resultate hatte. Mau
sah mit dem Fernrohr bei jedem Schuß fünf bis zehn Mann stürzen, was jedoch
die Russen in der ruhigen Cadence ihres Paradeschritts nicht im mindesten störte.
Auch die Türken benahmen sich kaltblütig und zwei Compagnie" Pioniere setzten,
während die Russe" vom jenseitigen Ufer aus die Festung beschossen, auf den


ständigster Consequenz zu ihren Erklärungen, die sie angesichts Europas abge¬
geben, nämlich, daß bei ihrem energischen Auftreten im Orient, die Erhaltung der
Integrität des osmanischen Reiches alleiniger Zweck für sie sei. Damit fallen
alle jene gehässigen Behauptungen zusammen, wornach Gewinnsucht und blinde
Erobcrungsgier, überhaupt eine arglistige Staatskunst, Frankreich sowol wie
Großbritannien zum Krieg gegen Rußland führten.

In den Straßen von Pera begegnet man noch immer vielen Offizieren beider
Flotten. Es sind eben jetzt die letzten, vielleicht knapp gemessenen Tage vor dem
Auslaufen in den Euxiu, die jeder Mum an Bord, so weit es angeht, sich noch
zunutzemacheu will. Thatsache ist es, daß sämmtliche Fahrzeuge Befehl em¬
pfangen haben, ihre Wasservorrärhe complet zu halten und sich segelfertig zu
machen. Man hatte dieses mit dem neulich in ,Umlauf gewesenen und gewiß
bereits zu Ihnen hingelangten Gerücht in Verbindung gebracht, wornach fünfzehn
russische Linienschiffe aus Sebastopol ausgelaufen und vor Odessa vor Anker ge¬
gangen seien, um dort Truppen für Nabud-Kate an Bord zu nehmen. Dieses
Gerücht mag begründet sein, es ist aber nichsdestowenigcr möglich, ja wahrscheinlich,
daß die Umstände, wie sie nun einmal dem Kriege entgegengeschritten sind, ganz
im allgemeinen die Maßregel veranlaßt habe».

Seil mehren Wochen ist hier eine Kurdin (aus Kurdistan) Löwin des Tages.
Sie ist Anführerin einer Neiterschar, bereits bejahrt, kriegserfahren und hat
Antheil an den Kämpfen zwischen dem verstorbenen Vicekönig von Aegypten, Me-
hemed Ali Pascha, und der Pforte gehabt. Vor acht Tagen wurde sie dem
Padischah vorgestellt, der denn doch bei dem Anblick der Amazone ein Lächeln
nicht soll unterdrücken haben können.

Sie haben ausdrücklich den Wunsch ausgesprochen, ich möchte von den Vor¬
kommnissen an der Donau in meinen Berichten seltener Act nehmen, weil dieselben
Ihnen von dort her viel früher mitgetheilt würden. Deßungeachtet kann ich in
Betreff der Vorfälle in den ersten Tagen des März, gegenüber von Silistria,
einige Notizen, die mir erst vorgestern zugingen, nicht unterdrücken. Nachdem
die Türken den Rückzug zu ihren Barken glücklich ausgeführt und das rechte
Douauufer wieder erreicht hatte», marschirten die Russen, in Colonne und im
langsamen Schritt, am linken Ufer, der Festung gegenüber, entlang. Der Strom
ist hier 1020 Schritt breit. Indeß versuchte der Commandant von Silistria, der
wohlbeleibte Mussa (Moses) Pascha, die Colonne mit seinem Wallgeschütz, und
zwar weil für Vollkugelu die Wahrscheinlichkeit des Treffens gering war, mit
Kartätschen zu erreiche», was, wider alles Erwarten, gute Resultate hatte. Mau
sah mit dem Fernrohr bei jedem Schuß fünf bis zehn Mann stürzen, was jedoch
die Russen in der ruhigen Cadence ihres Paradeschritts nicht im mindesten störte.
Auch die Türken benahmen sich kaltblütig und zwei Compagnie» Pioniere setzten,
während die Russe» vom jenseitigen Ufer aus die Festung beschossen, auf den


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[0114] ständigster Consequenz zu ihren Erklärungen, die sie angesichts Europas abge¬ geben, nämlich, daß bei ihrem energischen Auftreten im Orient, die Erhaltung der Integrität des osmanischen Reiches alleiniger Zweck für sie sei. Damit fallen alle jene gehässigen Behauptungen zusammen, wornach Gewinnsucht und blinde Erobcrungsgier, überhaupt eine arglistige Staatskunst, Frankreich sowol wie Großbritannien zum Krieg gegen Rußland führten. In den Straßen von Pera begegnet man noch immer vielen Offizieren beider Flotten. Es sind eben jetzt die letzten, vielleicht knapp gemessenen Tage vor dem Auslaufen in den Euxiu, die jeder Mum an Bord, so weit es angeht, sich noch zunutzemacheu will. Thatsache ist es, daß sämmtliche Fahrzeuge Befehl em¬ pfangen haben, ihre Wasservorrärhe complet zu halten und sich segelfertig zu machen. Man hatte dieses mit dem neulich in ,Umlauf gewesenen und gewiß bereits zu Ihnen hingelangten Gerücht in Verbindung gebracht, wornach fünfzehn russische Linienschiffe aus Sebastopol ausgelaufen und vor Odessa vor Anker ge¬ gangen seien, um dort Truppen für Nabud-Kate an Bord zu nehmen. Dieses Gerücht mag begründet sein, es ist aber nichsdestowenigcr möglich, ja wahrscheinlich, daß die Umstände, wie sie nun einmal dem Kriege entgegengeschritten sind, ganz im allgemeinen die Maßregel veranlaßt habe». Seil mehren Wochen ist hier eine Kurdin (aus Kurdistan) Löwin des Tages. Sie ist Anführerin einer Neiterschar, bereits bejahrt, kriegserfahren und hat Antheil an den Kämpfen zwischen dem verstorbenen Vicekönig von Aegypten, Me- hemed Ali Pascha, und der Pforte gehabt. Vor acht Tagen wurde sie dem Padischah vorgestellt, der denn doch bei dem Anblick der Amazone ein Lächeln nicht soll unterdrücken haben können. Sie haben ausdrücklich den Wunsch ausgesprochen, ich möchte von den Vor¬ kommnissen an der Donau in meinen Berichten seltener Act nehmen, weil dieselben Ihnen von dort her viel früher mitgetheilt würden. Deßungeachtet kann ich in Betreff der Vorfälle in den ersten Tagen des März, gegenüber von Silistria, einige Notizen, die mir erst vorgestern zugingen, nicht unterdrücken. Nachdem die Türken den Rückzug zu ihren Barken glücklich ausgeführt und das rechte Douauufer wieder erreicht hatte», marschirten die Russen, in Colonne und im langsamen Schritt, am linken Ufer, der Festung gegenüber, entlang. Der Strom ist hier 1020 Schritt breit. Indeß versuchte der Commandant von Silistria, der wohlbeleibte Mussa (Moses) Pascha, die Colonne mit seinem Wallgeschütz, und zwar weil für Vollkugelu die Wahrscheinlichkeit des Treffens gering war, mit Kartätschen zu erreiche», was, wider alles Erwarten, gute Resultate hatte. Mau sah mit dem Fernrohr bei jedem Schuß fünf bis zehn Mann stürzen, was jedoch die Russen in der ruhigen Cadence ihres Paradeschritts nicht im mindesten störte. Auch die Türken benahmen sich kaltblütig und zwei Compagnie» Pioniere setzten, während die Russe» vom jenseitigen Ufer aus die Festung beschossen, auf den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/113>, abgerufen am 23.07.2024.