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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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sondern namentlich die künstliche, an die Oper erinnernde Form. Freilich
hatte er auch dieses Princip bei seinem ""steten Wesen niemals ganz klar und
einheitlich durchbilden können und so geschah es, daß seine nächsten Anhänger
und Jünger in Dresden: Malsbnrg, Löwen, Bülow u. s. w. in derselben Zeit die
verzücktesten Anbeter Calderons waren, wo er seine kritischen Pfeile gegen ihn
abschoß.'

Als Göthe und Schiller mit Calderon bekannt gemacht wurden -- es geschah
nach dem Bericht von Gries (Schillers Leben von Schwab S. 7-17) im Jahre
-1803, als die ersten Stücke von Schlegel übersetzt waren -- faßten sie die rein
technische Seite auf "ut wurden davon entzückt, namentlich Schiller glaubte bei
früherer Bekanntschaft mit Calderon manche Irrthümer vermieden zu habe". Göthe
hatte ein richtigeres Urtheil.. "Caldero"", sagte er zu Eckermann, "so groß er
ist und so sehr ich ihn bewundere, hat ans mich gar keinen Einfluß gehabt, weder
im Guten noch im Schlimmen, Schillern aber wäre er gefährlich gewesen; er
wäre an ihm irre geworden und es ist daher ein Glück, daß Calderon erst nach
seinem Tode in Deutschland in allgemeine Aufnahme gekommen. Calderon ist
unendlich groß im Technischen und Theatralischen, Schiller dagegen weit tüchtiger,
ernster und größer im Wollen, "ut es wäre daher Schade gewesen, von solchen
Tugenden vielleicht etwas einzubüßen, ohne doch die Größe Calderons in anderer
Hinsicht zu erreichen." Göthe hätte sich noch schärfer ausdrücken können. Schiller
war nämlich ans dem besten Wege, infolge seiner griechischen Studien und seiner
ästhetischen Reflexionen manches von jenen großen und guten Eigenschaften zu
Gunsten des abstracten Kuustpriucips einzubüßen und Calderon hätte ihn darin
wesentlich bestärkt.

Festgestellt wurde für Deutschland die Bedeutung Calderons durch die
Schlcgelschc Uebersetzung, deren beide Bände 1809 bei Hitzig erschienen. Es
sind zwar nur ö Stücke darin, allein Schlegel hatte mit großem Geschick die
charakteristischen ausgewählt und zugleich deu Ton gefunden, in dem andere Ueber¬
setzer mit mehr mechanischem Talent weiter fortschreiten konnten. Seine Ueber¬
setzung bleibt ein bewundernswürdiges Werk, wenn sie auch nicht grade das
leistet, was sie leisten soll; denn der Hauptzweck eiuer Uebersetzung besteht doch
darin, drü Eindruck hervorzurufen, deu das Original macht. Schlegel ist es
zwar gelungen, ohne zu große Gewaltthätigkeit gegen die deutsche Sprache, die
schwierigen verwickelten und ganz undeutschen Formen des spanischen Verses auf
das getreueste wiederzugeben, aber diese Formen machen auf unser Ohr einen
ganz andern Eindruck, als bei den romanischen Völkern. Diesen ist die künst¬
liche Neimverschlingmig, die Assonanz u. s. w. in ihrer melodischen Sprache
geläufig, uns stört sie dagegen in der Auffassung des Sinus. Namentlich merkt
man das in den komischen Scenen, die in jedes Calderonsche Stück eingestreut
sind und die bei nus deu Eindruck von etwas Erkünsteltem und Erzwungenem


sondern namentlich die künstliche, an die Oper erinnernde Form. Freilich
hatte er auch dieses Princip bei seinem »»steten Wesen niemals ganz klar und
einheitlich durchbilden können und so geschah es, daß seine nächsten Anhänger
und Jünger in Dresden: Malsbnrg, Löwen, Bülow u. s. w. in derselben Zeit die
verzücktesten Anbeter Calderons waren, wo er seine kritischen Pfeile gegen ihn
abschoß.'

Als Göthe und Schiller mit Calderon bekannt gemacht wurden — es geschah
nach dem Bericht von Gries (Schillers Leben von Schwab S. 7-17) im Jahre
-1803, als die ersten Stücke von Schlegel übersetzt waren — faßten sie die rein
technische Seite auf »ut wurden davon entzückt, namentlich Schiller glaubte bei
früherer Bekanntschaft mit Calderon manche Irrthümer vermieden zu habe». Göthe
hatte ein richtigeres Urtheil.. „Caldero»", sagte er zu Eckermann, „so groß er
ist und so sehr ich ihn bewundere, hat ans mich gar keinen Einfluß gehabt, weder
im Guten noch im Schlimmen, Schillern aber wäre er gefährlich gewesen; er
wäre an ihm irre geworden und es ist daher ein Glück, daß Calderon erst nach
seinem Tode in Deutschland in allgemeine Aufnahme gekommen. Calderon ist
unendlich groß im Technischen und Theatralischen, Schiller dagegen weit tüchtiger,
ernster und größer im Wollen, »ut es wäre daher Schade gewesen, von solchen
Tugenden vielleicht etwas einzubüßen, ohne doch die Größe Calderons in anderer
Hinsicht zu erreichen." Göthe hätte sich noch schärfer ausdrücken können. Schiller
war nämlich ans dem besten Wege, infolge seiner griechischen Studien und seiner
ästhetischen Reflexionen manches von jenen großen und guten Eigenschaften zu
Gunsten des abstracten Kuustpriucips einzubüßen und Calderon hätte ihn darin
wesentlich bestärkt.

Festgestellt wurde für Deutschland die Bedeutung Calderons durch die
Schlcgelschc Uebersetzung, deren beide Bände 1809 bei Hitzig erschienen. Es
sind zwar nur ö Stücke darin, allein Schlegel hatte mit großem Geschick die
charakteristischen ausgewählt und zugleich deu Ton gefunden, in dem andere Ueber¬
setzer mit mehr mechanischem Talent weiter fortschreiten konnten. Seine Ueber¬
setzung bleibt ein bewundernswürdiges Werk, wenn sie auch nicht grade das
leistet, was sie leisten soll; denn der Hauptzweck eiuer Uebersetzung besteht doch
darin, drü Eindruck hervorzurufen, deu das Original macht. Schlegel ist es
zwar gelungen, ohne zu große Gewaltthätigkeit gegen die deutsche Sprache, die
schwierigen verwickelten und ganz undeutschen Formen des spanischen Verses auf
das getreueste wiederzugeben, aber diese Formen machen auf unser Ohr einen
ganz andern Eindruck, als bei den romanischen Völkern. Diesen ist die künst¬
liche Neimverschlingmig, die Assonanz u. s. w. in ihrer melodischen Sprache
geläufig, uns stört sie dagegen in der Auffassung des Sinus. Namentlich merkt
man das in den komischen Scenen, die in jedes Calderonsche Stück eingestreut
sind und die bei nus deu Eindruck von etwas Erkünsteltem und Erzwungenem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/53>, abgerufen am 22.07.2024.