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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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die auf dem Kontinent reisen. Mit einer Hartnäckigkeit, die einer bessern Sache
würdig wäre, schütten diese Söhne-und Töchter Albions Gypskngeln pfundweise
aus Blechtrichtern, Körben und Schaufeln ans die Köpfe der Vorübergehenden
und Fahrenden, wehe dem Wagen, der durch eine Stockung genöthigt ist, unter
einem solchen Balkon zu halten! Man schützt sich mit Drahtmasken gegen die
Gewalt der Würfe, aber nicht gegen den Kalkstaub, den sie in großen Wolken
verbreiten. Selbst die Blumensträuße werden zu Wurfwaffcn, besonders in diesem
Jahre, wo die Kälte der vergangenen Wochen die Frühlingsvegetation unter¬
brochen hat, und die Kosten des Karnevals größteutheils mit Buxsträußen be-
stritten werden, in denen einige Immortellen oder Feldblumen stecken. Jeder
Strauß, der zur Erde fällt, wird überdies blitzschnell von einem der vielen hun¬
dert Industriellen, die sich im Corso umhertreiben, aufgehoben, und so werden
dieselben drei oder vier Mal, nicht zu ihrer Verschönerung, ausgeboten: lie-vo
iiorl IVIvsjti oder Lig-lor Nosja ist die allgemeine Anrede aller Fremden,
weß Alters, Standes und Geschlechts sie seien, in der Einheit und Mehrheit:
die Römer aller Stände lieben es französisch zu radebrechen, und nicht so leicht
läßt es sich ein Blumenverkäufer oder Obsthändler nehmen, NosM und statt
Kt^'ve 8on zu sagen.

Dies sind die Schattenseiten des römischen CarnevalS, die besonders in den
ersten Tagen unangenehm auffallen, wo die Theilnahme nach gering ist, uur hin
und wieder Masken ans den untersten Ständen auftauchen, einzelne Wagen im
Trabe hinfahren, ganze Reihen von Stühlen auf dem Trottoir leer stehen, und
die Confetti fast ausschließlich den Stoff der Unterhaltung bilden. Dies ändert
sich erst mit (ilovöüi Avasso, dem fünften Tage des Karnevals. Nun bietet der
Corso in der That ein Schauspiel, das wol kaum seines Gleichen hat, die un¬
absehbare Straße ist wirklich in eiuen Festsaal verwandelt, dessen Dach das reine
Blan deö Himmels bildet, alle Fenster und Balkone mit rothen und sonst far¬
bigen Teppichen behängt, unten zwei Reihen Wagen, die eine auf- die andere
niedersahrend, in einem dichten Gewühl, die bunten Trachten, die fliegenden
Sträuße, das Geschrei, das Jauchzen -- immer ist es doch noch ein Fest, das
das Volk sich selbst gibt, wie Goethe sagte. Mädchen und Frauen sieht man
am häufigsten in dem reizenden albanischen Costum: ein scharlachrothes goldgestick¬
tes Mieder mit einem gestickten weißen Kragen, die Zöpfe ebenfalls mit scharlach¬
rothen Band durchflochten und silbernen Nadeln durchsteckt. Eigentliche Schönheiten
sind nicht häufig, aber die glänzend schwarzen Haare, die blitzenden Augen, der
schöne Nacken fehlt der Römerin selten. Die Fremden tragen meist zierliche weiße
Ueberwurfe mit Kapuzen. Männer erscheinen besonders als Pulcinelle, manche
auch als Harlckiuc, hin und wieder sieht man das altfränkische Costum. Die
untern Stände lieben es besonders, in den Anzügen die Geschlechter zu ver¬
tauschen. Ganze Scharen von Trastevcrinern in bunten, wenn auch etwas


die auf dem Kontinent reisen. Mit einer Hartnäckigkeit, die einer bessern Sache
würdig wäre, schütten diese Söhne-und Töchter Albions Gypskngeln pfundweise
aus Blechtrichtern, Körben und Schaufeln ans die Köpfe der Vorübergehenden
und Fahrenden, wehe dem Wagen, der durch eine Stockung genöthigt ist, unter
einem solchen Balkon zu halten! Man schützt sich mit Drahtmasken gegen die
Gewalt der Würfe, aber nicht gegen den Kalkstaub, den sie in großen Wolken
verbreiten. Selbst die Blumensträuße werden zu Wurfwaffcn, besonders in diesem
Jahre, wo die Kälte der vergangenen Wochen die Frühlingsvegetation unter¬
brochen hat, und die Kosten des Karnevals größteutheils mit Buxsträußen be-
stritten werden, in denen einige Immortellen oder Feldblumen stecken. Jeder
Strauß, der zur Erde fällt, wird überdies blitzschnell von einem der vielen hun¬
dert Industriellen, die sich im Corso umhertreiben, aufgehoben, und so werden
dieselben drei oder vier Mal, nicht zu ihrer Verschönerung, ausgeboten: lie-vo
iiorl IVIvsjti oder Lig-lor Nosja ist die allgemeine Anrede aller Fremden,
weß Alters, Standes und Geschlechts sie seien, in der Einheit und Mehrheit:
die Römer aller Stände lieben es französisch zu radebrechen, und nicht so leicht
läßt es sich ein Blumenverkäufer oder Obsthändler nehmen, NosM und statt
Kt^'ve 8on zu sagen.

Dies sind die Schattenseiten des römischen CarnevalS, die besonders in den
ersten Tagen unangenehm auffallen, wo die Theilnahme nach gering ist, uur hin
und wieder Masken ans den untersten Ständen auftauchen, einzelne Wagen im
Trabe hinfahren, ganze Reihen von Stühlen auf dem Trottoir leer stehen, und
die Confetti fast ausschließlich den Stoff der Unterhaltung bilden. Dies ändert
sich erst mit (ilovöüi Avasso, dem fünften Tage des Karnevals. Nun bietet der
Corso in der That ein Schauspiel, das wol kaum seines Gleichen hat, die un¬
absehbare Straße ist wirklich in eiuen Festsaal verwandelt, dessen Dach das reine
Blan deö Himmels bildet, alle Fenster und Balkone mit rothen und sonst far¬
bigen Teppichen behängt, unten zwei Reihen Wagen, die eine auf- die andere
niedersahrend, in einem dichten Gewühl, die bunten Trachten, die fliegenden
Sträuße, das Geschrei, das Jauchzen — immer ist es doch noch ein Fest, das
das Volk sich selbst gibt, wie Goethe sagte. Mädchen und Frauen sieht man
am häufigsten in dem reizenden albanischen Costum: ein scharlachrothes goldgestick¬
tes Mieder mit einem gestickten weißen Kragen, die Zöpfe ebenfalls mit scharlach¬
rothen Band durchflochten und silbernen Nadeln durchsteckt. Eigentliche Schönheiten
sind nicht häufig, aber die glänzend schwarzen Haare, die blitzenden Augen, der
schöne Nacken fehlt der Römerin selten. Die Fremden tragen meist zierliche weiße
Ueberwurfe mit Kapuzen. Männer erscheinen besonders als Pulcinelle, manche
auch als Harlckiuc, hin und wieder sieht man das altfränkische Costum. Die
untern Stände lieben es besonders, in den Anzügen die Geschlechter zu ver¬
tauschen. Ganze Scharen von Trastevcrinern in bunten, wenn auch etwas


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/470>, abgerufen am 25.08.2024.