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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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zahlreiche Gartenconcerten besuchte, in welcher dieser Souverän des Geschmacks
doch auch vorhanden ist. Vor diesen, Publicum wird etwa eine Symphonie von
Haydn keinen großen Beifall finden, auch selbst Walzer und Galoppe werden
den Ansprüchen nicht ganz genügen, wenn nicht eine hochtragische Einleitung hin¬
zugefügt wird. Dagegen wird sich ein allgemeines Entzücken erheben, wenn ein
Potpourri aus verschiedenen Opern gespielt wird, wo bekannte und sehr ins Ohr
fallende Melodien sich gegenseitig abwechseln, i" der Regel nnr zur Hälfte durch¬
geführt und durch recht kräftige Pankenschläge von einander geschieden. Das
Publicum wird um so mehr davou erbaut sein, je stärker die Contraste und je
sinnloser die Uebergänge sind: denn es scheut in der Regel nichts so sehr, als
die Aufmerksamkeit ans einen fortgehenden Gang des musikalische;! Gedankens.
Am allerhöchsten aber wird der Jubel steigen, wenn zum Schluß des Concerts
ein sogenanntes Tongemälde aufgeführt wird, z. B. das Bild einer Schlacht, wo
sämmtliche Instrumente auf das wahnsinnigste gegeneinander schreien, wo eS mit
den beständigen Trommeln, Pauken und Becken noch nicht abgethan ist, sondern
wo unter kräftigem Knall fortwährend Raketen in die Luft steigen, diesen Lärm
von Zeit zu Zeit durch einen Walzer und auch durch eine sentimentale Melodie
in der Manier von Krebs unterbrochen, zum Schluß ein "Heil dir im Sieger¬
kranz" oder eine ähnliche Nationalhymne. Ans diesem Wohlgefallen des Publi-
cums könnte der Wohlbekannte sich auch Regeln ableiten, und er würde zu ganz
überraschenden Resultaten komme". Ja, wir zweifeln daran, ob er im Lauf seiner
Entwickelung diese Resultate ganz zurückweisen wird.

In seinen "musikalischen Briefen", die zur Zeit ihres Erscheinens ein nicht
geringes Aussehe" machte", weil ein großer Theil deö Publicums darin ausge¬
sprochen fand, was er schon lange gedacht hatte, polcmisirte der Wohlbekannte
ziemlich lebhaft gegen Richard Wagner und zwar, wie wir damals nachzuweisen
suchten, ohne ihn zu keime". Er setzte voraus, daß Wagner einer von den Vir¬
tuosen der gelehrten Musik sei, einer Musik, deren contrapunktischeu Wendungen
das Publicum niemals würde solgen können. Seit der Zeit hat er wol Gelegen¬
heit gehabt, diese Musik kennen zu lernen und sich ein ganz anderes Urtheil über
sie zu bilden; sie ist gar nicht gelehrt, gar nicht cvutrapunktisch, und sie ist im
höchsten Grade populär, so populär, daß jenes Publicum, dessen souveränes Ur¬
theil der Wohlbekannte zu zergliedern sucht, noch weit mehr davon erbaut wird, als
vou Flotow und Bellini; und wenn der Wohlbekannte nach dem Grund dieses
Beifalls fragen wollte, so würden wir ihn ans jene Gartenconcerte verweisen.
Allerdings finden wir bei Wagner wenig leichte einfache Melodien, gar keine"
deutlich ausgesprochenen rhythmischen Gang und am wenigsten eine einfache Har-
moniebewegnng; dagegen wird wie i" jene" Schlachtgemälden sehr kräftig ans
die Nerven deö Publicums gewirkt und die Bässe, die Posaune", die Trompeten
jeder Art lasse" ihm keinen Zweifel darüber, was sie eigentlich meinen. Aller-


zahlreiche Gartenconcerten besuchte, in welcher dieser Souverän des Geschmacks
doch auch vorhanden ist. Vor diesen, Publicum wird etwa eine Symphonie von
Haydn keinen großen Beifall finden, auch selbst Walzer und Galoppe werden
den Ansprüchen nicht ganz genügen, wenn nicht eine hochtragische Einleitung hin¬
zugefügt wird. Dagegen wird sich ein allgemeines Entzücken erheben, wenn ein
Potpourri aus verschiedenen Opern gespielt wird, wo bekannte und sehr ins Ohr
fallende Melodien sich gegenseitig abwechseln, i» der Regel nnr zur Hälfte durch¬
geführt und durch recht kräftige Pankenschläge von einander geschieden. Das
Publicum wird um so mehr davou erbaut sein, je stärker die Contraste und je
sinnloser die Uebergänge sind: denn es scheut in der Regel nichts so sehr, als
die Aufmerksamkeit ans einen fortgehenden Gang des musikalische;! Gedankens.
Am allerhöchsten aber wird der Jubel steigen, wenn zum Schluß des Concerts
ein sogenanntes Tongemälde aufgeführt wird, z. B. das Bild einer Schlacht, wo
sämmtliche Instrumente auf das wahnsinnigste gegeneinander schreien, wo eS mit
den beständigen Trommeln, Pauken und Becken noch nicht abgethan ist, sondern
wo unter kräftigem Knall fortwährend Raketen in die Luft steigen, diesen Lärm
von Zeit zu Zeit durch einen Walzer und auch durch eine sentimentale Melodie
in der Manier von Krebs unterbrochen, zum Schluß ein „Heil dir im Sieger¬
kranz" oder eine ähnliche Nationalhymne. Ans diesem Wohlgefallen des Publi-
cums könnte der Wohlbekannte sich auch Regeln ableiten, und er würde zu ganz
überraschenden Resultaten komme». Ja, wir zweifeln daran, ob er im Lauf seiner
Entwickelung diese Resultate ganz zurückweisen wird.

In seinen „musikalischen Briefen", die zur Zeit ihres Erscheinens ein nicht
geringes Aussehe» machte», weil ein großer Theil deö Publicums darin ausge¬
sprochen fand, was er schon lange gedacht hatte, polcmisirte der Wohlbekannte
ziemlich lebhaft gegen Richard Wagner und zwar, wie wir damals nachzuweisen
suchten, ohne ihn zu keime». Er setzte voraus, daß Wagner einer von den Vir¬
tuosen der gelehrten Musik sei, einer Musik, deren contrapunktischeu Wendungen
das Publicum niemals würde solgen können. Seit der Zeit hat er wol Gelegen¬
heit gehabt, diese Musik kennen zu lernen und sich ein ganz anderes Urtheil über
sie zu bilden; sie ist gar nicht gelehrt, gar nicht cvutrapunktisch, und sie ist im
höchsten Grade populär, so populär, daß jenes Publicum, dessen souveränes Ur¬
theil der Wohlbekannte zu zergliedern sucht, noch weit mehr davon erbaut wird, als
vou Flotow und Bellini; und wenn der Wohlbekannte nach dem Grund dieses
Beifalls fragen wollte, so würden wir ihn ans jene Gartenconcerte verweisen.
Allerdings finden wir bei Wagner wenig leichte einfache Melodien, gar keine»
deutlich ausgesprochenen rhythmischen Gang und am wenigsten eine einfache Har-
moniebewegnng; dagegen wird wie i» jene» Schlachtgemälden sehr kräftig ans
die Nerven deö Publicums gewirkt und die Bässe, die Posaune», die Trompeten
jeder Art lasse» ihm keinen Zweifel darüber, was sie eigentlich meinen. Aller-


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[0069] zahlreiche Gartenconcerten besuchte, in welcher dieser Souverän des Geschmacks doch auch vorhanden ist. Vor diesen, Publicum wird etwa eine Symphonie von Haydn keinen großen Beifall finden, auch selbst Walzer und Galoppe werden den Ansprüchen nicht ganz genügen, wenn nicht eine hochtragische Einleitung hin¬ zugefügt wird. Dagegen wird sich ein allgemeines Entzücken erheben, wenn ein Potpourri aus verschiedenen Opern gespielt wird, wo bekannte und sehr ins Ohr fallende Melodien sich gegenseitig abwechseln, i» der Regel nnr zur Hälfte durch¬ geführt und durch recht kräftige Pankenschläge von einander geschieden. Das Publicum wird um so mehr davou erbaut sein, je stärker die Contraste und je sinnloser die Uebergänge sind: denn es scheut in der Regel nichts so sehr, als die Aufmerksamkeit ans einen fortgehenden Gang des musikalische;! Gedankens. Am allerhöchsten aber wird der Jubel steigen, wenn zum Schluß des Concerts ein sogenanntes Tongemälde aufgeführt wird, z. B. das Bild einer Schlacht, wo sämmtliche Instrumente auf das wahnsinnigste gegeneinander schreien, wo eS mit den beständigen Trommeln, Pauken und Becken noch nicht abgethan ist, sondern wo unter kräftigem Knall fortwährend Raketen in die Luft steigen, diesen Lärm von Zeit zu Zeit durch einen Walzer und auch durch eine sentimentale Melodie in der Manier von Krebs unterbrochen, zum Schluß ein „Heil dir im Sieger¬ kranz" oder eine ähnliche Nationalhymne. Ans diesem Wohlgefallen des Publi- cums könnte der Wohlbekannte sich auch Regeln ableiten, und er würde zu ganz überraschenden Resultaten komme». Ja, wir zweifeln daran, ob er im Lauf seiner Entwickelung diese Resultate ganz zurückweisen wird. In seinen „musikalischen Briefen", die zur Zeit ihres Erscheinens ein nicht geringes Aussehe» machte», weil ein großer Theil deö Publicums darin ausge¬ sprochen fand, was er schon lange gedacht hatte, polcmisirte der Wohlbekannte ziemlich lebhaft gegen Richard Wagner und zwar, wie wir damals nachzuweisen suchten, ohne ihn zu keime». Er setzte voraus, daß Wagner einer von den Vir¬ tuosen der gelehrten Musik sei, einer Musik, deren contrapunktischeu Wendungen das Publicum niemals würde solgen können. Seit der Zeit hat er wol Gelegen¬ heit gehabt, diese Musik kennen zu lernen und sich ein ganz anderes Urtheil über sie zu bilden; sie ist gar nicht gelehrt, gar nicht cvutrapunktisch, und sie ist im höchsten Grade populär, so populär, daß jenes Publicum, dessen souveränes Ur¬ theil der Wohlbekannte zu zergliedern sucht, noch weit mehr davon erbaut wird, als vou Flotow und Bellini; und wenn der Wohlbekannte nach dem Grund dieses Beifalls fragen wollte, so würden wir ihn ans jene Gartenconcerte verweisen. Allerdings finden wir bei Wagner wenig leichte einfache Melodien, gar keine» deutlich ausgesprochenen rhythmischen Gang und am wenigsten eine einfache Har- moniebewegnng; dagegen wird wie i» jene» Schlachtgemälden sehr kräftig ans die Nerven deö Publicums gewirkt und die Bässe, die Posaune», die Trompeten jeder Art lasse» ihm keinen Zweifel darüber, was sie eigentlich meinen. Aller-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/69>, abgerufen am 22.07.2024.