Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ßischc Politik Rußland gegenüber unheilbar zu verwirren; aber die Besorgnis)
vor dem definitiven Siege der Kreuzzeitungspartci, dessen Folge seine Beseitigung
gewesen wäre, hat ihn glücklicherweise abgehalten, über mündliche Erörterungen ,
Hinauszugeheu. Er fühlte sich deshalb anfangs wie es schien ganz glücklich, in
Pourtales eine Stütze gesunden zu haben, ging anscheinend aufrichtig, wie immer,
auf dessen Ideen ein, und war froh, nun wieder zwischen zwei sich bekämpfenden
Gegensätzen die Balance halten zu können. Als aber Graf Pourtales in das
principlose Schwanken Haltung zu bringen und die politische Intrigue durch feste
Ideen zurückzudväugcu begann; als er täglich an Terrain gewann und die
Ereignisse mit eindringlicher Rede ihn unterstützten: dämmerte allmälig der Ge¬
danke auf, daß bei dieser Entwickelung für einen Mann der Mitte schließlich
kein Raum bleiben würde, und daß zur Erhaltung der Balance eine Verstärkung
des Gegengewichts erforderlich wäre. Seitdem spürt Graf Pourtales hier und
dort eine verdeckte Gegenwirkung; die Ausfertigung der Ordre, die seinen Wieder¬
eintritt in den activen Staatsdienst aussprechen und seinen amtlichen Wirkungs¬
kreis bezeichnen sollte, wird von Tage zu Tage verschoben. In Berlin versam¬
meln sich die Häupter der Kreuzzeitungspartci: Herrn v. Manteuffels Busenfreund,
der BundcStagsgcsandte; sein Bruder, der Obristlieutenant; der Oberpräsident
von Senft-Pilsach; der Graf v. Krassvw; auch Herr v. Kleist-Netzow blieb hier.
Es fanden sich auch die dem russischen Hose sehr ergebenen Herrschaften aus
Strelitz ein. Der Prinz von Preußen war kränklich , konnte sein Zimmer nicht
verlassen. Da tauchten wieder die alten Phantasiebilder hervor, Kreuz und Halb-
mond, in mittelalterlicher Pracht; die Wogen abenteuerlicher Schwärmerei gingen
hoch, schwemmten die gesunde Erkenntniß weg; was die alten Päpste zur Zeit
der Kreuzzüge über die Saracenen gesagt, erschien anch für Znnsere Tage als
maßgebend. Mazzini und Kossuth spukten anch wieder in den märkischen
Schlössern. In diese Zeit fiel die Entscheidung über die östreichischen Propv-
sitionc.n; Graf Pourtales befürwortet vergeblich ihre Unterzeichnung; bald wurde
ihm anch die Gelegenheit abgeschnitten, seinen Gründen Gehör zu verschaffen;
die Kreuzzeitungsmänner siegten und der östreichische Antrag wurde abgelehnt.

Sie sehen, wo der Urquell aller unsrer Kalamitäten zu suchen ist.

Fragen Sie nicht, was Preußen nun eigentlich zu thun gedenkt, nachdem es
sich isolirt hat. Ich glaube, das weiß selbst Gott im Himmel uicht. Neutralität
ist freilich für alle Fälle das Schiboleth; aber über die Art derselben schießen
täglich oder vielmehr nächtlich immer neue Projecte empor, wie die Pilze, zahl¬
reich und abenteuerlich gestaltet. Gestern sollte die Neutralität eine ,,stritte, un¬
abhängige, würdige und unbewaffnete" sein, und man träumte, daß man ein
Auleheu würde entbehren können. Heute erzählt man, daß man sich von der Un-
ausführbarkeit dieses größten aller eqnilibristischcn Kunststücke überzeugt hat und
daß man von den Kammern Geld verlangen werde. Doch was soll ich Sie mit


ßischc Politik Rußland gegenüber unheilbar zu verwirren; aber die Besorgnis)
vor dem definitiven Siege der Kreuzzeitungspartci, dessen Folge seine Beseitigung
gewesen wäre, hat ihn glücklicherweise abgehalten, über mündliche Erörterungen ,
Hinauszugeheu. Er fühlte sich deshalb anfangs wie es schien ganz glücklich, in
Pourtales eine Stütze gesunden zu haben, ging anscheinend aufrichtig, wie immer,
auf dessen Ideen ein, und war froh, nun wieder zwischen zwei sich bekämpfenden
Gegensätzen die Balance halten zu können. Als aber Graf Pourtales in das
principlose Schwanken Haltung zu bringen und die politische Intrigue durch feste
Ideen zurückzudväugcu begann; als er täglich an Terrain gewann und die
Ereignisse mit eindringlicher Rede ihn unterstützten: dämmerte allmälig der Ge¬
danke auf, daß bei dieser Entwickelung für einen Mann der Mitte schließlich
kein Raum bleiben würde, und daß zur Erhaltung der Balance eine Verstärkung
des Gegengewichts erforderlich wäre. Seitdem spürt Graf Pourtales hier und
dort eine verdeckte Gegenwirkung; die Ausfertigung der Ordre, die seinen Wieder¬
eintritt in den activen Staatsdienst aussprechen und seinen amtlichen Wirkungs¬
kreis bezeichnen sollte, wird von Tage zu Tage verschoben. In Berlin versam¬
meln sich die Häupter der Kreuzzeitungspartci: Herrn v. Manteuffels Busenfreund,
der BundcStagsgcsandte; sein Bruder, der Obristlieutenant; der Oberpräsident
von Senft-Pilsach; der Graf v. Krassvw; auch Herr v. Kleist-Netzow blieb hier.
Es fanden sich auch die dem russischen Hose sehr ergebenen Herrschaften aus
Strelitz ein. Der Prinz von Preußen war kränklich , konnte sein Zimmer nicht
verlassen. Da tauchten wieder die alten Phantasiebilder hervor, Kreuz und Halb-
mond, in mittelalterlicher Pracht; die Wogen abenteuerlicher Schwärmerei gingen
hoch, schwemmten die gesunde Erkenntniß weg; was die alten Päpste zur Zeit
der Kreuzzüge über die Saracenen gesagt, erschien anch für Znnsere Tage als
maßgebend. Mazzini und Kossuth spukten anch wieder in den märkischen
Schlössern. In diese Zeit fiel die Entscheidung über die östreichischen Propv-
sitionc.n; Graf Pourtales befürwortet vergeblich ihre Unterzeichnung; bald wurde
ihm anch die Gelegenheit abgeschnitten, seinen Gründen Gehör zu verschaffen;
die Kreuzzeitungsmänner siegten und der östreichische Antrag wurde abgelehnt.

Sie sehen, wo der Urquell aller unsrer Kalamitäten zu suchen ist.

Fragen Sie nicht, was Preußen nun eigentlich zu thun gedenkt, nachdem es
sich isolirt hat. Ich glaube, das weiß selbst Gott im Himmel uicht. Neutralität
ist freilich für alle Fälle das Schiboleth; aber über die Art derselben schießen
täglich oder vielmehr nächtlich immer neue Projecte empor, wie die Pilze, zahl¬
reich und abenteuerlich gestaltet. Gestern sollte die Neutralität eine ,,stritte, un¬
abhängige, würdige und unbewaffnete" sein, und man träumte, daß man ein
Auleheu würde entbehren können. Heute erzählt man, daß man sich von der Un-
ausführbarkeit dieses größten aller eqnilibristischcn Kunststücke überzeugt hat und
daß man von den Kammern Geld verlangen werde. Doch was soll ich Sie mit


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0476" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/97722"/>
          <p xml:id="ID_1343" prev="#ID_1342"> ßischc Politik Rußland gegenüber unheilbar zu verwirren; aber die Besorgnis)<lb/>
vor dem definitiven Siege der Kreuzzeitungspartci, dessen Folge seine Beseitigung<lb/>
gewesen wäre, hat ihn glücklicherweise abgehalten, über mündliche Erörterungen ,<lb/>
Hinauszugeheu. Er fühlte sich deshalb anfangs wie es schien ganz glücklich, in<lb/>
Pourtales eine Stütze gesunden zu haben, ging anscheinend aufrichtig, wie immer,<lb/>
auf dessen Ideen ein, und war froh, nun wieder zwischen zwei sich bekämpfenden<lb/>
Gegensätzen die Balance halten zu können. Als aber Graf Pourtales in das<lb/>
principlose Schwanken Haltung zu bringen und die politische Intrigue durch feste<lb/>
Ideen zurückzudväugcu begann; als er täglich an Terrain gewann und die<lb/>
Ereignisse mit eindringlicher Rede ihn unterstützten: dämmerte allmälig der Ge¬<lb/>
danke auf, daß bei dieser Entwickelung für einen Mann der Mitte schließlich<lb/>
kein Raum bleiben würde, und daß zur Erhaltung der Balance eine Verstärkung<lb/>
des Gegengewichts erforderlich wäre. Seitdem spürt Graf Pourtales hier und<lb/>
dort eine verdeckte Gegenwirkung; die Ausfertigung der Ordre, die seinen Wieder¬<lb/>
eintritt in den activen Staatsdienst aussprechen und seinen amtlichen Wirkungs¬<lb/>
kreis bezeichnen sollte, wird von Tage zu Tage verschoben. In Berlin versam¬<lb/>
meln sich die Häupter der Kreuzzeitungspartci: Herrn v. Manteuffels Busenfreund,<lb/>
der BundcStagsgcsandte; sein Bruder, der Obristlieutenant; der Oberpräsident<lb/>
von Senft-Pilsach; der Graf v. Krassvw; auch Herr v. Kleist-Netzow blieb hier.<lb/>
Es fanden sich auch die dem russischen Hose sehr ergebenen Herrschaften aus<lb/>
Strelitz ein. Der Prinz von Preußen war kränklich , konnte sein Zimmer nicht<lb/>
verlassen. Da tauchten wieder die alten Phantasiebilder hervor, Kreuz und Halb-<lb/>
mond, in mittelalterlicher Pracht; die Wogen abenteuerlicher Schwärmerei gingen<lb/>
hoch, schwemmten die gesunde Erkenntniß weg; was die alten Päpste zur Zeit<lb/>
der Kreuzzüge über die Saracenen gesagt, erschien anch für Znnsere Tage als<lb/>
maßgebend. Mazzini und Kossuth spukten anch wieder in den märkischen<lb/>
Schlössern. In diese Zeit fiel die Entscheidung über die östreichischen Propv-<lb/>
sitionc.n; Graf Pourtales befürwortet vergeblich ihre Unterzeichnung; bald wurde<lb/>
ihm anch die Gelegenheit abgeschnitten, seinen Gründen Gehör zu verschaffen;<lb/>
die Kreuzzeitungsmänner siegten und der östreichische Antrag wurde abgelehnt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1344"> Sie sehen, wo der Urquell aller unsrer Kalamitäten zu suchen ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1345" next="#ID_1346"> Fragen Sie nicht, was Preußen nun eigentlich zu thun gedenkt, nachdem es<lb/>
sich isolirt hat. Ich glaube, das weiß selbst Gott im Himmel uicht. Neutralität<lb/>
ist freilich für alle Fälle das Schiboleth; aber über die Art derselben schießen<lb/>
täglich oder vielmehr nächtlich immer neue Projecte empor, wie die Pilze, zahl¬<lb/>
reich und abenteuerlich gestaltet. Gestern sollte die Neutralität eine ,,stritte, un¬<lb/>
abhängige, würdige und unbewaffnete" sein, und man träumte, daß man ein<lb/>
Auleheu würde entbehren können. Heute erzählt man, daß man sich von der Un-<lb/>
ausführbarkeit dieses größten aller eqnilibristischcn Kunststücke überzeugt hat und<lb/>
daß man von den Kammern Geld verlangen werde. Doch was soll ich Sie mit</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0476] ßischc Politik Rußland gegenüber unheilbar zu verwirren; aber die Besorgnis) vor dem definitiven Siege der Kreuzzeitungspartci, dessen Folge seine Beseitigung gewesen wäre, hat ihn glücklicherweise abgehalten, über mündliche Erörterungen , Hinauszugeheu. Er fühlte sich deshalb anfangs wie es schien ganz glücklich, in Pourtales eine Stütze gesunden zu haben, ging anscheinend aufrichtig, wie immer, auf dessen Ideen ein, und war froh, nun wieder zwischen zwei sich bekämpfenden Gegensätzen die Balance halten zu können. Als aber Graf Pourtales in das principlose Schwanken Haltung zu bringen und die politische Intrigue durch feste Ideen zurückzudväugcu begann; als er täglich an Terrain gewann und die Ereignisse mit eindringlicher Rede ihn unterstützten: dämmerte allmälig der Ge¬ danke auf, daß bei dieser Entwickelung für einen Mann der Mitte schließlich kein Raum bleiben würde, und daß zur Erhaltung der Balance eine Verstärkung des Gegengewichts erforderlich wäre. Seitdem spürt Graf Pourtales hier und dort eine verdeckte Gegenwirkung; die Ausfertigung der Ordre, die seinen Wieder¬ eintritt in den activen Staatsdienst aussprechen und seinen amtlichen Wirkungs¬ kreis bezeichnen sollte, wird von Tage zu Tage verschoben. In Berlin versam¬ meln sich die Häupter der Kreuzzeitungspartci: Herrn v. Manteuffels Busenfreund, der BundcStagsgcsandte; sein Bruder, der Obristlieutenant; der Oberpräsident von Senft-Pilsach; der Graf v. Krassvw; auch Herr v. Kleist-Netzow blieb hier. Es fanden sich auch die dem russischen Hose sehr ergebenen Herrschaften aus Strelitz ein. Der Prinz von Preußen war kränklich , konnte sein Zimmer nicht verlassen. Da tauchten wieder die alten Phantasiebilder hervor, Kreuz und Halb- mond, in mittelalterlicher Pracht; die Wogen abenteuerlicher Schwärmerei gingen hoch, schwemmten die gesunde Erkenntniß weg; was die alten Päpste zur Zeit der Kreuzzüge über die Saracenen gesagt, erschien anch für Znnsere Tage als maßgebend. Mazzini und Kossuth spukten anch wieder in den märkischen Schlössern. In diese Zeit fiel die Entscheidung über die östreichischen Propv- sitionc.n; Graf Pourtales befürwortet vergeblich ihre Unterzeichnung; bald wurde ihm anch die Gelegenheit abgeschnitten, seinen Gründen Gehör zu verschaffen; die Kreuzzeitungsmänner siegten und der östreichische Antrag wurde abgelehnt. Sie sehen, wo der Urquell aller unsrer Kalamitäten zu suchen ist. Fragen Sie nicht, was Preußen nun eigentlich zu thun gedenkt, nachdem es sich isolirt hat. Ich glaube, das weiß selbst Gott im Himmel uicht. Neutralität ist freilich für alle Fälle das Schiboleth; aber über die Art derselben schießen täglich oder vielmehr nächtlich immer neue Projecte empor, wie die Pilze, zahl¬ reich und abenteuerlich gestaltet. Gestern sollte die Neutralität eine ,,stritte, un¬ abhängige, würdige und unbewaffnete" sein, und man träumte, daß man ein Auleheu würde entbehren können. Heute erzählt man, daß man sich von der Un- ausführbarkeit dieses größten aller eqnilibristischcn Kunststücke überzeugt hat und daß man von den Kammern Geld verlangen werde. Doch was soll ich Sie mit

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/476
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/476>, abgerufen am 22.07.2024.