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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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Ackerkrume und deshalb so sehr von Ortschaften entblößt, daß erst fünf Stunden
oberhalb der Lcchbrücke voll Augsburg wieder ein gebrechlicher Steg über den
Strom führt, welcher lediglich durch den zu entrichtenden Brückenzoll zur Brücke
gemacht wird. Die Wassermasse des Lech ist aber bedeutend genug, um die Pro-
ducte des Gebirges, Holz, Kalk, Gyps, Sandstein und Granit vo" Füssen auf
großen Flößen den Strom herab zu bringen. Früher vertrieben die Algäner ihr
Holz sogar bis Wien, was jedoch aufhörte, weil der Flößer beim Scheitern seiner
Ladung nicht hinreichend gegen das Strandrecht der Uferbewohner geschützt war.
Vielleicht bessern das die neuesten Verträge. Von Augsburg geht in den Sommer¬
monaten wöchentlich ein großes Floß mit Waaren aller Art den Lech und die
Donau hinunter und mau denkt bei dem rasch wachsenden Verkehr gegenwärtig
ernstlich daran, das sehr ausgerissene, wilde, oft nur 200, oft aber auch
2000 Schritt breite Strombett durch umfassende Vorrichtungen zu corrigiren, um
sowol die Schiffahrt zu ermöglichen, als auch die weit und breit wüsten Ufer,
wenn sie erst vor den bösartigen Frühjahrsüberschwemmungen gesichert sind, urbar
zu machen. Friedrich List wollte berechnet haben, ,daß der Lech mit 2o Zoll Ge¬
fall, ans 1000 Fuß eine Triebkraft besitze, welche (damals) sämmtliche Dampfma¬
schinen Englands überträfe; es käme also nur auf Benutzung der Kraft an. In
Augsburg wird sie bereits in mehr als zwölf Kanäle abgezweigt und für Fabriken
aller Art ausgebeutet; aber der Strom ermattet dabei noch keineswegs und könnte
noch manches Rad, manche Tnrbine in Bewegung setzen.

Suchen wir das eigentliche Lechfeld auf, welches man von dem jenseits der
Wertach gelegenen Schloß Straßberg übersieht, so ist es eine ununterbrochene
fruchtbare Fläche; Baum und Strauch fehlen jedoch fast ganz. Alles ist Ackerland
und Wiese, aus denen die weißen Dörfer wie Schneereste im Frühling hervor¬
schimmern. Auf diese Ebene blickt bei klarem Wetter die ganze Kette der al-
gäuer Alpen mit deutlicher Unterscheidung aller einzelnen Höhen majestätisch nieder
und das berühmte Schlachtfeld unter ihnen erscheint ernster und prächtiger, als
jenes unter den Pyramiden, anf deren Jahrtausende Napoleon verwies. Hier war
es, wo Kaiser Otto I. am -10. August 9vu in hoher Sommerhitze die Hunnen,
welche Deutschland bis Worms geplündert hatten, aufs Haupt schlug. Spätere
Zeiten sahen noch manchen Kampf um den Lcchübergang, aber keinen so folgen¬
reichen. Der Zusammenstoß der Schweden unter Gustav Adolph mit den Kai¬
serlichen unter Tilly am 13. April 1632, bei welchem letzterer mit Aldringcr tödt-
lich verwundet wurde, geschah mehr nach Donauwerth zu. Im spanischen Erb¬
folgekriege sowie in den französisch-östreichischen Feldzügen leiteten bald Franzosen,
bald Oestreicher ihre Treffen in der Ebene sehr bequem von den Thürmen Augs¬
burgs aus. Doch haften wenig Erinnerungen daran im Volke. Auch ist es we-
niger der Volksmund als die Chronik, welche von dem Lager der Hunnen erzählt,
die hungrig bis unter die Mauern von Augsburg schwärmten. Ein Weib warf


Ackerkrume und deshalb so sehr von Ortschaften entblößt, daß erst fünf Stunden
oberhalb der Lcchbrücke voll Augsburg wieder ein gebrechlicher Steg über den
Strom führt, welcher lediglich durch den zu entrichtenden Brückenzoll zur Brücke
gemacht wird. Die Wassermasse des Lech ist aber bedeutend genug, um die Pro-
ducte des Gebirges, Holz, Kalk, Gyps, Sandstein und Granit vo» Füssen auf
großen Flößen den Strom herab zu bringen. Früher vertrieben die Algäner ihr
Holz sogar bis Wien, was jedoch aufhörte, weil der Flößer beim Scheitern seiner
Ladung nicht hinreichend gegen das Strandrecht der Uferbewohner geschützt war.
Vielleicht bessern das die neuesten Verträge. Von Augsburg geht in den Sommer¬
monaten wöchentlich ein großes Floß mit Waaren aller Art den Lech und die
Donau hinunter und mau denkt bei dem rasch wachsenden Verkehr gegenwärtig
ernstlich daran, das sehr ausgerissene, wilde, oft nur 200, oft aber auch
2000 Schritt breite Strombett durch umfassende Vorrichtungen zu corrigiren, um
sowol die Schiffahrt zu ermöglichen, als auch die weit und breit wüsten Ufer,
wenn sie erst vor den bösartigen Frühjahrsüberschwemmungen gesichert sind, urbar
zu machen. Friedrich List wollte berechnet haben, ,daß der Lech mit 2o Zoll Ge¬
fall, ans 1000 Fuß eine Triebkraft besitze, welche (damals) sämmtliche Dampfma¬
schinen Englands überträfe; es käme also nur auf Benutzung der Kraft an. In
Augsburg wird sie bereits in mehr als zwölf Kanäle abgezweigt und für Fabriken
aller Art ausgebeutet; aber der Strom ermattet dabei noch keineswegs und könnte
noch manches Rad, manche Tnrbine in Bewegung setzen.

Suchen wir das eigentliche Lechfeld auf, welches man von dem jenseits der
Wertach gelegenen Schloß Straßberg übersieht, so ist es eine ununterbrochene
fruchtbare Fläche; Baum und Strauch fehlen jedoch fast ganz. Alles ist Ackerland
und Wiese, aus denen die weißen Dörfer wie Schneereste im Frühling hervor¬
schimmern. Auf diese Ebene blickt bei klarem Wetter die ganze Kette der al-
gäuer Alpen mit deutlicher Unterscheidung aller einzelnen Höhen majestätisch nieder
und das berühmte Schlachtfeld unter ihnen erscheint ernster und prächtiger, als
jenes unter den Pyramiden, anf deren Jahrtausende Napoleon verwies. Hier war
es, wo Kaiser Otto I. am -10. August 9vu in hoher Sommerhitze die Hunnen,
welche Deutschland bis Worms geplündert hatten, aufs Haupt schlug. Spätere
Zeiten sahen noch manchen Kampf um den Lcchübergang, aber keinen so folgen¬
reichen. Der Zusammenstoß der Schweden unter Gustav Adolph mit den Kai¬
serlichen unter Tilly am 13. April 1632, bei welchem letzterer mit Aldringcr tödt-
lich verwundet wurde, geschah mehr nach Donauwerth zu. Im spanischen Erb¬
folgekriege sowie in den französisch-östreichischen Feldzügen leiteten bald Franzosen,
bald Oestreicher ihre Treffen in der Ebene sehr bequem von den Thürmen Augs¬
burgs aus. Doch haften wenig Erinnerungen daran im Volke. Auch ist es we-
niger der Volksmund als die Chronik, welche von dem Lager der Hunnen erzählt,
die hungrig bis unter die Mauern von Augsburg schwärmten. Ein Weib warf


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[0429] Ackerkrume und deshalb so sehr von Ortschaften entblößt, daß erst fünf Stunden oberhalb der Lcchbrücke voll Augsburg wieder ein gebrechlicher Steg über den Strom führt, welcher lediglich durch den zu entrichtenden Brückenzoll zur Brücke gemacht wird. Die Wassermasse des Lech ist aber bedeutend genug, um die Pro- ducte des Gebirges, Holz, Kalk, Gyps, Sandstein und Granit vo» Füssen auf großen Flößen den Strom herab zu bringen. Früher vertrieben die Algäner ihr Holz sogar bis Wien, was jedoch aufhörte, weil der Flößer beim Scheitern seiner Ladung nicht hinreichend gegen das Strandrecht der Uferbewohner geschützt war. Vielleicht bessern das die neuesten Verträge. Von Augsburg geht in den Sommer¬ monaten wöchentlich ein großes Floß mit Waaren aller Art den Lech und die Donau hinunter und mau denkt bei dem rasch wachsenden Verkehr gegenwärtig ernstlich daran, das sehr ausgerissene, wilde, oft nur 200, oft aber auch 2000 Schritt breite Strombett durch umfassende Vorrichtungen zu corrigiren, um sowol die Schiffahrt zu ermöglichen, als auch die weit und breit wüsten Ufer, wenn sie erst vor den bösartigen Frühjahrsüberschwemmungen gesichert sind, urbar zu machen. Friedrich List wollte berechnet haben, ,daß der Lech mit 2o Zoll Ge¬ fall, ans 1000 Fuß eine Triebkraft besitze, welche (damals) sämmtliche Dampfma¬ schinen Englands überträfe; es käme also nur auf Benutzung der Kraft an. In Augsburg wird sie bereits in mehr als zwölf Kanäle abgezweigt und für Fabriken aller Art ausgebeutet; aber der Strom ermattet dabei noch keineswegs und könnte noch manches Rad, manche Tnrbine in Bewegung setzen. Suchen wir das eigentliche Lechfeld auf, welches man von dem jenseits der Wertach gelegenen Schloß Straßberg übersieht, so ist es eine ununterbrochene fruchtbare Fläche; Baum und Strauch fehlen jedoch fast ganz. Alles ist Ackerland und Wiese, aus denen die weißen Dörfer wie Schneereste im Frühling hervor¬ schimmern. Auf diese Ebene blickt bei klarem Wetter die ganze Kette der al- gäuer Alpen mit deutlicher Unterscheidung aller einzelnen Höhen majestätisch nieder und das berühmte Schlachtfeld unter ihnen erscheint ernster und prächtiger, als jenes unter den Pyramiden, anf deren Jahrtausende Napoleon verwies. Hier war es, wo Kaiser Otto I. am -10. August 9vu in hoher Sommerhitze die Hunnen, welche Deutschland bis Worms geplündert hatten, aufs Haupt schlug. Spätere Zeiten sahen noch manchen Kampf um den Lcchübergang, aber keinen so folgen¬ reichen. Der Zusammenstoß der Schweden unter Gustav Adolph mit den Kai¬ serlichen unter Tilly am 13. April 1632, bei welchem letzterer mit Aldringcr tödt- lich verwundet wurde, geschah mehr nach Donauwerth zu. Im spanischen Erb¬ folgekriege sowie in den französisch-östreichischen Feldzügen leiteten bald Franzosen, bald Oestreicher ihre Treffen in der Ebene sehr bequem von den Thürmen Augs¬ burgs aus. Doch haften wenig Erinnerungen daran im Volke. Auch ist es we- niger der Volksmund als die Chronik, welche von dem Lager der Hunnen erzählt, die hungrig bis unter die Mauern von Augsburg schwärmten. Ein Weib warf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/429>, abgerufen am 22.07.2024.