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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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der Aufzeichnung dieser Velleitäten langweilen? Es ist ein Fastnachtstaumel vor
Aschermittwoch.

Inzwischen hat sich die Kammer zu einer Jnterpellation aufgerafft. Es war
hohe Zeit, eine so eruste Pflicht zu erfüllen. Der Ministerpräsident stellte eine aus¬
führliche Darlegung der Negicrnugspolitik i" Aussicht, und erwartete--charakteristisch
genug -- von der Mittheilung, daß die Flotte", die jetzt in der Ostsee erscheinen wür¬
den, Staaten angehörten, mit denen wir in Frieden und gutem Einvernehmen ständen,
-- eine beruhigende Wirkung. Aber bisher gingen wir Hand in Hand mit diesen
Staaten, und jetzt ist es nöthig, zu versichern, daß sie uns nicht bekriegen werden.
Wichtiger als dieses ist der Umstand, daß die Ueberzeugung immer mehr Boden ge¬
winnt, an eine Geldbewilligung könne vor Abschluß einer Convention mit den West¬
mächten nicht gedacht werden, wenn man nicht russische Subsidien bewilligen
wolle. Vor dem Ernst der Ereignisse reißt das fadenscheinige Vertrauen an
allen Enden; die eiserne Nothwendigkeit zwingt anch den Unaufrichtigen wider
ihren Willen ein Zeugniß für die Wahrheit ab. Möge sie siegen! Thaten
muß man verlangen, den Worten mißtrauen. Es ist ein warnendes
Zeichen: kaum Hort man die Tritte derer, welche die Ereignisse von herbei¬
führten, wieder vernehmlicher erschallen, so brechen die alten Wunden des un¬
glücklichen Jahres wieder ans und bluten wieder.




Wochenbericht.
Konstantinopel,

-- Auffallend, im Gegensatz zu
manchen andern Verwicklungen, die einen europäischen Krieg in Aussicht stellten, muß
es erscheinen, wenn sich das Verlangen nach Kampf gegen Rußland in alle" Krei¬
sen der hiesigen fränkischen (ich sage nicht christlichen) Bevölkerung ausspricht. Selbst
der sonst so friedfertige Handelsstand macht hiervon keine Ausnahme. In diesem letz¬
ten Falle beruht die Kriegslust nicht sowol auf einer Antipathie nach der ni"c" und
Sympathie für die andere Seite, als vielmehr auf Berechnung. Die Motive des Calculs
sind aber nachhaltiger, weil sie geringeren Schwankungen, wie die des Herzens, aus¬
gesetzt sind. Der hiesige Großhandel hat längst bereits den Vergleich zwischen den
heutigen Zuständen und denen gemacht, die an ihre Stelle treten würden, wenn hier
der russische Doppeladler aufgepflanzt werden sollte, und er hat untrügliche Beweise in
den Händen, daß die commercielle Bilanz im letzteren Falle ""gleich schlechtere Neftiltate
wie im ersteren gebe" würde.

Diese bestimmt ausgesprochene Stellung der hiesigen kaufmännischen Welt ist in
doppelter Hinsicht von Bedeutung. Einmal weil der hiesige Großhandel einen Theil
des englischen, französischen "ud östreichische" ausmacht und dadurch die Pnncipie",
welche er aufstellt, zugleich englische, französische und östreichische Interesse"-Grundsätze
werde", u"d Soda"", weil i" seiner Mitte der eigentliche finanzielle Schwcrp""le des


der Aufzeichnung dieser Velleitäten langweilen? Es ist ein Fastnachtstaumel vor
Aschermittwoch.

Inzwischen hat sich die Kammer zu einer Jnterpellation aufgerafft. Es war
hohe Zeit, eine so eruste Pflicht zu erfüllen. Der Ministerpräsident stellte eine aus¬
führliche Darlegung der Negicrnugspolitik i» Aussicht, und erwartete—charakteristisch
genug — von der Mittheilung, daß die Flotte», die jetzt in der Ostsee erscheinen wür¬
den, Staaten angehörten, mit denen wir in Frieden und gutem Einvernehmen ständen,
— eine beruhigende Wirkung. Aber bisher gingen wir Hand in Hand mit diesen
Staaten, und jetzt ist es nöthig, zu versichern, daß sie uns nicht bekriegen werden.
Wichtiger als dieses ist der Umstand, daß die Ueberzeugung immer mehr Boden ge¬
winnt, an eine Geldbewilligung könne vor Abschluß einer Convention mit den West¬
mächten nicht gedacht werden, wenn man nicht russische Subsidien bewilligen
wolle. Vor dem Ernst der Ereignisse reißt das fadenscheinige Vertrauen an
allen Enden; die eiserne Nothwendigkeit zwingt anch den Unaufrichtigen wider
ihren Willen ein Zeugniß für die Wahrheit ab. Möge sie siegen! Thaten
muß man verlangen, den Worten mißtrauen. Es ist ein warnendes
Zeichen: kaum Hort man die Tritte derer, welche die Ereignisse von herbei¬
führten, wieder vernehmlicher erschallen, so brechen die alten Wunden des un¬
glücklichen Jahres wieder ans und bluten wieder.




Wochenbericht.
Konstantinopel,

— Auffallend, im Gegensatz zu
manchen andern Verwicklungen, die einen europäischen Krieg in Aussicht stellten, muß
es erscheinen, wenn sich das Verlangen nach Kampf gegen Rußland in alle» Krei¬
sen der hiesigen fränkischen (ich sage nicht christlichen) Bevölkerung ausspricht. Selbst
der sonst so friedfertige Handelsstand macht hiervon keine Ausnahme. In diesem letz¬
ten Falle beruht die Kriegslust nicht sowol auf einer Antipathie nach der ni»c» und
Sympathie für die andere Seite, als vielmehr auf Berechnung. Die Motive des Calculs
sind aber nachhaltiger, weil sie geringeren Schwankungen, wie die des Herzens, aus¬
gesetzt sind. Der hiesige Großhandel hat längst bereits den Vergleich zwischen den
heutigen Zuständen und denen gemacht, die an ihre Stelle treten würden, wenn hier
der russische Doppeladler aufgepflanzt werden sollte, und er hat untrügliche Beweise in
den Händen, daß die commercielle Bilanz im letzteren Falle »»gleich schlechtere Neftiltate
wie im ersteren gebe» würde.

Diese bestimmt ausgesprochene Stellung der hiesigen kaufmännischen Welt ist in
doppelter Hinsicht von Bedeutung. Einmal weil der hiesige Großhandel einen Theil
des englischen, französischen »ud östreichische» ausmacht und dadurch die Pnncipie»,
welche er aufstellt, zugleich englische, französische und östreichische Interesse»-Grundsätze
werde», u»d Soda»», weil i» seiner Mitte der eigentliche finanzielle Schwcrp»»le des


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[0477] der Aufzeichnung dieser Velleitäten langweilen? Es ist ein Fastnachtstaumel vor Aschermittwoch. Inzwischen hat sich die Kammer zu einer Jnterpellation aufgerafft. Es war hohe Zeit, eine so eruste Pflicht zu erfüllen. Der Ministerpräsident stellte eine aus¬ führliche Darlegung der Negicrnugspolitik i» Aussicht, und erwartete—charakteristisch genug — von der Mittheilung, daß die Flotte», die jetzt in der Ostsee erscheinen wür¬ den, Staaten angehörten, mit denen wir in Frieden und gutem Einvernehmen ständen, — eine beruhigende Wirkung. Aber bisher gingen wir Hand in Hand mit diesen Staaten, und jetzt ist es nöthig, zu versichern, daß sie uns nicht bekriegen werden. Wichtiger als dieses ist der Umstand, daß die Ueberzeugung immer mehr Boden ge¬ winnt, an eine Geldbewilligung könne vor Abschluß einer Convention mit den West¬ mächten nicht gedacht werden, wenn man nicht russische Subsidien bewilligen wolle. Vor dem Ernst der Ereignisse reißt das fadenscheinige Vertrauen an allen Enden; die eiserne Nothwendigkeit zwingt anch den Unaufrichtigen wider ihren Willen ein Zeugniß für die Wahrheit ab. Möge sie siegen! Thaten muß man verlangen, den Worten mißtrauen. Es ist ein warnendes Zeichen: kaum Hort man die Tritte derer, welche die Ereignisse von herbei¬ führten, wieder vernehmlicher erschallen, so brechen die alten Wunden des un¬ glücklichen Jahres wieder ans und bluten wieder. Wochenbericht. Konstantinopel, — Auffallend, im Gegensatz zu manchen andern Verwicklungen, die einen europäischen Krieg in Aussicht stellten, muß es erscheinen, wenn sich das Verlangen nach Kampf gegen Rußland in alle» Krei¬ sen der hiesigen fränkischen (ich sage nicht christlichen) Bevölkerung ausspricht. Selbst der sonst so friedfertige Handelsstand macht hiervon keine Ausnahme. In diesem letz¬ ten Falle beruht die Kriegslust nicht sowol auf einer Antipathie nach der ni»c» und Sympathie für die andere Seite, als vielmehr auf Berechnung. Die Motive des Calculs sind aber nachhaltiger, weil sie geringeren Schwankungen, wie die des Herzens, aus¬ gesetzt sind. Der hiesige Großhandel hat längst bereits den Vergleich zwischen den heutigen Zuständen und denen gemacht, die an ihre Stelle treten würden, wenn hier der russische Doppeladler aufgepflanzt werden sollte, und er hat untrügliche Beweise in den Händen, daß die commercielle Bilanz im letzteren Falle »»gleich schlechtere Neftiltate wie im ersteren gebe» würde. Diese bestimmt ausgesprochene Stellung der hiesigen kaufmännischen Welt ist in doppelter Hinsicht von Bedeutung. Einmal weil der hiesige Großhandel einen Theil des englischen, französischen »ud östreichische» ausmacht und dadurch die Pnncipie», welche er aufstellt, zugleich englische, französische und östreichische Interesse»-Grundsätze werde», u»d Soda»», weil i» seiner Mitte der eigentliche finanzielle Schwcrp»»le des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/477>, abgerufen am 22.07.2024.