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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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machen. Eine plötzliche Aenderung dieses Systems wäre der sofortige Ruin der
holländische" Finanzen, und der baldige seines jetzigen Cvlonialwaarcnhandels;
eine allmälige Reform ist, wie wir unter zeigen werden, durch die Niederländer
allein nicht durchführbar, sondern nnr in Verbindung mit Deutschland.

Aber die finanziellen Vortheile des Cultur- und Mvuvpolsystems kamen erst
allmälig, und so nahm die Zerrüttung der Landesfinanzen trotz des materiellen
Aufschwunges des Landes in so bedrohlicher Weise zu, daß, als endlich die vielen
Geheimnisse des niederländischen Finanzwesens nicht mehr verschwiegen werden
konnten, das Land sich am Abgrunde des StaatöbankerottS sah. Woher stammte
diese Schuldenlast?

Der frühere Welthandel der Niederländer hatte ungeheure Capitalien in
dein Lande angesammelt, die weder im Mutterland? noch in den Kolonien in irgend
bedeutenden productiven Unternehmungen der Industrie, des Ackerbaues (seit dem
18. Jahrhunderte auch nnr "och in geringem Maße in dem Handel), sondern zum
größte" Theile in einheimische" und fremden Effecten angelegt wurden.

Gegen daS Ende des vorigen Jahrhunderts waren die Niederländer aus
WelthandelSlcnten ein Volk von Rentiers geworden, und das ist der Schlüssel
z" einer Menge Erscheinungen der innern Politik der Niederlande.

Deshalb übernahm man so leicht hin die enorme Schuldenlast der beide"
großen Handelscvmpagnien; deshalb erkannte man 1813 so großmüthig die alte
"iederlä"dische und belgische Schuld an und hob die Staatsbankerotte wieder auf;
deshalb erhoben sich so wenige Stimmen in den Generalstaaten gegen die trotz der
Friede"sjahre von -1813 bis 1830 fortdauernde Vermehrung der Staatsschulden
um 100 Millionen Florino; deshalb bewilligten nach 1830 mitten im Kriege die
niederländischen Generalstaaten viele Jahre hindurch Steuern und enormen Cre¬
dit zur Bezahlung der Rente" selbst des belgische" Antheils an der alten Schuld;
den" die ganze sah"it war beinahe in den Händen holländischer Rentiers, und
die Finanzen sind die Seele Hollands.

So kam es denn so weit, daß 184i nnr die freiwillige Anleihe von 127
Millionen Florins, zu nicht mehr als 3 Procent, den Staatsbankerott verhütete.
Mit Recht wurde sie eine nationale Großthat genannt, wobei aber doch die unpar¬
teiische Geschichte den Einfluß des Neutierwcseus nicht vergessen darf; den" die
Renteniere wußten sehr wohl, daß die Folge dieser Aufopferung ein sofortiges
Steigen der Staatspapiere nach sich ziehen müsse, die doch meistens in den Hän¬
den der Geld a' 3 Procent Vorschießenden befindlich waren, wie den" auch z.B.
die 2^2 procent. Staatspapiere sofort vou 36 auf 63 stiege"; sehr viele" ward
also ihre patriotische Betheiligung zum Gewinn.

Infolge der so geregelten Finanzen, einer besseren und wohlfeileren Ver¬
waltung und der stets reichlicher fließenden ostindischen Zuschüsse gelangte mau
schon 18i7 zu einen, völligen Gleichgewicht der Ausgaben und Einnahme", wei-


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machen. Eine plötzliche Aenderung dieses Systems wäre der sofortige Ruin der
holländische» Finanzen, und der baldige seines jetzigen Cvlonialwaarcnhandels;
eine allmälige Reform ist, wie wir unter zeigen werden, durch die Niederländer
allein nicht durchführbar, sondern nnr in Verbindung mit Deutschland.

Aber die finanziellen Vortheile des Cultur- und Mvuvpolsystems kamen erst
allmälig, und so nahm die Zerrüttung der Landesfinanzen trotz des materiellen
Aufschwunges des Landes in so bedrohlicher Weise zu, daß, als endlich die vielen
Geheimnisse des niederländischen Finanzwesens nicht mehr verschwiegen werden
konnten, das Land sich am Abgrunde des StaatöbankerottS sah. Woher stammte
diese Schuldenlast?

Der frühere Welthandel der Niederländer hatte ungeheure Capitalien in
dein Lande angesammelt, die weder im Mutterland? noch in den Kolonien in irgend
bedeutenden productiven Unternehmungen der Industrie, des Ackerbaues (seit dem
18. Jahrhunderte auch nnr »och in geringem Maße in dem Handel), sondern zum
größte» Theile in einheimische» und fremden Effecten angelegt wurden.

Gegen daS Ende des vorigen Jahrhunderts waren die Niederländer aus
WelthandelSlcnten ein Volk von Rentiers geworden, und das ist der Schlüssel
z» einer Menge Erscheinungen der innern Politik der Niederlande.

Deshalb übernahm man so leicht hin die enorme Schuldenlast der beide»
großen Handelscvmpagnien; deshalb erkannte man 1813 so großmüthig die alte
»iederlä»dische und belgische Schuld an und hob die Staatsbankerotte wieder auf;
deshalb erhoben sich so wenige Stimmen in den Generalstaaten gegen die trotz der
Friede»sjahre von -1813 bis 1830 fortdauernde Vermehrung der Staatsschulden
um 100 Millionen Florino; deshalb bewilligten nach 1830 mitten im Kriege die
niederländischen Generalstaaten viele Jahre hindurch Steuern und enormen Cre¬
dit zur Bezahlung der Rente» selbst des belgische» Antheils an der alten Schuld;
den» die ganze sah»it war beinahe in den Händen holländischer Rentiers, und
die Finanzen sind die Seele Hollands.

So kam es denn so weit, daß 184i nnr die freiwillige Anleihe von 127
Millionen Florins, zu nicht mehr als 3 Procent, den Staatsbankerott verhütete.
Mit Recht wurde sie eine nationale Großthat genannt, wobei aber doch die unpar¬
teiische Geschichte den Einfluß des Neutierwcseus nicht vergessen darf; den» die
Renteniere wußten sehr wohl, daß die Folge dieser Aufopferung ein sofortiges
Steigen der Staatspapiere nach sich ziehen müsse, die doch meistens in den Hän¬
den der Geld a' 3 Procent Vorschießenden befindlich waren, wie den» auch z.B.
die 2^2 procent. Staatspapiere sofort vou 36 auf 63 stiege»; sehr viele» ward
also ihre patriotische Betheiligung zum Gewinn.

Infolge der so geregelten Finanzen, einer besseren und wohlfeileren Ver¬
waltung und der stets reichlicher fließenden ostindischen Zuschüsse gelangte mau
schon 18i7 zu einen, völligen Gleichgewicht der Ausgaben und Einnahme», wei-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/419>, abgerufen am 23.07.2024.