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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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Giebeln einen stattlichen Eindruck. Man hat in neuster Zeit angefangen, den
gothischen und normannischen Stil mit mancherlei Zusätzen wiederzugeben, indem
man indifferent gebaute" Hausern mit Thürmen, Simsen und Rippenwerk aus
gebräuntem Thon zu Hilfe kam. Es findet sich eine Peutingerstraßc, eine Phi-
lippine-Welserstraße zur Erinnerung an die alten Namen: doch ist zu bemerken,
daß dieselben erst von König Ludwig eingeführt wurden.

, Zwei Drittel der> 40,000 Einwohner vou Augsburg sind katholisch, ein
Drittel ist protestantisch und die städtische Verfassung ist nach mancherlei Kämpfen
"paritätisch" geworden. Einem katholische" ersten Bürgermeister steht ein zweiter
protestantischer zur Seite; dem katholischen Thurmwächter auf dem Gerlachthurme
ein protestantischer zweiter Thurmwächter. Am Fronleichnamsfeste müssen die
Protestanten ihre Läden schließen und die Katholiken haben es als Vergeltung
am (westphälischen) Friedcnöfeste zu thun, das die Protestanten sehr feierlich be¬
gehen. Reibungen zwischen den beiden Confessionen bleiben nicht ans; gewöhn¬
lich suchen dieselben auf dem Gebiet der Verwaltung der öffentlichen Stiftungen
das Object und sie sind dann in den öffentlichen Stadtrathssitzuugcn aufzutragen.
Die Katholiken verweisen gern auf die Fnggcrei, allein eine Menge von wohl¬
thätigen Stiftungen der Familien Stellen, Schätzler, Klanke, Wohnlich, Zink ?c.
können sich ihr dreist an die Seite stelle". -- Ueberhaupt behaupte" Reichthum,
Unternehmungsgeist und Intelligenz auf protestantischer Seite das Uebergewicht.
Zwar sind die Nachkommen des Webers Fugger katholisch geblieben und gehören
mit ihrem Grundbesitz dem Fendaladel an; der eigentliche städtische Adel aber,
mit den Stetten an der Spitze, sind protestantisch und auch die Grase" Pappen-
heim, die noch immer gern in der Stadt ihres alten Bnrggrafeuthums residiren,
sind trotz des Ahnherrn, welcher mit den beiden Schwertern ans der Stirn ge¬
boren wurde, zur protestantischen Kirche übergetreten. Die französisch-bairischen
Gcldbarone Schätzler, Süßkind, Beck sind protestantisch, zum Theil mit alttesta-
mentlicher Beimischung.

Noch immer ist Augsburg ein bedeutender Wechselplatz; aber es hat neuer-
dings dadurch seine" eigenthümlichen. Charakter als Fabrikort bekommen, daß die
Banquiers und Kapitalisten die großen aufs Trockne gebrachten Summen nach man¬
chen bösen Erfahrungen fast ganz aus dem Dissereuzgeschäst heraufzogen und jene
Actiengesellschaften gründeten, welche, die großen Etablissements von Augsburg,
Kaufbeuern und Kempten besitzen. So ist Augsburg mit seinen 100,000 Spin¬
deln und vielleicht 3000 Webstühlen zu seinem ursprünglichen Hauptgewerbe zurück¬
gekehrt, mit dem Unterschiede jedoch, daß Philipps II. Vergleich des Webers mit
dem Könige nicht recht mehr passen will, weil gegenwärtig das Zusammenwirken
von Köpf, Hand und Fuß wenigstens mehrfach aufgelöst und die Arbeit gar sehr
vertheilt worden ist. Waren die alten Weber-, Färber- und Schmiedemeister zu¬
gleich auch Reisige und Rathsherrn, so wäre es unrecht, wollten wir verhehlen,


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Giebeln einen stattlichen Eindruck. Man hat in neuster Zeit angefangen, den
gothischen und normannischen Stil mit mancherlei Zusätzen wiederzugeben, indem
man indifferent gebaute» Hausern mit Thürmen, Simsen und Rippenwerk aus
gebräuntem Thon zu Hilfe kam. Es findet sich eine Peutingerstraßc, eine Phi-
lippine-Welserstraße zur Erinnerung an die alten Namen: doch ist zu bemerken,
daß dieselben erst von König Ludwig eingeführt wurden.

, Zwei Drittel der> 40,000 Einwohner vou Augsburg sind katholisch, ein
Drittel ist protestantisch und die städtische Verfassung ist nach mancherlei Kämpfen
„paritätisch" geworden. Einem katholische» ersten Bürgermeister steht ein zweiter
protestantischer zur Seite; dem katholischen Thurmwächter auf dem Gerlachthurme
ein protestantischer zweiter Thurmwächter. Am Fronleichnamsfeste müssen die
Protestanten ihre Läden schließen und die Katholiken haben es als Vergeltung
am (westphälischen) Friedcnöfeste zu thun, das die Protestanten sehr feierlich be¬
gehen. Reibungen zwischen den beiden Confessionen bleiben nicht ans; gewöhn¬
lich suchen dieselben auf dem Gebiet der Verwaltung der öffentlichen Stiftungen
das Object und sie sind dann in den öffentlichen Stadtrathssitzuugcn aufzutragen.
Die Katholiken verweisen gern auf die Fnggcrei, allein eine Menge von wohl¬
thätigen Stiftungen der Familien Stellen, Schätzler, Klanke, Wohnlich, Zink ?c.
können sich ihr dreist an die Seite stelle». — Ueberhaupt behaupte» Reichthum,
Unternehmungsgeist und Intelligenz auf protestantischer Seite das Uebergewicht.
Zwar sind die Nachkommen des Webers Fugger katholisch geblieben und gehören
mit ihrem Grundbesitz dem Fendaladel an; der eigentliche städtische Adel aber,
mit den Stetten an der Spitze, sind protestantisch und auch die Grase» Pappen-
heim, die noch immer gern in der Stadt ihres alten Bnrggrafeuthums residiren,
sind trotz des Ahnherrn, welcher mit den beiden Schwertern ans der Stirn ge¬
boren wurde, zur protestantischen Kirche übergetreten. Die französisch-bairischen
Gcldbarone Schätzler, Süßkind, Beck sind protestantisch, zum Theil mit alttesta-
mentlicher Beimischung.

Noch immer ist Augsburg ein bedeutender Wechselplatz; aber es hat neuer-
dings dadurch seine» eigenthümlichen. Charakter als Fabrikort bekommen, daß die
Banquiers und Kapitalisten die großen aufs Trockne gebrachten Summen nach man¬
chen bösen Erfahrungen fast ganz aus dem Dissereuzgeschäst heraufzogen und jene
Actiengesellschaften gründeten, welche, die großen Etablissements von Augsburg,
Kaufbeuern und Kempten besitzen. So ist Augsburg mit seinen 100,000 Spin¬
deln und vielleicht 3000 Webstühlen zu seinem ursprünglichen Hauptgewerbe zurück¬
gekehrt, mit dem Unterschiede jedoch, daß Philipps II. Vergleich des Webers mit
dem Könige nicht recht mehr passen will, weil gegenwärtig das Zusammenwirken
von Köpf, Hand und Fuß wenigstens mehrfach aufgelöst und die Arbeit gar sehr
vertheilt worden ist. Waren die alten Weber-, Färber- und Schmiedemeister zu¬
gleich auch Reisige und Rathsherrn, so wäre es unrecht, wollten wir verhehlen,


Grenzboten. I. -ILl-i. >63
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[0505] Giebeln einen stattlichen Eindruck. Man hat in neuster Zeit angefangen, den gothischen und normannischen Stil mit mancherlei Zusätzen wiederzugeben, indem man indifferent gebaute» Hausern mit Thürmen, Simsen und Rippenwerk aus gebräuntem Thon zu Hilfe kam. Es findet sich eine Peutingerstraßc, eine Phi- lippine-Welserstraße zur Erinnerung an die alten Namen: doch ist zu bemerken, daß dieselben erst von König Ludwig eingeführt wurden. , Zwei Drittel der> 40,000 Einwohner vou Augsburg sind katholisch, ein Drittel ist protestantisch und die städtische Verfassung ist nach mancherlei Kämpfen „paritätisch" geworden. Einem katholische» ersten Bürgermeister steht ein zweiter protestantischer zur Seite; dem katholischen Thurmwächter auf dem Gerlachthurme ein protestantischer zweiter Thurmwächter. Am Fronleichnamsfeste müssen die Protestanten ihre Läden schließen und die Katholiken haben es als Vergeltung am (westphälischen) Friedcnöfeste zu thun, das die Protestanten sehr feierlich be¬ gehen. Reibungen zwischen den beiden Confessionen bleiben nicht ans; gewöhn¬ lich suchen dieselben auf dem Gebiet der Verwaltung der öffentlichen Stiftungen das Object und sie sind dann in den öffentlichen Stadtrathssitzuugcn aufzutragen. Die Katholiken verweisen gern auf die Fnggcrei, allein eine Menge von wohl¬ thätigen Stiftungen der Familien Stellen, Schätzler, Klanke, Wohnlich, Zink ?c. können sich ihr dreist an die Seite stelle». — Ueberhaupt behaupte» Reichthum, Unternehmungsgeist und Intelligenz auf protestantischer Seite das Uebergewicht. Zwar sind die Nachkommen des Webers Fugger katholisch geblieben und gehören mit ihrem Grundbesitz dem Fendaladel an; der eigentliche städtische Adel aber, mit den Stetten an der Spitze, sind protestantisch und auch die Grase» Pappen- heim, die noch immer gern in der Stadt ihres alten Bnrggrafeuthums residiren, sind trotz des Ahnherrn, welcher mit den beiden Schwertern ans der Stirn ge¬ boren wurde, zur protestantischen Kirche übergetreten. Die französisch-bairischen Gcldbarone Schätzler, Süßkind, Beck sind protestantisch, zum Theil mit alttesta- mentlicher Beimischung. Noch immer ist Augsburg ein bedeutender Wechselplatz; aber es hat neuer- dings dadurch seine» eigenthümlichen. Charakter als Fabrikort bekommen, daß die Banquiers und Kapitalisten die großen aufs Trockne gebrachten Summen nach man¬ chen bösen Erfahrungen fast ganz aus dem Dissereuzgeschäst heraufzogen und jene Actiengesellschaften gründeten, welche, die großen Etablissements von Augsburg, Kaufbeuern und Kempten besitzen. So ist Augsburg mit seinen 100,000 Spin¬ deln und vielleicht 3000 Webstühlen zu seinem ursprünglichen Hauptgewerbe zurück¬ gekehrt, mit dem Unterschiede jedoch, daß Philipps II. Vergleich des Webers mit dem Könige nicht recht mehr passen will, weil gegenwärtig das Zusammenwirken von Köpf, Hand und Fuß wenigstens mehrfach aufgelöst und die Arbeit gar sehr vertheilt worden ist. Waren die alten Weber-, Färber- und Schmiedemeister zu¬ gleich auch Reisige und Rathsherrn, so wäre es unrecht, wollten wir verhehlen, Grenzboten. I. -ILl-i. >63

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/505>, abgerufen am 22.07.2024.