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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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einen Bruder hat, den sie getödtet haben soll, ist der Lohengrinsage fremd und
das Motiv dazu aus der Sage vom Schwanenritter entnommen. In diese,
deren Kern die Verzauberung des Bruders in einen Schwan ist, ist später die
dem Lohengrin nachgebildete Episode blos wegen des äußerlichen Zusammen¬
treffens, daß beide von einem Schwan gezogen werden, eingelegt worden,
ohne daß sie den inneren Zusammenhang berührte. Wagner hat umge¬
kehrt aus dem Schwanenritter das Motiv in den Lohengrin eingescho¬
ben, ebensowenig zum Vortheil der Sage. Denn statt des einfachen Mo¬
tivs von Telramundö Ehrgeiz ist ein complicirtes eingeführt, das seiner Natur
nach bedenklich ist, indem es den Glauben an Zauberei voraussetzt und ihre
Wirklichkeit handgreiflich zu machen nöthigt, und undramatisch, weil es ein der
Haupthandlung fremdes Interesse hineinbringt. Der eigentliche Grund, dasselbe
einzuführen, liegt auch nicht in dem Bedürfniß des Dramas, sondern der Oper.
Diese verlangt einen zweiten Sopran, eine weibliche Stimme, welche den
Gegensatz zu Elsa bildet, aus musikalischen Gründen, welche durchaus berech¬
tigt und triftig sind, nur daß sie nicht zu absolut dramatischen Gesetzen gestempelt
werden dürfen. Eine der Elsa ähnliche, nur. schwächere Figur, eine Soubrette,
eine halbkomische Zofe wäre hier nicht an ihrem Platz: die Natur des Stoffes
verlangt eine Frau, welche Telramund zur Seite steht. Um diese ganz in die
Handlung zu verflechten und ein Object für ihre Zauberkünste zu gewinnen,
ist nun Gottfried hineingebracht. Wir werden auf den Charakter Ortruds zurück'
kommen; vorläufig leuchtet ein, daß durch ihre. Einführung der Charakteristik Telra¬
mundö Abbruch geschieht. In der That ist er vollständig verfehlt, er ist nicht nur
schwach und kurzsichtig, er ist in sich unwahr. Der König und sein Land kennen ihn
als "aller Tugend Preis", er selber rühmt sich, "daß er zu lügen nie vermeint", er
betet: "Ich geh in Treu' vor dein Gericht; Herr Gott verlaß mein' Ehre nicht'.",
er glaubt fest an die Wahrheit des Gottesgerichtes und geht deshalb voll
Zuversicht hinein, er ist nachher so untröstlich über den Verlust seiner Ehre,
daß er einen dauern könnte, -- wenn er uns nicht selbst verrathen hätte, daß
er wissentlich gelogen. Daß er sich weigert, ein Zeugniß gegen Elsa vorzubringen
und sich auf sein Schwert beruft, läßt, wie er sagt, sein Stolz nicht anders
zu, allein dieser Stolz erhalt eine eigene Beimischung, wenn man erfährt, daß
es das Zeugniß Ortruds ist, die er darauf geheirathet hat, auf welches er sich
vor Gericht nicht berufen mag. Indessen zu Tage liegt die Lüge, wenn er aussagt:


Es faßte mich Entsetzen vor der Magd, ,
dem Recht aus ihre Hand, vom Vater mir
verlieh", entsagt' ich willig da und gern,

und nachher in der Hitze sich verräth:


O Herr, traumselig ist die eitle Magd,
die meine Hand voll Hochmuth von sich stieß.

einen Bruder hat, den sie getödtet haben soll, ist der Lohengrinsage fremd und
das Motiv dazu aus der Sage vom Schwanenritter entnommen. In diese,
deren Kern die Verzauberung des Bruders in einen Schwan ist, ist später die
dem Lohengrin nachgebildete Episode blos wegen des äußerlichen Zusammen¬
treffens, daß beide von einem Schwan gezogen werden, eingelegt worden,
ohne daß sie den inneren Zusammenhang berührte. Wagner hat umge¬
kehrt aus dem Schwanenritter das Motiv in den Lohengrin eingescho¬
ben, ebensowenig zum Vortheil der Sage. Denn statt des einfachen Mo¬
tivs von Telramundö Ehrgeiz ist ein complicirtes eingeführt, das seiner Natur
nach bedenklich ist, indem es den Glauben an Zauberei voraussetzt und ihre
Wirklichkeit handgreiflich zu machen nöthigt, und undramatisch, weil es ein der
Haupthandlung fremdes Interesse hineinbringt. Der eigentliche Grund, dasselbe
einzuführen, liegt auch nicht in dem Bedürfniß des Dramas, sondern der Oper.
Diese verlangt einen zweiten Sopran, eine weibliche Stimme, welche den
Gegensatz zu Elsa bildet, aus musikalischen Gründen, welche durchaus berech¬
tigt und triftig sind, nur daß sie nicht zu absolut dramatischen Gesetzen gestempelt
werden dürfen. Eine der Elsa ähnliche, nur. schwächere Figur, eine Soubrette,
eine halbkomische Zofe wäre hier nicht an ihrem Platz: die Natur des Stoffes
verlangt eine Frau, welche Telramund zur Seite steht. Um diese ganz in die
Handlung zu verflechten und ein Object für ihre Zauberkünste zu gewinnen,
ist nun Gottfried hineingebracht. Wir werden auf den Charakter Ortruds zurück'
kommen; vorläufig leuchtet ein, daß durch ihre. Einführung der Charakteristik Telra¬
mundö Abbruch geschieht. In der That ist er vollständig verfehlt, er ist nicht nur
schwach und kurzsichtig, er ist in sich unwahr. Der König und sein Land kennen ihn
als „aller Tugend Preis", er selber rühmt sich, „daß er zu lügen nie vermeint", er
betet: „Ich geh in Treu' vor dein Gericht; Herr Gott verlaß mein' Ehre nicht'.",
er glaubt fest an die Wahrheit des Gottesgerichtes und geht deshalb voll
Zuversicht hinein, er ist nachher so untröstlich über den Verlust seiner Ehre,
daß er einen dauern könnte, — wenn er uns nicht selbst verrathen hätte, daß
er wissentlich gelogen. Daß er sich weigert, ein Zeugniß gegen Elsa vorzubringen
und sich auf sein Schwert beruft, läßt, wie er sagt, sein Stolz nicht anders
zu, allein dieser Stolz erhalt eine eigene Beimischung, wenn man erfährt, daß
es das Zeugniß Ortruds ist, die er darauf geheirathet hat, auf welches er sich
vor Gericht nicht berufen mag. Indessen zu Tage liegt die Lüge, wenn er aussagt:


Es faßte mich Entsetzen vor der Magd, ,
dem Recht aus ihre Hand, vom Vater mir
verlieh», entsagt' ich willig da und gern,

und nachher in der Hitze sich verräth:


O Herr, traumselig ist die eitle Magd,
die meine Hand voll Hochmuth von sich stieß.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/94>, abgerufen am 22.07.2024.