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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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ner Fruchtbarkeit beharrt, sondern auch Göthe noch Weiler angeregt hätte. So
aber war man genöthigt, zu Uebersetzungen zu greifen. Man gab den Sophokles,
den Plautus, den Terenz, man ging auch wieder auf das französische Theater
zurück, in dem man einen gewissen romantischen, d. l). idealistischen Zug erkannte,
den man früher ganz übersehen hatte. In allen diesen Versuchen kam es lediglich
ans die ideale Form an und das ging soweit, daß Göthe im Jahre 1802 ein
so wunderliches Product wie den Alarkos dem Publicum aufdrängte, blos um sich
darüber klar zu machen, wie sich die Verbindung von Trimetern und Assonanzen
anf der Bühne ausnähme. Wie sich dies abstracte Kuustpriucip in den eigenen
Werken unserer Dichter geltend machte, haben wir bei einer früheren Gelegenheit
auseinandergesetzt.

Nun stand damals die romantische Schule in der engsten Verbindung mit
der idealistischen in Weimar. Sie ging ganz von denselben Grundsätzen aus,
daß nämlich die Poesie und die Kunst überhaupt etwas weit Vornehmeres und
Erhabeneres sei, als das wirkliche Leben, namentlich als das wirkliche Leben der
Gegenwart, und daß sie ihre Würde und Reinheit nur dadurch bewahren könne,
wenn sie sich an demselben ganz und gar nicht betheiligte. Nun muß aber ein
gewisses Leben in jedem Kunstwerke vorhanden sein, denn nur ausnahmsweise
und in besonders günstigen Momenten gelingt es Männern, wie den Gebrüdern
Schlegel, Kunstwerke hervorzubringen, die gar kein Leben, d. h. gar keinen Sinn
enthalten; also mußte nao sich um der Kunst willen fremdem, vergangenem Leben
zuwenden, am liebsten solchem, welches in allen Punkten der Widerspruch gegen
das gegenwärtige war. In dem Suchen nach einem solchen Leben konnte kein
Dichter ihnen gelegener kommen, als Calderon. Denn die indischen Dichter stan¬
den uns zwar noch ferner, allein sie machten auch keine directe Opposition gegen
unsere Begriffe, weil sie gar kein Verhältniß zu denselben hatten. Uebrigens bleibt
es uns doch noch immer merkwürdig, daß man nicht anch einmal die Sakontala
in Weimar aufgeführt hat, gestört hätte es in keiner Weise.

Calderon wurde nun von sämmtlichen Romantikern in Prosa und Versen
auf das eifrigste besungen, sie wetteiferten darin, sich seiner Bildersprache zu nä¬
hern und in so bunten naturphilosophischen Vorstellungen als möglich auszudrücken,
daß sie ihn sehr verehrten, wenn sie auch den Grund dieser Verehrung nicht recht
klar machten. Wir wollen gleich hier bemerken, daß dieses auch später der Schule
nicht gelungen ist, als sie aus ihrer visionären Entwickelungsperiode in eine mehr
ruhige, reflectirende eintrat. So sollte man z. B. in den dramatischen Vorlesun¬
gen von A. W. Schlegel, die noch immer auf eine höchst ungebührliche Weise
überschätzt werden, vor allem erwarten, daß er diese Periode des Theaters, die
der öffentlichen Meinung viel fremder stand, am ausführlichsten behandeln, daß
er näher motiviren würde, warum dieselbe so große Bewunderung verdiene. Aber
das ganze spanische Theater ist auf 2i Seiten abgemacht, wir finden einige ganz


K*

ner Fruchtbarkeit beharrt, sondern auch Göthe noch Weiler angeregt hätte. So
aber war man genöthigt, zu Uebersetzungen zu greifen. Man gab den Sophokles,
den Plautus, den Terenz, man ging auch wieder auf das französische Theater
zurück, in dem man einen gewissen romantischen, d. l). idealistischen Zug erkannte,
den man früher ganz übersehen hatte. In allen diesen Versuchen kam es lediglich
ans die ideale Form an und das ging soweit, daß Göthe im Jahre 1802 ein
so wunderliches Product wie den Alarkos dem Publicum aufdrängte, blos um sich
darüber klar zu machen, wie sich die Verbindung von Trimetern und Assonanzen
anf der Bühne ausnähme. Wie sich dies abstracte Kuustpriucip in den eigenen
Werken unserer Dichter geltend machte, haben wir bei einer früheren Gelegenheit
auseinandergesetzt.

Nun stand damals die romantische Schule in der engsten Verbindung mit
der idealistischen in Weimar. Sie ging ganz von denselben Grundsätzen aus,
daß nämlich die Poesie und die Kunst überhaupt etwas weit Vornehmeres und
Erhabeneres sei, als das wirkliche Leben, namentlich als das wirkliche Leben der
Gegenwart, und daß sie ihre Würde und Reinheit nur dadurch bewahren könne,
wenn sie sich an demselben ganz und gar nicht betheiligte. Nun muß aber ein
gewisses Leben in jedem Kunstwerke vorhanden sein, denn nur ausnahmsweise
und in besonders günstigen Momenten gelingt es Männern, wie den Gebrüdern
Schlegel, Kunstwerke hervorzubringen, die gar kein Leben, d. h. gar keinen Sinn
enthalten; also mußte nao sich um der Kunst willen fremdem, vergangenem Leben
zuwenden, am liebsten solchem, welches in allen Punkten der Widerspruch gegen
das gegenwärtige war. In dem Suchen nach einem solchen Leben konnte kein
Dichter ihnen gelegener kommen, als Calderon. Denn die indischen Dichter stan¬
den uns zwar noch ferner, allein sie machten auch keine directe Opposition gegen
unsere Begriffe, weil sie gar kein Verhältniß zu denselben hatten. Uebrigens bleibt
es uns doch noch immer merkwürdig, daß man nicht anch einmal die Sakontala
in Weimar aufgeführt hat, gestört hätte es in keiner Weise.

Calderon wurde nun von sämmtlichen Romantikern in Prosa und Versen
auf das eifrigste besungen, sie wetteiferten darin, sich seiner Bildersprache zu nä¬
hern und in so bunten naturphilosophischen Vorstellungen als möglich auszudrücken,
daß sie ihn sehr verehrten, wenn sie auch den Grund dieser Verehrung nicht recht
klar machten. Wir wollen gleich hier bemerken, daß dieses auch später der Schule
nicht gelungen ist, als sie aus ihrer visionären Entwickelungsperiode in eine mehr
ruhige, reflectirende eintrat. So sollte man z. B. in den dramatischen Vorlesun¬
gen von A. W. Schlegel, die noch immer auf eine höchst ungebührliche Weise
überschätzt werden, vor allem erwarten, daß er diese Periode des Theaters, die
der öffentlichen Meinung viel fremder stand, am ausführlichsten behandeln, daß
er näher motiviren würde, warum dieselbe so große Bewunderung verdiene. Aber
das ganze spanische Theater ist auf 2i Seiten abgemacht, wir finden einige ganz


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/51>, abgerufen am 22.07.2024.