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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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Natur, dieses zwecklose Geborcnwcrden, dieses endlose Arbeiten, dieses sinnlose Sträu¬
ben gegen den Tod betrachten, drängt sich uns die Einsicht auf, daß das Leben ein
Geschäft ist, dessen Ertrag bei weitem nicht die Kosten deckt____ Es liegt dieser
Widerspruch im Wesen des grundlosen Willens selbst, der seiner Natur nach nie ans
Ende kommen kann. Weil er das Wesen der Welt ist, ist das Menschenleben nichts
als Leiden, denn aller Wunsch ist Schmerz, weil Maugel die Grundbedingung des
Wollens ist. Nach dem Genuß oder der Befriedigung sind wir so weit, als wir vor¬
her waren, wir sind von einem Wunsch d, h. von einem" Leid befreit. Somit ist das
Begehren und Leiden das eigentliche Positive; wir fühlen den Schmerz, aber nicht die
Schmerzlosigkeit, d'er Gesundheit, Jugend und Freiheit werden wir erst inne, wen" wir
oder andere sie verloren haben, vorher waren sie nichts. Folgt es aber aus dem
Wesen des Willens, daß das Leben Leiden ist, und zwar ein um so größeres, je größer
die Erkenntniß und mit ihr das Bedürfniß ist, so ist jedes vermeintliche Ziel des
Willens nur ein Wahn. Denn mit dem Ziele, daS wir errreicht zu haben wähnen,
hörte ja der Wille und mit dem Willen das Leben ans." -- Es ist in dieser ganze"
Darstellung viel Richtiges, verfehlt ist nnr die ganze Stimmung und Färbung, und
diese hat wol eben darin ihren Grund, was Schopenhauer selbst als das Verkehrteste
bezeichnet. "Es gibt nur einen angebornen Irrthum und es ist der, daß wir da sind,
um glücklich zu sein." Indem unser Philosoph zwar uicht der Erkenntniß, aber dem
Wunsch nach, diesen Irrthum theilt, kommt er zu der ebenso verfehlten Ansicht, wir
wäre" da, um unglücklich zu sein. Glück und Unglück sind Kategorien, die sich nur
eine Zeit bildet, in welcher durch übertriebene und verwilderte Cultur das Maß der
Wünsche über das Maß der Natur hinausgegangen ist. Ob mau in jenen Augenblicken
glücklich in irgend welcher Form ist, sich amüsirt, sich begeistert, entzückt ü. s. w.
das weiß man unmittelbar, darüber braucht man nicht zu reflectiren. Wenn man aber
die ganze Summe des Lebens zieht und eine ganz unbestimmte und unklare Vorstellung
vom Glücke als den Inhalt desselben finden will, so wird man eine solche Erwartung
allerdings getäuscht finden und die Natur wird einen solche" Wechsel, wie ja schon
Schiller in seinem bekannten Gedicht ausspricht, nicht acceptiren. "Dein Glaube war
dein zugetheiltes Glück!" Ob das nun ein Trost ist, darüber mag sich der den Kopf
zerbreche", der in der Philosophie die sogenannte Weltweisheit sucht, der von ihr eine
Antwort aus alle Fragen verlangt, welche das Gemüth in irgend einer besondern Stim¬
mung aufstellt. Die' wirkliche Philosophie hat sich mit dieser Beantwortung nicht zu
beschäftigen, sie erklärt uns, was da ist, und überläßt es. dem einzelnen Gemüth, sich
damit zufrieden-z" geben oder nicht. --




Herausgegeben von Gustav Freytag ""d Julian Schmidt.
A!ö veraittwortl. Redacteur legitwnrN A. W. Grnnvw.-- Verlag von F. i?> Hat'dig
in Leipzig. '
' Druck von K. E. Elbert in Leipzig.

Natur, dieses zwecklose Geborcnwcrden, dieses endlose Arbeiten, dieses sinnlose Sträu¬
ben gegen den Tod betrachten, drängt sich uns die Einsicht auf, daß das Leben ein
Geschäft ist, dessen Ertrag bei weitem nicht die Kosten deckt____ Es liegt dieser
Widerspruch im Wesen des grundlosen Willens selbst, der seiner Natur nach nie ans
Ende kommen kann. Weil er das Wesen der Welt ist, ist das Menschenleben nichts
als Leiden, denn aller Wunsch ist Schmerz, weil Maugel die Grundbedingung des
Wollens ist. Nach dem Genuß oder der Befriedigung sind wir so weit, als wir vor¬
her waren, wir sind von einem Wunsch d, h. von einem" Leid befreit. Somit ist das
Begehren und Leiden das eigentliche Positive; wir fühlen den Schmerz, aber nicht die
Schmerzlosigkeit, d'er Gesundheit, Jugend und Freiheit werden wir erst inne, wen» wir
oder andere sie verloren haben, vorher waren sie nichts. Folgt es aber aus dem
Wesen des Willens, daß das Leben Leiden ist, und zwar ein um so größeres, je größer
die Erkenntniß und mit ihr das Bedürfniß ist, so ist jedes vermeintliche Ziel des
Willens nur ein Wahn. Denn mit dem Ziele, daS wir errreicht zu haben wähnen,
hörte ja der Wille und mit dem Willen das Leben ans." — Es ist in dieser ganze»
Darstellung viel Richtiges, verfehlt ist nnr die ganze Stimmung und Färbung, und
diese hat wol eben darin ihren Grund, was Schopenhauer selbst als das Verkehrteste
bezeichnet. „Es gibt nur einen angebornen Irrthum und es ist der, daß wir da sind,
um glücklich zu sein." Indem unser Philosoph zwar uicht der Erkenntniß, aber dem
Wunsch nach, diesen Irrthum theilt, kommt er zu der ebenso verfehlten Ansicht, wir
wäre» da, um unglücklich zu sein. Glück und Unglück sind Kategorien, die sich nur
eine Zeit bildet, in welcher durch übertriebene und verwilderte Cultur das Maß der
Wünsche über das Maß der Natur hinausgegangen ist. Ob mau in jenen Augenblicken
glücklich in irgend welcher Form ist, sich amüsirt, sich begeistert, entzückt ü. s. w.
das weiß man unmittelbar, darüber braucht man nicht zu reflectiren. Wenn man aber
die ganze Summe des Lebens zieht und eine ganz unbestimmte und unklare Vorstellung
vom Glücke als den Inhalt desselben finden will, so wird man eine solche Erwartung
allerdings getäuscht finden und die Natur wird einen solche» Wechsel, wie ja schon
Schiller in seinem bekannten Gedicht ausspricht, nicht acceptiren. „Dein Glaube war
dein zugetheiltes Glück!" Ob das nun ein Trost ist, darüber mag sich der den Kopf
zerbreche», der in der Philosophie die sogenannte Weltweisheit sucht, der von ihr eine
Antwort aus alle Fragen verlangt, welche das Gemüth in irgend einer besondern Stim¬
mung aufstellt. Die' wirkliche Philosophie hat sich mit dieser Beantwortung nicht zu
beschäftigen, sie erklärt uns, was da ist, und überläßt es. dem einzelnen Gemüth, sich
damit zufrieden-z» geben oder nicht. —




Herausgegeben von Gustav Freytag "»d Julian Schmidt.
A!ö veraittwortl. Redacteur legitwnrN A. W. Grnnvw.— Verlag von F. i?> Hat'dig
in Leipzig. '
' Druck von K. E. Elbert in Leipzig.
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[0528] Natur, dieses zwecklose Geborcnwcrden, dieses endlose Arbeiten, dieses sinnlose Sträu¬ ben gegen den Tod betrachten, drängt sich uns die Einsicht auf, daß das Leben ein Geschäft ist, dessen Ertrag bei weitem nicht die Kosten deckt____ Es liegt dieser Widerspruch im Wesen des grundlosen Willens selbst, der seiner Natur nach nie ans Ende kommen kann. Weil er das Wesen der Welt ist, ist das Menschenleben nichts als Leiden, denn aller Wunsch ist Schmerz, weil Maugel die Grundbedingung des Wollens ist. Nach dem Genuß oder der Befriedigung sind wir so weit, als wir vor¬ her waren, wir sind von einem Wunsch d, h. von einem" Leid befreit. Somit ist das Begehren und Leiden das eigentliche Positive; wir fühlen den Schmerz, aber nicht die Schmerzlosigkeit, d'er Gesundheit, Jugend und Freiheit werden wir erst inne, wen» wir oder andere sie verloren haben, vorher waren sie nichts. Folgt es aber aus dem Wesen des Willens, daß das Leben Leiden ist, und zwar ein um so größeres, je größer die Erkenntniß und mit ihr das Bedürfniß ist, so ist jedes vermeintliche Ziel des Willens nur ein Wahn. Denn mit dem Ziele, daS wir errreicht zu haben wähnen, hörte ja der Wille und mit dem Willen das Leben ans." — Es ist in dieser ganze» Darstellung viel Richtiges, verfehlt ist nnr die ganze Stimmung und Färbung, und diese hat wol eben darin ihren Grund, was Schopenhauer selbst als das Verkehrteste bezeichnet. „Es gibt nur einen angebornen Irrthum und es ist der, daß wir da sind, um glücklich zu sein." Indem unser Philosoph zwar uicht der Erkenntniß, aber dem Wunsch nach, diesen Irrthum theilt, kommt er zu der ebenso verfehlten Ansicht, wir wäre» da, um unglücklich zu sein. Glück und Unglück sind Kategorien, die sich nur eine Zeit bildet, in welcher durch übertriebene und verwilderte Cultur das Maß der Wünsche über das Maß der Natur hinausgegangen ist. Ob mau in jenen Augenblicken glücklich in irgend welcher Form ist, sich amüsirt, sich begeistert, entzückt ü. s. w. das weiß man unmittelbar, darüber braucht man nicht zu reflectiren. Wenn man aber die ganze Summe des Lebens zieht und eine ganz unbestimmte und unklare Vorstellung vom Glücke als den Inhalt desselben finden will, so wird man eine solche Erwartung allerdings getäuscht finden und die Natur wird einen solche» Wechsel, wie ja schon Schiller in seinem bekannten Gedicht ausspricht, nicht acceptiren. „Dein Glaube war dein zugetheiltes Glück!" Ob das nun ein Trost ist, darüber mag sich der den Kopf zerbreche», der in der Philosophie die sogenannte Weltweisheit sucht, der von ihr eine Antwort aus alle Fragen verlangt, welche das Gemüth in irgend einer besondern Stim¬ mung aufstellt. Die' wirkliche Philosophie hat sich mit dieser Beantwortung nicht zu beschäftigen, sie erklärt uns, was da ist, und überläßt es. dem einzelnen Gemüth, sich damit zufrieden-z» geben oder nicht. — Herausgegeben von Gustav Freytag "»d Julian Schmidt. A!ö veraittwortl. Redacteur legitwnrN A. W. Grnnvw.— Verlag von F. i?> Hat'dig in Leipzig. ' ' Druck von K. E. Elbert in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/528>, abgerufen am 22.07.2024.