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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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eifernden Nebeneinander zu präsentiren, als irgend ein religiöses Bedürfniß zu
befriedigen. Die Herrn gehen nicht sowol in die Kirchen als an deren Pforten,
um die Damen Revue passiren zu lassen, und stehen am Ende der Messe i" dich¬
ten Gruppe" in der großen Perastraße, bei Se. Marie, wie man den Punkt nennt,
an welcher Stelle das andere Geschlecht bei weitem am zahlreichsten vorüber-
pasfirt.

Am Mittag kann man wetten, daß in den meisten Haushaltungen gefrühstückt
wird. Der Sonntag macht um so weniger eine Ausnahme , als das Diner an
diesem Tage gemeiniglich später eingenommen wird. Gleich nach dem Frühstück
fliegt alles was sich irgend losmachen kann, vorausgesetzt, daß die Witterung es
wie am heutigen Tage gestattet, ins Freie. Die wenigen Wageninhaber lassen
ihre Equipagen vorfahren. Es sind dies nur die höchsten Familien der Diplo¬
matie, die reichsten Banquiers und hohe türkische Würdenträger. Alles andere
geht zu Fuß, oder -- reitet, die Damen nicht ausgenommen. Wiewol die mei¬
sten Reiterinnen dem ausgebreitete" Metier der Putzmacherinnen angehören, be¬
steigen doch auch Dame" ans höheren Classen das Roß.

Schade, daß für diesen allgewaltigen Trieb ins Freie "ur eine einzige Pro¬
menade vorhanden ist. Es ist die große gepflasterte Verlängerung der gi-uni"-
i^>o <lo l>öl'!>, ein Weg, der an der Cavaleriekaserne von Bey Oglu dem großen
Camps und letztlich der Harpije Maktab vorüberführt, hinter welcher er sich ins
Freie verläuft, oder vielmehr auf ejuen weiten, nnr in ausgedehntem Umkreis von
Häusern umstandenen Platz, der an den Vormittagen von der türkischen Garniso"
zu Exercirübungcu, an Nachmittagen aber und wenn der Sonnenschein dazu
einladet, vou allen Dandys Peraö zum Reiten benutzt wird. Hier """ ist es,
wo in Erwiderung auf das Rendezvous an den Kirchthüren die Damen sich ein-
senden, um ihrerseits die Herrn Revue passire" zu lassen.

Heute war das Treiben auf der besagte" Stelle ganz besonders bunt. Die
jounossv lloi'i-s war, zahlreicher wie sonst erschiene"; es geschah der neuen Pferde
wegen, die man hier zu Anfang des Frühlings stets wechselt, etwa wie man die
Garderobe ändert, und welche es heute galt den Damen vorzureiten. Manche
Thiere waren in der That schön, indeß gilt im allgemeinen von den hiesigen
Rossen, daß sie denen, welche wir in unseren heimischen Großstädten zu
scheu gewohnt sind, nicht gleichkommen. Außer dem Sultan hat kaum noch ein
anderer als Lord Nedcliffe eine" guten Reitstall. -- Da viele kleine Gräben den
Platz, auf welchem mau die Pferde tummelt, durchschneiden, so gibt dies Gelegen--
heit Künste zu zeigen, die indeß nicht immer gelinge" wolle", und oft tragisch,
mit einem Sturz aus dem Sattel, enden.

Nichts verräth in dem Auftrete" der hiesigen Gesellschaft den Kriegszustand,
in welchem das Laud seit einem halben Jahre sich factisch befindet; die Heiterkeit ist
allgemein, wie es der Sonnenschein am hellen, tiefblauen Märzhimmel war; man


eifernden Nebeneinander zu präsentiren, als irgend ein religiöses Bedürfniß zu
befriedigen. Die Herrn gehen nicht sowol in die Kirchen als an deren Pforten,
um die Damen Revue passiren zu lassen, und stehen am Ende der Messe i» dich¬
ten Gruppe» in der großen Perastraße, bei Se. Marie, wie man den Punkt nennt,
an welcher Stelle das andere Geschlecht bei weitem am zahlreichsten vorüber-
pasfirt.

Am Mittag kann man wetten, daß in den meisten Haushaltungen gefrühstückt
wird. Der Sonntag macht um so weniger eine Ausnahme , als das Diner an
diesem Tage gemeiniglich später eingenommen wird. Gleich nach dem Frühstück
fliegt alles was sich irgend losmachen kann, vorausgesetzt, daß die Witterung es
wie am heutigen Tage gestattet, ins Freie. Die wenigen Wageninhaber lassen
ihre Equipagen vorfahren. Es sind dies nur die höchsten Familien der Diplo¬
matie, die reichsten Banquiers und hohe türkische Würdenträger. Alles andere
geht zu Fuß, oder — reitet, die Damen nicht ausgenommen. Wiewol die mei¬
sten Reiterinnen dem ausgebreitete» Metier der Putzmacherinnen angehören, be¬
steigen doch auch Dame» ans höheren Classen das Roß.

Schade, daß für diesen allgewaltigen Trieb ins Freie »ur eine einzige Pro¬
menade vorhanden ist. Es ist die große gepflasterte Verlängerung der gi-uni«-
i^>o <lo l>öl'!>, ein Weg, der an der Cavaleriekaserne von Bey Oglu dem großen
Camps und letztlich der Harpije Maktab vorüberführt, hinter welcher er sich ins
Freie verläuft, oder vielmehr auf ejuen weiten, nnr in ausgedehntem Umkreis von
Häusern umstandenen Platz, der an den Vormittagen von der türkischen Garniso»
zu Exercirübungcu, an Nachmittagen aber und wenn der Sonnenschein dazu
einladet, vou allen Dandys Peraö zum Reiten benutzt wird. Hier »»» ist es,
wo in Erwiderung auf das Rendezvous an den Kirchthüren die Damen sich ein-
senden, um ihrerseits die Herrn Revue passire» zu lassen.

Heute war das Treiben auf der besagte» Stelle ganz besonders bunt. Die
jounossv lloi'i-s war, zahlreicher wie sonst erschiene»; es geschah der neuen Pferde
wegen, die man hier zu Anfang des Frühlings stets wechselt, etwa wie man die
Garderobe ändert, und welche es heute galt den Damen vorzureiten. Manche
Thiere waren in der That schön, indeß gilt im allgemeinen von den hiesigen
Rossen, daß sie denen, welche wir in unseren heimischen Großstädten zu
scheu gewohnt sind, nicht gleichkommen. Außer dem Sultan hat kaum noch ein
anderer als Lord Nedcliffe eine» guten Reitstall. — Da viele kleine Gräben den
Platz, auf welchem mau die Pferde tummelt, durchschneiden, so gibt dies Gelegen--
heit Künste zu zeigen, die indeß nicht immer gelinge» wolle», und oft tragisch,
mit einem Sturz aus dem Sattel, enden.

Nichts verräth in dem Auftrete» der hiesigen Gesellschaft den Kriegszustand,
in welchem das Laud seit einem halben Jahre sich factisch befindet; die Heiterkeit ist
allgemein, wie es der Sonnenschein am hellen, tiefblauen Märzhimmel war; man


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/111>, abgerufen am 23.07.2024.