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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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Knäuel wie durch ein Wunder glücklich.- Dazu das allgemeine Geschrei: 8en/-r
moLeol0LLv! 8nor^a it moceolo! Lceo it mvLLolo! -- das Jubeln, Jauchzen
und Lache", die bunten Trachten, die Mädchengesichter voll Triumph, Lust und
Schalkheit: in der That, dieser Theil des Karnevals hat nichts von seinem Glanz
eingebüßt. Um sieben ungefähr beginnen die Lichter zu verlöschen, das Geschrei
abzunehmen, die Wagen fahren allmälig davon; bald sieht der Corso nur noch
so ans, als wäre er zu einem landesväterlichen Geburtstage freiwillig erleuchtet,
die weißen Gasflammen treten wieder in ihr Recht und es wird ziemlich still und
leer. Deal uun zertheilt sich die Masse in die Theater, die Trattorien: um zwölf
läutet die Capitolsglocke den Karneval zu Grabe.

Billigerweise muß ich noch der größtentheils von fremden Künstlern beschick¬
ten Kunstausstellung gedenken, die jetzt anf Piazza bei Popolo stattfindet, doch
kann ich darüber sehr kurz sein. Ein großes nazarenisches Bild, ein Dutzend
Genrebilder mit römischem Costum, zwei Dutzend Landschaften, das ist so ziemlich
alles. Die Landschaften sind theils erbärmliche Veduten, theils in jener conven-
tionellen Manier der Franzosen gemalt, wo bei dem Streben nach einem harmo¬
nischen Gesammteindruck alle Natur verloren geht, Formen wie Farben verwischt
erscheinen, wie z. B. in den Bildern -von Papclcu und Andrivu. Man begreift
uicht, durch welche Brille diese Maler die Natur ansehen, für deren Auffassung
sie noch überdies in Nom die schönsten Bilder von Claude und Poussin als
Anleitung habe". Uebngens schicken die bessern Künstler ihre Sachen gar nicht
ans diese Ausstellung, die in allgemeinem Mißcredit ist.




Die letzte Woche preußischer Politik.

Die verflossene Märzwoche überragt an politischer
Bedeutung ihre Schwester im Jahre ->858. In beiden wurden schwere po¬
litische Unterlassungssünden begangen, aber in dieser sind sie viel unerklärlicher,
und wir fürchten, daß sie von noch uuheilvollereu Folgen begleitet sein werden,
wenn mau auf dem eingeschlagenen Wege beharrt.

Die Krisis, unter deren Eindruck ich meinen letzten Brief schrieb, ist leider
zu einem Austrage gebracht worden, der meine Besorgnisse rechtfertigt. Unmittel¬
bar vor dem Ausbruche des Kriegs zwischen Rußland und den Westmächten han¬
delte es sich darum, nochmals die principielle Uebereinstimmung der vier an den
Wiener Conferenzen betheiligten Staaten in Bezug .ans die Rechtsfrage in prä¬
ciser Weise zu formuliren. Es war nicht die Absicht, die deutscheu Mächte zu
einem activen Einschreiten gegen Rußland zu verpflichten, sondern lediglich, die
fortdauernde Uebereinstimmung der vier Mächte nochmals zu documentiren, der


Knäuel wie durch ein Wunder glücklich.- Dazu das allgemeine Geschrei: 8en/-r
moLeol0LLv! 8nor^a it moceolo! Lceo it mvLLolo! — das Jubeln, Jauchzen
und Lache», die bunten Trachten, die Mädchengesichter voll Triumph, Lust und
Schalkheit: in der That, dieser Theil des Karnevals hat nichts von seinem Glanz
eingebüßt. Um sieben ungefähr beginnen die Lichter zu verlöschen, das Geschrei
abzunehmen, die Wagen fahren allmälig davon; bald sieht der Corso nur noch
so ans, als wäre er zu einem landesväterlichen Geburtstage freiwillig erleuchtet,
die weißen Gasflammen treten wieder in ihr Recht und es wird ziemlich still und
leer. Deal uun zertheilt sich die Masse in die Theater, die Trattorien: um zwölf
läutet die Capitolsglocke den Karneval zu Grabe.

Billigerweise muß ich noch der größtentheils von fremden Künstlern beschick¬
ten Kunstausstellung gedenken, die jetzt anf Piazza bei Popolo stattfindet, doch
kann ich darüber sehr kurz sein. Ein großes nazarenisches Bild, ein Dutzend
Genrebilder mit römischem Costum, zwei Dutzend Landschaften, das ist so ziemlich
alles. Die Landschaften sind theils erbärmliche Veduten, theils in jener conven-
tionellen Manier der Franzosen gemalt, wo bei dem Streben nach einem harmo¬
nischen Gesammteindruck alle Natur verloren geht, Formen wie Farben verwischt
erscheinen, wie z. B. in den Bildern -von Papclcu und Andrivu. Man begreift
uicht, durch welche Brille diese Maler die Natur ansehen, für deren Auffassung
sie noch überdies in Nom die schönsten Bilder von Claude und Poussin als
Anleitung habe». Uebngens schicken die bessern Künstler ihre Sachen gar nicht
ans diese Ausstellung, die in allgemeinem Mißcredit ist.




Die letzte Woche preußischer Politik.

Die verflossene Märzwoche überragt an politischer
Bedeutung ihre Schwester im Jahre ->858. In beiden wurden schwere po¬
litische Unterlassungssünden begangen, aber in dieser sind sie viel unerklärlicher,
und wir fürchten, daß sie von noch uuheilvollereu Folgen begleitet sein werden,
wenn mau auf dem eingeschlagenen Wege beharrt.

Die Krisis, unter deren Eindruck ich meinen letzten Brief schrieb, ist leider
zu einem Austrage gebracht worden, der meine Besorgnisse rechtfertigt. Unmittel¬
bar vor dem Ausbruche des Kriegs zwischen Rußland und den Westmächten han¬
delte es sich darum, nochmals die principielle Uebereinstimmung der vier an den
Wiener Conferenzen betheiligten Staaten in Bezug .ans die Rechtsfrage in prä¬
ciser Weise zu formuliren. Es war nicht die Absicht, die deutscheu Mächte zu
einem activen Einschreiten gegen Rußland zu verpflichten, sondern lediglich, die
fortdauernde Uebereinstimmung der vier Mächte nochmals zu documentiren, der


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[0472] Knäuel wie durch ein Wunder glücklich.- Dazu das allgemeine Geschrei: 8en/-r moLeol0LLv! 8nor^a it moceolo! Lceo it mvLLolo! — das Jubeln, Jauchzen und Lache», die bunten Trachten, die Mädchengesichter voll Triumph, Lust und Schalkheit: in der That, dieser Theil des Karnevals hat nichts von seinem Glanz eingebüßt. Um sieben ungefähr beginnen die Lichter zu verlöschen, das Geschrei abzunehmen, die Wagen fahren allmälig davon; bald sieht der Corso nur noch so ans, als wäre er zu einem landesväterlichen Geburtstage freiwillig erleuchtet, die weißen Gasflammen treten wieder in ihr Recht und es wird ziemlich still und leer. Deal uun zertheilt sich die Masse in die Theater, die Trattorien: um zwölf läutet die Capitolsglocke den Karneval zu Grabe. Billigerweise muß ich noch der größtentheils von fremden Künstlern beschick¬ ten Kunstausstellung gedenken, die jetzt anf Piazza bei Popolo stattfindet, doch kann ich darüber sehr kurz sein. Ein großes nazarenisches Bild, ein Dutzend Genrebilder mit römischem Costum, zwei Dutzend Landschaften, das ist so ziemlich alles. Die Landschaften sind theils erbärmliche Veduten, theils in jener conven- tionellen Manier der Franzosen gemalt, wo bei dem Streben nach einem harmo¬ nischen Gesammteindruck alle Natur verloren geht, Formen wie Farben verwischt erscheinen, wie z. B. in den Bildern -von Papclcu und Andrivu. Man begreift uicht, durch welche Brille diese Maler die Natur ansehen, für deren Auffassung sie noch überdies in Nom die schönsten Bilder von Claude und Poussin als Anleitung habe». Uebngens schicken die bessern Künstler ihre Sachen gar nicht ans diese Ausstellung, die in allgemeinem Mißcredit ist. Die letzte Woche preußischer Politik. Die verflossene Märzwoche überragt an politischer Bedeutung ihre Schwester im Jahre ->858. In beiden wurden schwere po¬ litische Unterlassungssünden begangen, aber in dieser sind sie viel unerklärlicher, und wir fürchten, daß sie von noch uuheilvollereu Folgen begleitet sein werden, wenn mau auf dem eingeschlagenen Wege beharrt. Die Krisis, unter deren Eindruck ich meinen letzten Brief schrieb, ist leider zu einem Austrage gebracht worden, der meine Besorgnisse rechtfertigt. Unmittel¬ bar vor dem Ausbruche des Kriegs zwischen Rußland und den Westmächten han¬ delte es sich darum, nochmals die principielle Uebereinstimmung der vier an den Wiener Conferenzen betheiligten Staaten in Bezug .ans die Rechtsfrage in prä¬ ciser Weise zu formuliren. Es war nicht die Absicht, die deutscheu Mächte zu einem activen Einschreiten gegen Rußland zu verpflichten, sondern lediglich, die fortdauernde Uebereinstimmung der vier Mächte nochmals zu documentiren, der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/472>, abgerufen am 22.07.2024.