Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Völlig unbegreiflich ist es, wie Lohengrin -- ich behalte den symbolischen Namen
bei -- bei seiner Sehnsucht, in seinem eigenen Wesen geliebt und verstanden
zu sein, damit beginnt, dem Weibe, das ihn lieben und verstehen soll, die
bessere Hälfte seines Wesens zu verheimlichen und ihr zu verbieten, danach zu
fragen. Er beklagt sich, daß er nur angebetet sei, nicht geliebt; und doch betet
der Mensch nur das Unbegreifliche, Unfaßbare an, und Lohengrin verweigert
der Geliebten, die ihn zu begreifen strebt, zu sagen, wodurch sie ihn begreifen,
verstehen und also auch lieben könne. Man muß doch annehmen, daß die
erhöhte Natur Lohengrins nichts Zufälliges ist, das er an- und ablegen könne,
etwa wie man einen Frack anzieht, wenn man in vornehme Gesellschaft geht,
sondern ihm unveräußerlich eigen ist. Wie kann man ihn denn verstehen und
lieben, als eben indem man diese erhöhte Natur in ihrer ganzen Fülle versteht
und liebt? Kann er sich derselben nicht entäußern, und will sie eben vor der
Geliebten verbergen, verlangt aber doch von ihr, daß sie ihn ganz versteht
und liebt, so ist er ein Thor oder ein Egoist. Dies hat auch Wagner erkannt,
indem er bei tieferem Eingehen in die Darstellung der Elsa sie so berechtigt
fand in dem endlichen Ausbruche ihrer Eifersucht, daß er das rein menschliche
Wesen der Liebe grade in diesem Ausbruche erst ganz verstehen lernte. Elsa
ist ihm nun "das Weib, das sich mit Hellem Wissen in die Vernichtung stürzt
um des nothwendigen Wesens der Liebe willen, das durch den Ausbruch ihrer
Eisersucht erst aus der entzückten Anbetung in das volle Wesen der Liebe
geräth und dies Wesen dem hier noch Unverständnißvollen an ihrem Unter¬
gang offenbart, vor dem Lohengrin entschwinden muß, weil er es seiner beson¬
dern Natur nach nicht verstehen konnte, das Symbol des wahrhaft Weiblichen,
vor dem der männliche Egoismus, selbst in seiner edelsten Gestaltung, sich
selbst vernichtend bricht." -- Wagner preist sich glücklich, daß er so durch Lo¬
hengrin, wie durch einen Verlornen Pfeil, das wahrhaft Weibliche, das ihm
und aller Welt Erlösung bringen solle, d. h. den Geist des Volkes sicher erkannt
habe. Wir wünschen von Herzen Glück, zunächst aber haben wir zu fragen,
inwieweit hierdurch die dramatische Gestaltung der Sage gefördert worden sei.

König Heinrich der Vogler ist nach Bmbant gekommen, um den Heer¬
bann gegen die Ungarn zu entbieten und findet das Land in Zwiespalt und
Verwirrung. Der Herzog ist gestorben und hat seine Kinder "Elsa die Jung¬
frau und Gottfried den Knaben" der,Obhut Friedrichs von Telramund anver¬
traut. Eines Tages ist Gottfried verschwunden und Friedrich beschuldigt
Elsa, ihren Bruder getödtet zu haben, um einem heimlichen Buhlen zum Besitz
des Landes zu verhelfen, er habe deshalb ihrer Hand, auf die er ein Recht
gehabt, entsagt und Ortrud des Friesenfürsten Tochter zur Gemahlin erwählt;
nun klage er Elsa des Brudermords und geheimer Buhlschaft an und nehme
das Land als nächster Blutsverwandter des Herzogs in Anspruch. Daß Elsa


Völlig unbegreiflich ist es, wie Lohengrin — ich behalte den symbolischen Namen
bei — bei seiner Sehnsucht, in seinem eigenen Wesen geliebt und verstanden
zu sein, damit beginnt, dem Weibe, das ihn lieben und verstehen soll, die
bessere Hälfte seines Wesens zu verheimlichen und ihr zu verbieten, danach zu
fragen. Er beklagt sich, daß er nur angebetet sei, nicht geliebt; und doch betet
der Mensch nur das Unbegreifliche, Unfaßbare an, und Lohengrin verweigert
der Geliebten, die ihn zu begreifen strebt, zu sagen, wodurch sie ihn begreifen,
verstehen und also auch lieben könne. Man muß doch annehmen, daß die
erhöhte Natur Lohengrins nichts Zufälliges ist, das er an- und ablegen könne,
etwa wie man einen Frack anzieht, wenn man in vornehme Gesellschaft geht,
sondern ihm unveräußerlich eigen ist. Wie kann man ihn denn verstehen und
lieben, als eben indem man diese erhöhte Natur in ihrer ganzen Fülle versteht
und liebt? Kann er sich derselben nicht entäußern, und will sie eben vor der
Geliebten verbergen, verlangt aber doch von ihr, daß sie ihn ganz versteht
und liebt, so ist er ein Thor oder ein Egoist. Dies hat auch Wagner erkannt,
indem er bei tieferem Eingehen in die Darstellung der Elsa sie so berechtigt
fand in dem endlichen Ausbruche ihrer Eifersucht, daß er das rein menschliche
Wesen der Liebe grade in diesem Ausbruche erst ganz verstehen lernte. Elsa
ist ihm nun „das Weib, das sich mit Hellem Wissen in die Vernichtung stürzt
um des nothwendigen Wesens der Liebe willen, das durch den Ausbruch ihrer
Eisersucht erst aus der entzückten Anbetung in das volle Wesen der Liebe
geräth und dies Wesen dem hier noch Unverständnißvollen an ihrem Unter¬
gang offenbart, vor dem Lohengrin entschwinden muß, weil er es seiner beson¬
dern Natur nach nicht verstehen konnte, das Symbol des wahrhaft Weiblichen,
vor dem der männliche Egoismus, selbst in seiner edelsten Gestaltung, sich
selbst vernichtend bricht." — Wagner preist sich glücklich, daß er so durch Lo¬
hengrin, wie durch einen Verlornen Pfeil, das wahrhaft Weibliche, das ihm
und aller Welt Erlösung bringen solle, d. h. den Geist des Volkes sicher erkannt
habe. Wir wünschen von Herzen Glück, zunächst aber haben wir zu fragen,
inwieweit hierdurch die dramatische Gestaltung der Sage gefördert worden sei.

König Heinrich der Vogler ist nach Bmbant gekommen, um den Heer¬
bann gegen die Ungarn zu entbieten und findet das Land in Zwiespalt und
Verwirrung. Der Herzog ist gestorben und hat seine Kinder „Elsa die Jung¬
frau und Gottfried den Knaben" der,Obhut Friedrichs von Telramund anver¬
traut. Eines Tages ist Gottfried verschwunden und Friedrich beschuldigt
Elsa, ihren Bruder getödtet zu haben, um einem heimlichen Buhlen zum Besitz
des Landes zu verhelfen, er habe deshalb ihrer Hand, auf die er ein Recht
gehabt, entsagt und Ortrud des Friesenfürsten Tochter zur Gemahlin erwählt;
nun klage er Elsa des Brudermords und geheimer Buhlschaft an und nehme
das Land als nächster Blutsverwandter des Herzogs in Anspruch. Daß Elsa


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0093" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/97339"/>
          <p xml:id="ID_214" prev="#ID_213"> Völlig unbegreiflich ist es, wie Lohengrin &#x2014; ich behalte den symbolischen Namen<lb/>
bei &#x2014; bei seiner Sehnsucht, in seinem eigenen Wesen geliebt und verstanden<lb/>
zu sein, damit beginnt, dem Weibe, das ihn lieben und verstehen soll, die<lb/>
bessere Hälfte seines Wesens zu verheimlichen und ihr zu verbieten, danach zu<lb/>
fragen. Er beklagt sich, daß er nur angebetet sei, nicht geliebt; und doch betet<lb/>
der Mensch nur das Unbegreifliche, Unfaßbare an, und Lohengrin verweigert<lb/>
der Geliebten, die ihn zu begreifen strebt, zu sagen, wodurch sie ihn begreifen,<lb/>
verstehen und also auch lieben könne. Man muß doch annehmen, daß die<lb/>
erhöhte Natur Lohengrins nichts Zufälliges ist, das er an- und ablegen könne,<lb/>
etwa wie man einen Frack anzieht, wenn man in vornehme Gesellschaft geht,<lb/>
sondern ihm unveräußerlich eigen ist. Wie kann man ihn denn verstehen und<lb/>
lieben, als eben indem man diese erhöhte Natur in ihrer ganzen Fülle versteht<lb/>
und liebt? Kann er sich derselben nicht entäußern, und will sie eben vor der<lb/>
Geliebten verbergen, verlangt aber doch von ihr, daß sie ihn ganz versteht<lb/>
und liebt, so ist er ein Thor oder ein Egoist. Dies hat auch Wagner erkannt,<lb/>
indem er bei tieferem Eingehen in die Darstellung der Elsa sie so berechtigt<lb/>
fand in dem endlichen Ausbruche ihrer Eifersucht, daß er das rein menschliche<lb/>
Wesen der Liebe grade in diesem Ausbruche erst ganz verstehen lernte. Elsa<lb/>
ist ihm nun &#x201E;das Weib, das sich mit Hellem Wissen in die Vernichtung stürzt<lb/>
um des nothwendigen Wesens der Liebe willen, das durch den Ausbruch ihrer<lb/>
Eisersucht erst aus der entzückten Anbetung in das volle Wesen der Liebe<lb/>
geräth und dies Wesen dem hier noch Unverständnißvollen an ihrem Unter¬<lb/>
gang offenbart, vor dem Lohengrin entschwinden muß, weil er es seiner beson¬<lb/>
dern Natur nach nicht verstehen konnte, das Symbol des wahrhaft Weiblichen,<lb/>
vor dem der männliche Egoismus, selbst in seiner edelsten Gestaltung, sich<lb/>
selbst vernichtend bricht." &#x2014; Wagner preist sich glücklich, daß er so durch Lo¬<lb/>
hengrin, wie durch einen Verlornen Pfeil, das wahrhaft Weibliche, das ihm<lb/>
und aller Welt Erlösung bringen solle, d. h. den Geist des Volkes sicher erkannt<lb/>
habe. Wir wünschen von Herzen Glück, zunächst aber haben wir zu fragen,<lb/>
inwieweit hierdurch die dramatische Gestaltung der Sage gefördert worden sei.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_215" next="#ID_216"> König Heinrich der Vogler ist nach Bmbant gekommen, um den Heer¬<lb/>
bann gegen die Ungarn zu entbieten und findet das Land in Zwiespalt und<lb/>
Verwirrung. Der Herzog ist gestorben und hat seine Kinder &#x201E;Elsa die Jung¬<lb/>
frau und Gottfried den Knaben" der,Obhut Friedrichs von Telramund anver¬<lb/>
traut. Eines Tages ist Gottfried verschwunden und Friedrich beschuldigt<lb/>
Elsa, ihren Bruder getödtet zu haben, um einem heimlichen Buhlen zum Besitz<lb/>
des Landes zu verhelfen, er habe deshalb ihrer Hand, auf die er ein Recht<lb/>
gehabt, entsagt und Ortrud des Friesenfürsten Tochter zur Gemahlin erwählt;<lb/>
nun klage er Elsa des Brudermords und geheimer Buhlschaft an und nehme<lb/>
das Land als nächster Blutsverwandter des Herzogs in Anspruch. Daß Elsa</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0093] Völlig unbegreiflich ist es, wie Lohengrin — ich behalte den symbolischen Namen bei — bei seiner Sehnsucht, in seinem eigenen Wesen geliebt und verstanden zu sein, damit beginnt, dem Weibe, das ihn lieben und verstehen soll, die bessere Hälfte seines Wesens zu verheimlichen und ihr zu verbieten, danach zu fragen. Er beklagt sich, daß er nur angebetet sei, nicht geliebt; und doch betet der Mensch nur das Unbegreifliche, Unfaßbare an, und Lohengrin verweigert der Geliebten, die ihn zu begreifen strebt, zu sagen, wodurch sie ihn begreifen, verstehen und also auch lieben könne. Man muß doch annehmen, daß die erhöhte Natur Lohengrins nichts Zufälliges ist, das er an- und ablegen könne, etwa wie man einen Frack anzieht, wenn man in vornehme Gesellschaft geht, sondern ihm unveräußerlich eigen ist. Wie kann man ihn denn verstehen und lieben, als eben indem man diese erhöhte Natur in ihrer ganzen Fülle versteht und liebt? Kann er sich derselben nicht entäußern, und will sie eben vor der Geliebten verbergen, verlangt aber doch von ihr, daß sie ihn ganz versteht und liebt, so ist er ein Thor oder ein Egoist. Dies hat auch Wagner erkannt, indem er bei tieferem Eingehen in die Darstellung der Elsa sie so berechtigt fand in dem endlichen Ausbruche ihrer Eifersucht, daß er das rein menschliche Wesen der Liebe grade in diesem Ausbruche erst ganz verstehen lernte. Elsa ist ihm nun „das Weib, das sich mit Hellem Wissen in die Vernichtung stürzt um des nothwendigen Wesens der Liebe willen, das durch den Ausbruch ihrer Eisersucht erst aus der entzückten Anbetung in das volle Wesen der Liebe geräth und dies Wesen dem hier noch Unverständnißvollen an ihrem Unter¬ gang offenbart, vor dem Lohengrin entschwinden muß, weil er es seiner beson¬ dern Natur nach nicht verstehen konnte, das Symbol des wahrhaft Weiblichen, vor dem der männliche Egoismus, selbst in seiner edelsten Gestaltung, sich selbst vernichtend bricht." — Wagner preist sich glücklich, daß er so durch Lo¬ hengrin, wie durch einen Verlornen Pfeil, das wahrhaft Weibliche, das ihm und aller Welt Erlösung bringen solle, d. h. den Geist des Volkes sicher erkannt habe. Wir wünschen von Herzen Glück, zunächst aber haben wir zu fragen, inwieweit hierdurch die dramatische Gestaltung der Sage gefördert worden sei. König Heinrich der Vogler ist nach Bmbant gekommen, um den Heer¬ bann gegen die Ungarn zu entbieten und findet das Land in Zwiespalt und Verwirrung. Der Herzog ist gestorben und hat seine Kinder „Elsa die Jung¬ frau und Gottfried den Knaben" der,Obhut Friedrichs von Telramund anver¬ traut. Eines Tages ist Gottfried verschwunden und Friedrich beschuldigt Elsa, ihren Bruder getödtet zu haben, um einem heimlichen Buhlen zum Besitz des Landes zu verhelfen, er habe deshalb ihrer Hand, auf die er ein Recht gehabt, entsagt und Ortrud des Friesenfürsten Tochter zur Gemahlin erwählt; nun klage er Elsa des Brudermords und geheimer Buhlschaft an und nehme das Land als nächster Blutsverwandter des Herzogs in Anspruch. Daß Elsa

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/93
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/93>, abgerufen am 22.07.2024.