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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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jedem Wochentage. Bei so häufiger Gelegenheit gibt es Reibungen; die Gegner
sehen sich, die eckigen Glieder stoßen sich schon absichtslos und aus Versehen im
Gedränge, der Trunk schürt die Hitze und so entstehen im Nu jene bedauerns-
werthen Verbrechen. Eine Kirmes gilt nicht für recht lustig, wenn nicht ver¬
schiedene Prügeleien vorfallen und einer todtgeschlagen wird. Im höchsten
Jubel rufen die Bauern: "heute ists sakrisch lustig, heute muß noch einer hin¬
werden!" und niemand entsetzt sich darüber. Vielmehr umhüllt die dämonische
Lust sich und andere mit einer unheimlichen Gleichartigkeit. Auch diese finden
wir hier zu Lande ganz in der Ordnung und unbegreiflich ist dabei nur, wie
H. W. nicht, welcher Land und Leute so vortrefflich beobachtete, entschuldigend
sagen kann, das ist etwas zu viel Natur, aber doch eben noch Natur! Denn
wenn er diesen Rohheiten den Meineid , die Fälschung und den Betrug anderer
Stämme entgegengesetzt, so sieht es fast aus, als wenn diese in Altbaiern und
Schwaben nicht auch in Menge vorkämen.




Zur Geschichte des Sectveffens von Sinope.

Bei dem großen Interesse, welches dieser gewaltige Zerstörungsact allerseits
in Europa erregt hat, wird es Ihnen nicht unlieb sein, wenn mein heutiges
Schreiben Ihnen Gelegenheit gibt, Ihren Lesern einige in weiteren Kreisen noch
wenig gekannte Details desselben mitzutheilen..

Eine Beschreibung der Oertlichkeit des Kampfplatzes glaube ich nicht geben
zu dürfen, indem die meisten Specialkarten der Nordküste Kleinasiens eine ziem¬
lich klare Anschauung davon zu verschaffen im Staude sind, und sodann seiner
Zeit die deutschen Zeitungen nicht minder wie die ausländischen, lichtvolle Erläu-
terungen dazu geliefert'haben. -- Wie Sie sich erinnern werden, waren es zwölf
Kriegssahrzeuge, worunter sieben Fregatten, welche am 30. November von einer
überlegenen russischen Flvtteuabtheilung augegriffen -- ich sage absichtlich nicht
überfallen--wurden. In dieser Vollzahl war jedoch das türkische Geschwader
nicht gleich anfangs in der Bucht von Sinope versammelt; im Gegentheil gingen
zuerst nur fünf Fregatten dort vor Anker; der Nest der Schiffe kam später. Die
erste Kunde von der Anwesenheit einer osmanischen Escadre bei Sinope-Kate
erhielten die Russen durch die Mannschaft des am . 12. November vom "Wla¬
dimir" gekaperten türkischen Dampfers "Medari Tidscharet". Die Meldung da¬
von ging zunächst nach Odessa. Inzwischen hatte sich bas, zu Sinope aukttude
Geschwader im gauzeu auf zwölf Fahrzeuge verstärkt. Die Aufstellung war da¬
mals nur ein Knäuel, und so wenig zum Widerstand geeignet, daß für den Fall


jedem Wochentage. Bei so häufiger Gelegenheit gibt es Reibungen; die Gegner
sehen sich, die eckigen Glieder stoßen sich schon absichtslos und aus Versehen im
Gedränge, der Trunk schürt die Hitze und so entstehen im Nu jene bedauerns-
werthen Verbrechen. Eine Kirmes gilt nicht für recht lustig, wenn nicht ver¬
schiedene Prügeleien vorfallen und einer todtgeschlagen wird. Im höchsten
Jubel rufen die Bauern: „heute ists sakrisch lustig, heute muß noch einer hin¬
werden!" und niemand entsetzt sich darüber. Vielmehr umhüllt die dämonische
Lust sich und andere mit einer unheimlichen Gleichartigkeit. Auch diese finden
wir hier zu Lande ganz in der Ordnung und unbegreiflich ist dabei nur, wie
H. W. nicht, welcher Land und Leute so vortrefflich beobachtete, entschuldigend
sagen kann, das ist etwas zu viel Natur, aber doch eben noch Natur! Denn
wenn er diesen Rohheiten den Meineid , die Fälschung und den Betrug anderer
Stämme entgegengesetzt, so sieht es fast aus, als wenn diese in Altbaiern und
Schwaben nicht auch in Menge vorkämen.




Zur Geschichte des Sectveffens von Sinope.

Bei dem großen Interesse, welches dieser gewaltige Zerstörungsact allerseits
in Europa erregt hat, wird es Ihnen nicht unlieb sein, wenn mein heutiges
Schreiben Ihnen Gelegenheit gibt, Ihren Lesern einige in weiteren Kreisen noch
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Eine Beschreibung der Oertlichkeit des Kampfplatzes glaube ich nicht geben
zu dürfen, indem die meisten Specialkarten der Nordküste Kleinasiens eine ziem¬
lich klare Anschauung davon zu verschaffen im Staude sind, und sodann seiner
Zeit die deutschen Zeitungen nicht minder wie die ausländischen, lichtvolle Erläu-
terungen dazu geliefert'haben. — Wie Sie sich erinnern werden, waren es zwölf
Kriegssahrzeuge, worunter sieben Fregatten, welche am 30. November von einer
überlegenen russischen Flvtteuabtheilung augegriffen — ich sage absichtlich nicht
überfallen—wurden. In dieser Vollzahl war jedoch das türkische Geschwader
nicht gleich anfangs in der Bucht von Sinope versammelt; im Gegentheil gingen
zuerst nur fünf Fregatten dort vor Anker; der Nest der Schiffe kam später. Die
erste Kunde von der Anwesenheit einer osmanischen Escadre bei Sinope-Kate
erhielten die Russen durch die Mannschaft des am . 12. November vom „Wla¬
dimir" gekaperten türkischen Dampfers „Medari Tidscharet". Die Meldung da¬
von ging zunächst nach Odessa. Inzwischen hatte sich bas, zu Sinope aukttude
Geschwader im gauzeu auf zwölf Fahrzeuge verstärkt. Die Aufstellung war da¬
mals nur ein Knäuel, und so wenig zum Widerstand geeignet, daß für den Fall


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[0436] jedem Wochentage. Bei so häufiger Gelegenheit gibt es Reibungen; die Gegner sehen sich, die eckigen Glieder stoßen sich schon absichtslos und aus Versehen im Gedränge, der Trunk schürt die Hitze und so entstehen im Nu jene bedauerns- werthen Verbrechen. Eine Kirmes gilt nicht für recht lustig, wenn nicht ver¬ schiedene Prügeleien vorfallen und einer todtgeschlagen wird. Im höchsten Jubel rufen die Bauern: „heute ists sakrisch lustig, heute muß noch einer hin¬ werden!" und niemand entsetzt sich darüber. Vielmehr umhüllt die dämonische Lust sich und andere mit einer unheimlichen Gleichartigkeit. Auch diese finden wir hier zu Lande ganz in der Ordnung und unbegreiflich ist dabei nur, wie H. W. nicht, welcher Land und Leute so vortrefflich beobachtete, entschuldigend sagen kann, das ist etwas zu viel Natur, aber doch eben noch Natur! Denn wenn er diesen Rohheiten den Meineid , die Fälschung und den Betrug anderer Stämme entgegengesetzt, so sieht es fast aus, als wenn diese in Altbaiern und Schwaben nicht auch in Menge vorkämen. Zur Geschichte des Sectveffens von Sinope. Bei dem großen Interesse, welches dieser gewaltige Zerstörungsact allerseits in Europa erregt hat, wird es Ihnen nicht unlieb sein, wenn mein heutiges Schreiben Ihnen Gelegenheit gibt, Ihren Lesern einige in weiteren Kreisen noch wenig gekannte Details desselben mitzutheilen.. Eine Beschreibung der Oertlichkeit des Kampfplatzes glaube ich nicht geben zu dürfen, indem die meisten Specialkarten der Nordküste Kleinasiens eine ziem¬ lich klare Anschauung davon zu verschaffen im Staude sind, und sodann seiner Zeit die deutschen Zeitungen nicht minder wie die ausländischen, lichtvolle Erläu- terungen dazu geliefert'haben. — Wie Sie sich erinnern werden, waren es zwölf Kriegssahrzeuge, worunter sieben Fregatten, welche am 30. November von einer überlegenen russischen Flvtteuabtheilung augegriffen — ich sage absichtlich nicht überfallen—wurden. In dieser Vollzahl war jedoch das türkische Geschwader nicht gleich anfangs in der Bucht von Sinope versammelt; im Gegentheil gingen zuerst nur fünf Fregatten dort vor Anker; der Nest der Schiffe kam später. Die erste Kunde von der Anwesenheit einer osmanischen Escadre bei Sinope-Kate erhielten die Russen durch die Mannschaft des am . 12. November vom „Wla¬ dimir" gekaperten türkischen Dampfers „Medari Tidscharet". Die Meldung da¬ von ging zunächst nach Odessa. Inzwischen hatte sich bas, zu Sinope aukttude Geschwader im gauzeu auf zwölf Fahrzeuge verstärkt. Die Aufstellung war da¬ mals nur ein Knäuel, und so wenig zum Widerstand geeignet, daß für den Fall

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/436>, abgerufen am 22.07.2024.