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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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ni" den alten Ueberlieferungen fest. Wer also aufrichtig das Interesse der deutschen
Bildung vertritt, sollte uicht so leichtsinnig mit der Reformation umgehen, die
doch nur ein anderer Ausdruck derselbe" Bildung war. Was dann die spätere
Entwicklung der Kunst betrifft, so wird man den Jesniteustil wol auch nicht als
eine Ausgeburt des Protestantismus betrachten wollen. Die neueste sehr berech¬
tigte, wenn anch zuweilen über das Maß hinausgehende Rückkehr zu den deut¬
scheu Bildungsformen siudet bei den Protestanten grade ebensoviel Anklang, wie
bei den Katholiken und selbst für den Kölner Dom, der doch zunächst eine katho¬
lische Kirche ist, strömt protestantisches Geld in reicher Fülle zusammen, weil man
ihn, mit Recht nicht von dem beschränkten Standpunkte einer Confession, sondern
als ein nationales Denkmal auffaßt. Diesen künstlerischen Sinn des Volks sollten
aber die Herren vom Dvmbauvcrein ehren, und uicht ihre protestantischen Brüder
durch unnütze Herausforderungen veranlassen, sich die Sache gleichfalls vom con-
fessionellen Standpunkte zu überlegen. Das Kreusersche Buch ist vom Anfang
bis zu Ende im herausforderndsten Tone geschrieben. Es spricht direct und'
indirect jedem, der nicht den Katholicismus mit allen Details annimmt, das Nech-
nnd die Fähigkeit ab, die germanische Bankunst zu verstehe".

Es scheint uns überhaupt, als wäre durch die beständige Einmischung reli¬
giöser Vorstellungen in Dinge, die auch eine weltliche Seite haben, die Sache
der Religion nicht sehr gefördert. Wenn man die Religion in alle weltlichen
Dinge vertieft, so vergeistigt man dadurch keineswegs jene Dinge, soudern mau
zieht die Religion in den Kreis der irdische" Bedürfnisse herab. Die wahre Re
ligion verlangt eine Feiertagsstimmnng. Man hat häufig über die bekannte Anek¬
dote vom alten Dessauer gespöttelt, der bei der tödtlichen Krankheit seiner Tochter
in das sonderbare Gebet ausbrach: "Lieber Gott, ich bin uicht so ein Lumpen-
kerl, daß ich dir bei jeder Kleinigkeit beschwerlich falle, aber jetzt erhöre mein
Gebet und rette meine Tochter!" Wir müssen offen gestehen, daß das religiöse
Gefühl, welches im Augenblick der höchsten Bedrängnis) dje harten, steifen Knie
eines eisernen Mannes in den Staub beugt, uus um vieles ehrwürdiger vorkommt,
als das neumodische Christenthum der Lippen, welches nicht drei Worte sprechen
kann, ohne die Augen gen Himmel zu heben. So etwas wird leicht zur Ge¬
wohnheit und man denkt und empfindet nicht mehr und nicht weniger dabei, als
bei jeder andern Gcwvhnheitsnbnug. So geht es auch diesen Knnsttheoretikern,
die mit dem Christenthum beständig auf deu Lippe" durch die Vertiefung ihres re¬
ligiöse" Sinnes in kleinliche Aeußerlichkeiten das Gefühl für das Große und Ge¬
waltige der christliche" Kiuist verliere".

Herr Kreuser hat eine sehr ausgebreitete Belesenheit i" den christlichen
Schriftstellern des Mittelalters und er gibt uns über die Symbolik der christlichen
Baukunst eine Menge sehr schätzbarer Notizen; aber er schlägt diese Symbolik zu
hoch an oder er bleibt vielmehr eüiscitig dabei stehe". Wenn er z. B. im 2. Bde.


Grenzbote", I. ->L6i. 58

ni» den alten Ueberlieferungen fest. Wer also aufrichtig das Interesse der deutschen
Bildung vertritt, sollte uicht so leichtsinnig mit der Reformation umgehen, die
doch nur ein anderer Ausdruck derselbe» Bildung war. Was dann die spätere
Entwicklung der Kunst betrifft, so wird man den Jesniteustil wol auch nicht als
eine Ausgeburt des Protestantismus betrachten wollen. Die neueste sehr berech¬
tigte, wenn anch zuweilen über das Maß hinausgehende Rückkehr zu den deut¬
scheu Bildungsformen siudet bei den Protestanten grade ebensoviel Anklang, wie
bei den Katholiken und selbst für den Kölner Dom, der doch zunächst eine katho¬
lische Kirche ist, strömt protestantisches Geld in reicher Fülle zusammen, weil man
ihn, mit Recht nicht von dem beschränkten Standpunkte einer Confession, sondern
als ein nationales Denkmal auffaßt. Diesen künstlerischen Sinn des Volks sollten
aber die Herren vom Dvmbauvcrein ehren, und uicht ihre protestantischen Brüder
durch unnütze Herausforderungen veranlassen, sich die Sache gleichfalls vom con-
fessionellen Standpunkte zu überlegen. Das Kreusersche Buch ist vom Anfang
bis zu Ende im herausforderndsten Tone geschrieben. Es spricht direct und'
indirect jedem, der nicht den Katholicismus mit allen Details annimmt, das Nech-
nnd die Fähigkeit ab, die germanische Bankunst zu verstehe«.

Es scheint uns überhaupt, als wäre durch die beständige Einmischung reli¬
giöser Vorstellungen in Dinge, die auch eine weltliche Seite haben, die Sache
der Religion nicht sehr gefördert. Wenn man die Religion in alle weltlichen
Dinge vertieft, so vergeistigt man dadurch keineswegs jene Dinge, soudern mau
zieht die Religion in den Kreis der irdische» Bedürfnisse herab. Die wahre Re
ligion verlangt eine Feiertagsstimmnng. Man hat häufig über die bekannte Anek¬
dote vom alten Dessauer gespöttelt, der bei der tödtlichen Krankheit seiner Tochter
in das sonderbare Gebet ausbrach: „Lieber Gott, ich bin uicht so ein Lumpen-
kerl, daß ich dir bei jeder Kleinigkeit beschwerlich falle, aber jetzt erhöre mein
Gebet und rette meine Tochter!" Wir müssen offen gestehen, daß das religiöse
Gefühl, welches im Augenblick der höchsten Bedrängnis) dje harten, steifen Knie
eines eisernen Mannes in den Staub beugt, uus um vieles ehrwürdiger vorkommt,
als das neumodische Christenthum der Lippen, welches nicht drei Worte sprechen
kann, ohne die Augen gen Himmel zu heben. So etwas wird leicht zur Ge¬
wohnheit und man denkt und empfindet nicht mehr und nicht weniger dabei, als
bei jeder andern Gcwvhnheitsnbnug. So geht es auch diesen Knnsttheoretikern,
die mit dem Christenthum beständig auf deu Lippe» durch die Vertiefung ihres re¬
ligiöse» Sinnes in kleinliche Aeußerlichkeiten das Gefühl für das Große und Ge¬
waltige der christliche» Kiuist verliere».

Herr Kreuser hat eine sehr ausgebreitete Belesenheit i» den christlichen
Schriftstellern des Mittelalters und er gibt uns über die Symbolik der christlichen
Baukunst eine Menge sehr schätzbarer Notizen; aber er schlägt diese Symbolik zu
hoch an oder er bleibt vielmehr eüiscitig dabei stehe». Wenn er z. B. im 2. Bde.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/465>, abgerufen am 22.07.2024.