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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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schmuzigen Costümen ziehen daher, schwenken Flaschen, schlagen die Vorübergehen¬
den mit Pritschen oder Schweinsblasen, hin und wieder wendet sich anch ein
Redner in Prosa oder Versen an die Menge. Doch bei dem Fehlen der Gesichts¬
maske ist der Verkehr im ganzen ein ziemlich stummer, und beschränkt sich auf
Hin- und Wiederwersen von Sträußen, Bonbons und Confetti. Endlich ertönen
gegen Sonnenuntergang die Schüsse, die den Wagen das Signal geben, den
Corso zu verlassen, der mittlere Raum der Straße wird von (französischen) Sol¬
daten, die Spaliere bilden, frei gemacht, und die gedrängt zu beide" Seiten
stehende Menge unterhält sich während der halben Stunde, die nur noch bis zum
Nennen vergeht, damit, unglückliche Hunde, die in die freie Gasse gerathen find,
mit Geheul und Pfeifen auf und nieder zu Hetzen. Dann sprengt eine Abtheilung
der päpstlichen Dragoner den Corso heraus und wieder herunter: die Pferde
werden vom Piazza del Popolo losgelassen, ein paarMinnten und alles ist vor¬
über. Es waren die elendesten Thiere, die ich seit langer Zeit gesehen habe;
die Einrichtung des Rennens ist noch ganz so, wie Goethe sie beschreibt.

Am letzten Dienstage des Carncvalö tobt sich die Festlnst noch einmal aus.
Die Theater bieten an diesem letzten Abende all ihre Kräfte auf, im Apollvthcater
(der großen Oper von Rom) wird Vormittags gespielt. Der Mvccoliabend ist
die Krone des Caruevals. Mit dem Einbruch der Dämmerung fangen schon die
Lichter an sich hie und da zu zeigen, an Fenstern, auf Balkonen, in den Kutschen:
in einer Viertelstunde flimmern und flackern tausende, die unabsehbar lange,
enge, von hohen Häusern eingefaßte Straße bietet einen unbeschreiblichen Anblick.
Nun beginnt überall der Kampf um die Lichter; die Fußgänger können die ihrigen
niemals brennend erhalten, die in Wagen Fahrenden und an Parterrefenstern
oder ans Stühlen Stehenden müssen sich gegen, die Angriffe von allen Seiten
Vertheidigen. Man bläst "ach den Lichtern, schlägt darnach mit den Händen oder
mit sah"npftüchern, die oft an Stöcke gebunden sind, wirft mit Sträußen; aus
einem oberm Stockwerk fährt plötzlich ein Fächer auf die Lichter eines darunter
liegenden Fensters. Kavaliere umgeben schützend ihre Damen mit erhobenen
Tüchern, man hält dem Angreifer neckend vom Wagen oder Balkon das Licht
hin, das in dem Angenblick, wo er es zu haschen glaubt, zurückschnellt, man er¬
laubt einem sein Licht an dem eignen anzuzünden und dies wird zur Vergeltung
aufgeblasen: überall die unschuldigste, heiterste, anmuthigste Neckerei, so viel tan.
sende von fröhlichen Menschen, die in diesem Angenblick sich um keine brennende
Frage in der Welt kümmern, außer ob ihr Moccvlo brennt -- und bei einem
hitzigen Kampf aller gegen alle nirgend eine NvhheK, eine Anfeinden und was
beinahe noch wunderbarer ist, nirgend ein Unfall. In diesem Gewühl so vieler
tausende, von denen wenige sich die Zeit nehmen, vor oder hinter sich zu sehen,
fahren die beide" Reihen Wagen auf und nieder, man springt ans die Tritte
und Schläge, drängt sich unter den Pferden durch, und immer entwirrt sich der


schmuzigen Costümen ziehen daher, schwenken Flaschen, schlagen die Vorübergehen¬
den mit Pritschen oder Schweinsblasen, hin und wieder wendet sich anch ein
Redner in Prosa oder Versen an die Menge. Doch bei dem Fehlen der Gesichts¬
maske ist der Verkehr im ganzen ein ziemlich stummer, und beschränkt sich auf
Hin- und Wiederwersen von Sträußen, Bonbons und Confetti. Endlich ertönen
gegen Sonnenuntergang die Schüsse, die den Wagen das Signal geben, den
Corso zu verlassen, der mittlere Raum der Straße wird von (französischen) Sol¬
daten, die Spaliere bilden, frei gemacht, und die gedrängt zu beide» Seiten
stehende Menge unterhält sich während der halben Stunde, die nur noch bis zum
Nennen vergeht, damit, unglückliche Hunde, die in die freie Gasse gerathen find,
mit Geheul und Pfeifen auf und nieder zu Hetzen. Dann sprengt eine Abtheilung
der päpstlichen Dragoner den Corso heraus und wieder herunter: die Pferde
werden vom Piazza del Popolo losgelassen, ein paarMinnten und alles ist vor¬
über. Es waren die elendesten Thiere, die ich seit langer Zeit gesehen habe;
die Einrichtung des Rennens ist noch ganz so, wie Goethe sie beschreibt.

Am letzten Dienstage des Carncvalö tobt sich die Festlnst noch einmal aus.
Die Theater bieten an diesem letzten Abende all ihre Kräfte auf, im Apollvthcater
(der großen Oper von Rom) wird Vormittags gespielt. Der Mvccoliabend ist
die Krone des Caruevals. Mit dem Einbruch der Dämmerung fangen schon die
Lichter an sich hie und da zu zeigen, an Fenstern, auf Balkonen, in den Kutschen:
in einer Viertelstunde flimmern und flackern tausende, die unabsehbar lange,
enge, von hohen Häusern eingefaßte Straße bietet einen unbeschreiblichen Anblick.
Nun beginnt überall der Kampf um die Lichter; die Fußgänger können die ihrigen
niemals brennend erhalten, die in Wagen Fahrenden und an Parterrefenstern
oder ans Stühlen Stehenden müssen sich gegen, die Angriffe von allen Seiten
Vertheidigen. Man bläst »ach den Lichtern, schlägt darnach mit den Händen oder
mit sah»npftüchern, die oft an Stöcke gebunden sind, wirft mit Sträußen; aus
einem oberm Stockwerk fährt plötzlich ein Fächer auf die Lichter eines darunter
liegenden Fensters. Kavaliere umgeben schützend ihre Damen mit erhobenen
Tüchern, man hält dem Angreifer neckend vom Wagen oder Balkon das Licht
hin, das in dem Angenblick, wo er es zu haschen glaubt, zurückschnellt, man er¬
laubt einem sein Licht an dem eignen anzuzünden und dies wird zur Vergeltung
aufgeblasen: überall die unschuldigste, heiterste, anmuthigste Neckerei, so viel tan.
sende von fröhlichen Menschen, die in diesem Angenblick sich um keine brennende
Frage in der Welt kümmern, außer ob ihr Moccvlo brennt — und bei einem
hitzigen Kampf aller gegen alle nirgend eine NvhheK, eine Anfeinden und was
beinahe noch wunderbarer ist, nirgend ein Unfall. In diesem Gewühl so vieler
tausende, von denen wenige sich die Zeit nehmen, vor oder hinter sich zu sehen,
fahren die beide» Reihen Wagen auf und nieder, man springt ans die Tritte
und Schläge, drängt sich unter den Pferden durch, und immer entwirrt sich der


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[0471] schmuzigen Costümen ziehen daher, schwenken Flaschen, schlagen die Vorübergehen¬ den mit Pritschen oder Schweinsblasen, hin und wieder wendet sich anch ein Redner in Prosa oder Versen an die Menge. Doch bei dem Fehlen der Gesichts¬ maske ist der Verkehr im ganzen ein ziemlich stummer, und beschränkt sich auf Hin- und Wiederwersen von Sträußen, Bonbons und Confetti. Endlich ertönen gegen Sonnenuntergang die Schüsse, die den Wagen das Signal geben, den Corso zu verlassen, der mittlere Raum der Straße wird von (französischen) Sol¬ daten, die Spaliere bilden, frei gemacht, und die gedrängt zu beide» Seiten stehende Menge unterhält sich während der halben Stunde, die nur noch bis zum Nennen vergeht, damit, unglückliche Hunde, die in die freie Gasse gerathen find, mit Geheul und Pfeifen auf und nieder zu Hetzen. Dann sprengt eine Abtheilung der päpstlichen Dragoner den Corso heraus und wieder herunter: die Pferde werden vom Piazza del Popolo losgelassen, ein paarMinnten und alles ist vor¬ über. Es waren die elendesten Thiere, die ich seit langer Zeit gesehen habe; die Einrichtung des Rennens ist noch ganz so, wie Goethe sie beschreibt. Am letzten Dienstage des Carncvalö tobt sich die Festlnst noch einmal aus. Die Theater bieten an diesem letzten Abende all ihre Kräfte auf, im Apollvthcater (der großen Oper von Rom) wird Vormittags gespielt. Der Mvccoliabend ist die Krone des Caruevals. Mit dem Einbruch der Dämmerung fangen schon die Lichter an sich hie und da zu zeigen, an Fenstern, auf Balkonen, in den Kutschen: in einer Viertelstunde flimmern und flackern tausende, die unabsehbar lange, enge, von hohen Häusern eingefaßte Straße bietet einen unbeschreiblichen Anblick. Nun beginnt überall der Kampf um die Lichter; die Fußgänger können die ihrigen niemals brennend erhalten, die in Wagen Fahrenden und an Parterrefenstern oder ans Stühlen Stehenden müssen sich gegen, die Angriffe von allen Seiten Vertheidigen. Man bläst »ach den Lichtern, schlägt darnach mit den Händen oder mit sah»npftüchern, die oft an Stöcke gebunden sind, wirft mit Sträußen; aus einem oberm Stockwerk fährt plötzlich ein Fächer auf die Lichter eines darunter liegenden Fensters. Kavaliere umgeben schützend ihre Damen mit erhobenen Tüchern, man hält dem Angreifer neckend vom Wagen oder Balkon das Licht hin, das in dem Angenblick, wo er es zu haschen glaubt, zurückschnellt, man er¬ laubt einem sein Licht an dem eignen anzuzünden und dies wird zur Vergeltung aufgeblasen: überall die unschuldigste, heiterste, anmuthigste Neckerei, so viel tan. sende von fröhlichen Menschen, die in diesem Angenblick sich um keine brennende Frage in der Welt kümmern, außer ob ihr Moccvlo brennt — und bei einem hitzigen Kampf aller gegen alle nirgend eine NvhheK, eine Anfeinden und was beinahe noch wunderbarer ist, nirgend ein Unfall. In diesem Gewühl so vieler tausende, von denen wenige sich die Zeit nehmen, vor oder hinter sich zu sehen, fahren die beide» Reihen Wagen auf und nieder, man springt ans die Tritte und Schläge, drängt sich unter den Pferden durch, und immer entwirrt sich der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/471>, abgerufen am 22.07.2024.