Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

sein, nicht blos in Fällen, wo seine eignen Interessen unmittelbar in's Spiel
kommen, sondern überhaupt Preußens Emporstreben auf jede Weise zu hinter¬
treiben, ihm in Oestreich, in den kleinen deutschen Staaten, in Dänemark
u. s. w. Feinde zu bereiten und dann die Miene eines strengen, aber doch wohl¬
gesinnten Beschützers anzunehmen. Jetzt ist der Augenblick gekommen, diese Noth¬
wendigkeit zu brechen. Zum ersten Male in der Geschichte hat die russische Po¬
litik einen übereilten Schritt gethan, und es bedarf nur einer.starken und ent¬
schlossenen Hand, um ihr jenes traurige Schicksal, durch fortdauernde Vergröße¬
rung endlich zur innerlichen Auslosung zu schreiten, anf ewige Zeit zu ersparen.
Geht aber dieser Augenblick unbenutzt vorüber, so wird er nicht wieder kommen.

Daß auf die Länge die Neutralität der deutschen Staaten unmöglich wird,
darüber täuscht sich wol niemand. Der Friede kann nicht im Orient, aber auch
nicht durch einen Seekrieg in der Ostsee entschieden werden. Zwar wird Nu߬
land in beiden Fällen unzweifelhaft den Kürzeren ziehen, aber wenn anch seine
Kraft für den Angriffskrieg lange nicht so hoch zu schätze" ist, als man es ge¬
wöhnlich thut, so ist seine Macht des Widerstandes sehr bedeutend. Nur ein
Masscufcldzug kauu Rußland zu einem solchen Frieden zwinge", wie Europa ihn
l'edarf. Dem Anschein nach gibt dieser Umstand Preußen eine sehr günstige Lage,
denn ohne die Mitwirkung dieser Macht können die Verbündeten ihre letzten
Zwecke nicht erreichen. Aber in diesem scheinbaren Vortheil liegt anch eine große
Gefahr, denn Frankreich und England kann unmöglich zulassen, daß eine so
günstig sitnirte, mit starken Streitkräften versehene Monarchie wie Preußen
zwischen ihnen und Rußland bleibt, ohne sich fest zu binden. Vielleicht werden
sie ein augenblickliches actives Mitwirken von Preußen ebensowenig fordern, als
von Oestreich; aber was sie fordern werden, weil sie es fordern müssen, ist ein
definitiver Vertrag, in welchem Oestreich und Preußen ihren moralischen Beistand
anf eine unzweideutige Weise der von ihnen selbst für gerecht erkannte" Sache
zusichern. El" solcher Vertrag wäre nnr darum uoch etwas Anderes, als eine
directe Kriegserklärung gegen Rußland, weil möglicherweise der Kaiser von
Rußland dadurch veranlaßt werben könnte, noch im letzten Augenblicke von seinen
Ansprüchen zurückzutreten, er hätte noch den andern Vortheil, daß durch dieses
mildere Vorgehen die beiden deutschen Staaten ihre alten Traditionen schonten.

Was wird nun England und Frankreich thun, wenn ihnen ein solcher Ver¬
trag verweigert wird, wie eS jetzt in Aussicht steht? Von ihrem Unternehmen
gegen Nußland abstehen werden sie nicht, weil sie es nicht können. Sie werden
also auch in dem Fall, daß Oestreich, Preußen und die deutschen Staaten zu¬
sammenhalten, zu Zwangsmaßregeln gegen diese Staaten vorschreiten. Die Mittel
haben sie durch die Jnsnrgirnng der Polen und Italiener, vielleicht der Ungar",
dnrch die Blockade der Hase" a" der Ostsee, Nordsee und dem adriatischen Meer,
u"d durch die Besetzung der Rheinprovinzen vollkommen in den Händen.


sein, nicht blos in Fällen, wo seine eignen Interessen unmittelbar in's Spiel
kommen, sondern überhaupt Preußens Emporstreben auf jede Weise zu hinter¬
treiben, ihm in Oestreich, in den kleinen deutschen Staaten, in Dänemark
u. s. w. Feinde zu bereiten und dann die Miene eines strengen, aber doch wohl¬
gesinnten Beschützers anzunehmen. Jetzt ist der Augenblick gekommen, diese Noth¬
wendigkeit zu brechen. Zum ersten Male in der Geschichte hat die russische Po¬
litik einen übereilten Schritt gethan, und es bedarf nur einer.starken und ent¬
schlossenen Hand, um ihr jenes traurige Schicksal, durch fortdauernde Vergröße¬
rung endlich zur innerlichen Auslosung zu schreiten, anf ewige Zeit zu ersparen.
Geht aber dieser Augenblick unbenutzt vorüber, so wird er nicht wieder kommen.

Daß auf die Länge die Neutralität der deutschen Staaten unmöglich wird,
darüber täuscht sich wol niemand. Der Friede kann nicht im Orient, aber auch
nicht durch einen Seekrieg in der Ostsee entschieden werden. Zwar wird Nu߬
land in beiden Fällen unzweifelhaft den Kürzeren ziehen, aber wenn anch seine
Kraft für den Angriffskrieg lange nicht so hoch zu schätze» ist, als man es ge¬
wöhnlich thut, so ist seine Macht des Widerstandes sehr bedeutend. Nur ein
Masscufcldzug kauu Rußland zu einem solchen Frieden zwinge», wie Europa ihn
l'edarf. Dem Anschein nach gibt dieser Umstand Preußen eine sehr günstige Lage,
denn ohne die Mitwirkung dieser Macht können die Verbündeten ihre letzten
Zwecke nicht erreichen. Aber in diesem scheinbaren Vortheil liegt anch eine große
Gefahr, denn Frankreich und England kann unmöglich zulassen, daß eine so
günstig sitnirte, mit starken Streitkräften versehene Monarchie wie Preußen
zwischen ihnen und Rußland bleibt, ohne sich fest zu binden. Vielleicht werden
sie ein augenblickliches actives Mitwirken von Preußen ebensowenig fordern, als
von Oestreich; aber was sie fordern werden, weil sie es fordern müssen, ist ein
definitiver Vertrag, in welchem Oestreich und Preußen ihren moralischen Beistand
anf eine unzweideutige Weise der von ihnen selbst für gerecht erkannte» Sache
zusichern. El» solcher Vertrag wäre nnr darum uoch etwas Anderes, als eine
directe Kriegserklärung gegen Rußland, weil möglicherweise der Kaiser von
Rußland dadurch veranlaßt werben könnte, noch im letzten Augenblicke von seinen
Ansprüchen zurückzutreten, er hätte noch den andern Vortheil, daß durch dieses
mildere Vorgehen die beiden deutschen Staaten ihre alten Traditionen schonten.

Was wird nun England und Frankreich thun, wenn ihnen ein solcher Ver¬
trag verweigert wird, wie eS jetzt in Aussicht steht? Von ihrem Unternehmen
gegen Nußland abstehen werden sie nicht, weil sie es nicht können. Sie werden
also auch in dem Fall, daß Oestreich, Preußen und die deutschen Staaten zu¬
sammenhalten, zu Zwangsmaßregeln gegen diese Staaten vorschreiten. Die Mittel
haben sie durch die Jnsnrgirnng der Polen und Italiener, vielleicht der Ungar»,
dnrch die Blockade der Hase» a» der Ostsee, Nordsee und dem adriatischen Meer,
u»d durch die Besetzung der Rheinprovinzen vollkommen in den Händen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0511" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/97757"/>
          <p xml:id="ID_1466" prev="#ID_1465"> sein, nicht blos in Fällen, wo seine eignen Interessen unmittelbar in's Spiel<lb/>
kommen, sondern überhaupt Preußens Emporstreben auf jede Weise zu hinter¬<lb/>
treiben, ihm in Oestreich, in den kleinen deutschen Staaten, in Dänemark<lb/>
u. s. w. Feinde zu bereiten und dann die Miene eines strengen, aber doch wohl¬<lb/>
gesinnten Beschützers anzunehmen. Jetzt ist der Augenblick gekommen, diese Noth¬<lb/>
wendigkeit zu brechen. Zum ersten Male in der Geschichte hat die russische Po¬<lb/>
litik einen übereilten Schritt gethan, und es bedarf nur einer.starken und ent¬<lb/>
schlossenen Hand, um ihr jenes traurige Schicksal, durch fortdauernde Vergröße¬<lb/>
rung endlich zur innerlichen Auslosung zu schreiten, anf ewige Zeit zu ersparen.<lb/>
Geht aber dieser Augenblick unbenutzt vorüber, so wird er nicht wieder kommen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1467"> Daß auf die Länge die Neutralität der deutschen Staaten unmöglich wird,<lb/>
darüber täuscht sich wol niemand. Der Friede kann nicht im Orient, aber auch<lb/>
nicht durch einen Seekrieg in der Ostsee entschieden werden. Zwar wird Nu߬<lb/>
land in beiden Fällen unzweifelhaft den Kürzeren ziehen, aber wenn anch seine<lb/>
Kraft für den Angriffskrieg lange nicht so hoch zu schätze» ist, als man es ge¬<lb/>
wöhnlich thut, so ist seine Macht des Widerstandes sehr bedeutend. Nur ein<lb/>
Masscufcldzug kauu Rußland zu einem solchen Frieden zwinge», wie Europa ihn<lb/>
l'edarf. Dem Anschein nach gibt dieser Umstand Preußen eine sehr günstige Lage,<lb/>
denn ohne die Mitwirkung dieser Macht können die Verbündeten ihre letzten<lb/>
Zwecke nicht erreichen. Aber in diesem scheinbaren Vortheil liegt anch eine große<lb/>
Gefahr, denn Frankreich und England kann unmöglich zulassen, daß eine so<lb/>
günstig sitnirte, mit starken Streitkräften versehene Monarchie wie Preußen<lb/>
zwischen ihnen und Rußland bleibt, ohne sich fest zu binden. Vielleicht werden<lb/>
sie ein augenblickliches actives Mitwirken von Preußen ebensowenig fordern, als<lb/>
von Oestreich; aber was sie fordern werden, weil sie es fordern müssen, ist ein<lb/>
definitiver Vertrag, in welchem Oestreich und Preußen ihren moralischen Beistand<lb/>
anf eine unzweideutige Weise der von ihnen selbst für gerecht erkannte» Sache<lb/>
zusichern. El» solcher Vertrag wäre nnr darum uoch etwas Anderes, als eine<lb/>
directe Kriegserklärung gegen Rußland, weil möglicherweise der Kaiser von<lb/>
Rußland dadurch veranlaßt werben könnte, noch im letzten Augenblicke von seinen<lb/>
Ansprüchen zurückzutreten, er hätte noch den andern Vortheil, daß durch dieses<lb/>
mildere Vorgehen die beiden deutschen Staaten ihre alten Traditionen schonten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1468"> Was wird nun England und Frankreich thun, wenn ihnen ein solcher Ver¬<lb/>
trag verweigert wird, wie eS jetzt in Aussicht steht? Von ihrem Unternehmen<lb/>
gegen Nußland abstehen werden sie nicht, weil sie es nicht können. Sie werden<lb/>
also auch in dem Fall, daß Oestreich, Preußen und die deutschen Staaten zu¬<lb/>
sammenhalten, zu Zwangsmaßregeln gegen diese Staaten vorschreiten. Die Mittel<lb/>
haben sie durch die Jnsnrgirnng der Polen und Italiener, vielleicht der Ungar»,<lb/>
dnrch die Blockade der Hase» a» der Ostsee, Nordsee und dem adriatischen Meer,<lb/>
u»d durch die Besetzung der Rheinprovinzen vollkommen in den Händen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0511] sein, nicht blos in Fällen, wo seine eignen Interessen unmittelbar in's Spiel kommen, sondern überhaupt Preußens Emporstreben auf jede Weise zu hinter¬ treiben, ihm in Oestreich, in den kleinen deutschen Staaten, in Dänemark u. s. w. Feinde zu bereiten und dann die Miene eines strengen, aber doch wohl¬ gesinnten Beschützers anzunehmen. Jetzt ist der Augenblick gekommen, diese Noth¬ wendigkeit zu brechen. Zum ersten Male in der Geschichte hat die russische Po¬ litik einen übereilten Schritt gethan, und es bedarf nur einer.starken und ent¬ schlossenen Hand, um ihr jenes traurige Schicksal, durch fortdauernde Vergröße¬ rung endlich zur innerlichen Auslosung zu schreiten, anf ewige Zeit zu ersparen. Geht aber dieser Augenblick unbenutzt vorüber, so wird er nicht wieder kommen. Daß auf die Länge die Neutralität der deutschen Staaten unmöglich wird, darüber täuscht sich wol niemand. Der Friede kann nicht im Orient, aber auch nicht durch einen Seekrieg in der Ostsee entschieden werden. Zwar wird Nu߬ land in beiden Fällen unzweifelhaft den Kürzeren ziehen, aber wenn anch seine Kraft für den Angriffskrieg lange nicht so hoch zu schätze» ist, als man es ge¬ wöhnlich thut, so ist seine Macht des Widerstandes sehr bedeutend. Nur ein Masscufcldzug kauu Rußland zu einem solchen Frieden zwinge», wie Europa ihn l'edarf. Dem Anschein nach gibt dieser Umstand Preußen eine sehr günstige Lage, denn ohne die Mitwirkung dieser Macht können die Verbündeten ihre letzten Zwecke nicht erreichen. Aber in diesem scheinbaren Vortheil liegt anch eine große Gefahr, denn Frankreich und England kann unmöglich zulassen, daß eine so günstig sitnirte, mit starken Streitkräften versehene Monarchie wie Preußen zwischen ihnen und Rußland bleibt, ohne sich fest zu binden. Vielleicht werden sie ein augenblickliches actives Mitwirken von Preußen ebensowenig fordern, als von Oestreich; aber was sie fordern werden, weil sie es fordern müssen, ist ein definitiver Vertrag, in welchem Oestreich und Preußen ihren moralischen Beistand anf eine unzweideutige Weise der von ihnen selbst für gerecht erkannte» Sache zusichern. El» solcher Vertrag wäre nnr darum uoch etwas Anderes, als eine directe Kriegserklärung gegen Rußland, weil möglicherweise der Kaiser von Rußland dadurch veranlaßt werben könnte, noch im letzten Augenblicke von seinen Ansprüchen zurückzutreten, er hätte noch den andern Vortheil, daß durch dieses mildere Vorgehen die beiden deutschen Staaten ihre alten Traditionen schonten. Was wird nun England und Frankreich thun, wenn ihnen ein solcher Ver¬ trag verweigert wird, wie eS jetzt in Aussicht steht? Von ihrem Unternehmen gegen Nußland abstehen werden sie nicht, weil sie es nicht können. Sie werden also auch in dem Fall, daß Oestreich, Preußen und die deutschen Staaten zu¬ sammenhalten, zu Zwangsmaßregeln gegen diese Staaten vorschreiten. Die Mittel haben sie durch die Jnsnrgirnng der Polen und Italiener, vielleicht der Ungar», dnrch die Blockade der Hase» a» der Ostsee, Nordsee und dem adriatischen Meer, u»d durch die Besetzung der Rheinprovinzen vollkommen in den Händen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/511
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/511>, abgerufen am 22.07.2024.