Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.Seit dem Sturze des Systems, aus dem unser politisches Auftreten vor dem Wende¬ Die Versicherung ist insofern zutreffend, als ans der Rede allerdings die ganze Die Rede.spricht von dem Beruf Preußens, für Aufrechterhaltung des europäischen Nach diesen Prämissen erwartet jedermann, daß Preußen seine active Betheiligung Hin und wieder wird freilich durch einige eingestreute Worte die Hoffnung angeregt, Grenzl'oder. I. i8si, 66
Seit dem Sturze des Systems, aus dem unser politisches Auftreten vor dem Wende¬ Die Versicherung ist insofern zutreffend, als ans der Rede allerdings die ganze Die Rede.spricht von dem Beruf Preußens, für Aufrechterhaltung des europäischen Nach diesen Prämissen erwartet jedermann, daß Preußen seine active Betheiligung Hin und wieder wird freilich durch einige eingestreute Worte die Hoffnung angeregt, Grenzl'oder. I. i8si, 66
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0521" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/97767"/> <p xml:id="ID_1502"> Seit dem Sturze des Systems, aus dem unser politisches Auftreten vor dem Wende¬<lb/> punkt hervorging, scheint hier eine völlige Ratlosigkeit zu herrschen, Herr v. Ma»te»ffel hat<lb/> nicht die Situation zu beherrschen, d.as Kommende vorauszusehen und zu lenken gewußt; er hat<lb/> sich stets damit begnügt, sich durch das momentane Bedürfniß treiben zu lassen, „die Ereignisse<lb/> an sich herantreten zu lassen," um dann vor ihnen eine» Schritt zurückzuweichen. Von<lb/> einem neuen politischen System kann man deshalb nur im sinnender geistigen Führer<lb/> der Nussenpartci sprechen, zu deren Ziel allerdings die jetzige Haltlosigkeit unserer<lb/> Politik ein Uebergangsstadium bildet. Die Regierung entbehrt jedes festen Princips;<lb/> sie will keine Allianz mit Rußland, und sieht nicht, daß sie durch ihr Schwanken und<lb/> Irren Rußland in die Arme taumelt; sie erkennt daS Recht der Westmächte zum bewaff¬<lb/> neten Einschreiten gegen Nußland an, und minime dennoch eine Haltung an, durch die<lb/> sie unvermeidlich mit den Wcstmächten verfeindet wird; sie behauptet, auf dem Boden<lb/> der Wiener Conferenzbeschlüsse zu stehen, und läßt durch besondere Gesandte in Paris<lb/> und London die Annahme der von Rußland aufgesetzten Friedenspräliminarien befür¬<lb/> worte», die von der Conferenz für unannehmbar befunden worden. Es sollte Geld<lb/> von den Kammern gefordert werden; und da diese Forderung doch in irgend einer Weise<lb/> motivirt werden mußte, sah man sich genöthigt, die möglichen Eventualitäten genauer<lb/> ins Auge zu fassen. Sofort zeigte sich daS ganze Bedenken unserer Zustände. Endlich<lb/> ging aus den Berathungen des Staatsministeriums die Rede hervor, durch welche Herr<lb/> v. Manteuffel am Sonnabend die Kammern aufgeklärt zu haben versichert.</p><lb/> <p xml:id="ID_1503"> Die Versicherung ist insofern zutreffend, als ans der Rede allerdings die ganze<lb/> Schwierigkeit der Situation klar erkannt werden kann.</p><lb/> <p xml:id="ID_1504"> Die Rede.spricht von dem Beruf Preußens, für Aufrechterhaltung des europäischen<lb/> Friedens zu wirken, weist darauf hin, daß Preußen an den Wiener Conferenzen mit¬<lb/> gewirkt, hier seine Ansichten über die Rechtsfrage niedergelegt, und den Bemühungen<lb/> Oestreichs und der Wcftmächte dnrch seine Mitwirkung „das volle Gewicht der Gemein-<lb/> schaftlichkeit" verliehen habe, — Bemühungen, die bekanntlich auf der Grundanschauung<lb/> beruhen, daß die Integrität der Pforte ein europäisches Bedürfniß sei und daß sie dnrch<lb/> Rußlands Forderungen und sein militärisches Einschreiten gefährdet sei. Die Rede<lb/> versichert ferner, daß die Regierung entschlossen sei, „Preußen unter allen Um¬<lb/> ständen die ihm gebührende Mitwirkung zur Erhaltung des europäischen Gleichgewichts<lb/> zu wahren."</p><lb/> <p xml:id="ID_1505"> Nach diesen Prämissen erwartet jedermann, daß Preußen seine active Betheiligung<lb/> an den Operationen gegen Rußland zusicher» werde. Niemand kommt ans die kühne<lb/> Vermuthung. Preußen könne „die ihm gebührende Mitwirkung zur Erhaltung des euro¬<lb/> päischen Gleichgewichts" dadurch zu wahren gedenken, daß es eben für diese» Zweck<lb/> nicht mitwirkt. Gleichwol kommt die Rede zu dem Ergebniß, daß Preußen nnn in<lb/> dem beruhigenden Bewußtsein, seine Pflicht als Großmacht erfüllt zu haben, den Kampf<lb/> für die Herstellung des europäischen Gleichgewichts denen überlassen könne, die ihn auf¬<lb/> nehme» wolle», u»d daß es sich inzwischen der Segnungen des Friedens erfreuen dürfe..</p><lb/> <p xml:id="ID_1506" next="#ID_1507"> Hin und wieder wird freilich durch einige eingestreute Worte die Hoffnung angeregt,<lb/> daß Preuße» vielleicht später, bei weiterer Entwicklung der Ereignisse, gegen Rußland<lb/> auftrete» könnte, eingedenk seiner in Wien kundgegebenen Rechtsansicht und seines Be¬<lb/> rufes als Großmacht. Aber wem, ma» genauer Hinsicht, findet man, daß für den</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzl'oder. I. i8si, 66</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0521]
Seit dem Sturze des Systems, aus dem unser politisches Auftreten vor dem Wende¬
punkt hervorging, scheint hier eine völlige Ratlosigkeit zu herrschen, Herr v. Ma»te»ffel hat
nicht die Situation zu beherrschen, d.as Kommende vorauszusehen und zu lenken gewußt; er hat
sich stets damit begnügt, sich durch das momentane Bedürfniß treiben zu lassen, „die Ereignisse
an sich herantreten zu lassen," um dann vor ihnen eine» Schritt zurückzuweichen. Von
einem neuen politischen System kann man deshalb nur im sinnender geistigen Führer
der Nussenpartci sprechen, zu deren Ziel allerdings die jetzige Haltlosigkeit unserer
Politik ein Uebergangsstadium bildet. Die Regierung entbehrt jedes festen Princips;
sie will keine Allianz mit Rußland, und sieht nicht, daß sie durch ihr Schwanken und
Irren Rußland in die Arme taumelt; sie erkennt daS Recht der Westmächte zum bewaff¬
neten Einschreiten gegen Nußland an, und minime dennoch eine Haltung an, durch die
sie unvermeidlich mit den Wcstmächten verfeindet wird; sie behauptet, auf dem Boden
der Wiener Conferenzbeschlüsse zu stehen, und läßt durch besondere Gesandte in Paris
und London die Annahme der von Rußland aufgesetzten Friedenspräliminarien befür¬
worte», die von der Conferenz für unannehmbar befunden worden. Es sollte Geld
von den Kammern gefordert werden; und da diese Forderung doch in irgend einer Weise
motivirt werden mußte, sah man sich genöthigt, die möglichen Eventualitäten genauer
ins Auge zu fassen. Sofort zeigte sich daS ganze Bedenken unserer Zustände. Endlich
ging aus den Berathungen des Staatsministeriums die Rede hervor, durch welche Herr
v. Manteuffel am Sonnabend die Kammern aufgeklärt zu haben versichert.
Die Versicherung ist insofern zutreffend, als ans der Rede allerdings die ganze
Schwierigkeit der Situation klar erkannt werden kann.
Die Rede.spricht von dem Beruf Preußens, für Aufrechterhaltung des europäischen
Friedens zu wirken, weist darauf hin, daß Preußen an den Wiener Conferenzen mit¬
gewirkt, hier seine Ansichten über die Rechtsfrage niedergelegt, und den Bemühungen
Oestreichs und der Wcftmächte dnrch seine Mitwirkung „das volle Gewicht der Gemein-
schaftlichkeit" verliehen habe, — Bemühungen, die bekanntlich auf der Grundanschauung
beruhen, daß die Integrität der Pforte ein europäisches Bedürfniß sei und daß sie dnrch
Rußlands Forderungen und sein militärisches Einschreiten gefährdet sei. Die Rede
versichert ferner, daß die Regierung entschlossen sei, „Preußen unter allen Um¬
ständen die ihm gebührende Mitwirkung zur Erhaltung des europäischen Gleichgewichts
zu wahren."
Nach diesen Prämissen erwartet jedermann, daß Preußen seine active Betheiligung
an den Operationen gegen Rußland zusicher» werde. Niemand kommt ans die kühne
Vermuthung. Preußen könne „die ihm gebührende Mitwirkung zur Erhaltung des euro¬
päischen Gleichgewichts" dadurch zu wahren gedenken, daß es eben für diese» Zweck
nicht mitwirkt. Gleichwol kommt die Rede zu dem Ergebniß, daß Preußen nnn in
dem beruhigenden Bewußtsein, seine Pflicht als Großmacht erfüllt zu haben, den Kampf
für die Herstellung des europäischen Gleichgewichts denen überlassen könne, die ihn auf¬
nehme» wolle», u»d daß es sich inzwischen der Segnungen des Friedens erfreuen dürfe..
Hin und wieder wird freilich durch einige eingestreute Worte die Hoffnung angeregt,
daß Preuße» vielleicht später, bei weiterer Entwicklung der Ereignisse, gegen Rußland
auftrete» könnte, eingedenk seiner in Wien kundgegebenen Rechtsansicht und seines Be¬
rufes als Großmacht. Aber wem, ma» genauer Hinsicht, findet man, daß für den
Grenzl'oder. I. i8si, 66
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |