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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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Sitten, Gebräuche nud Ueberzeugungen derselben zu bestimmten poetischen In¬
dividualitäten, krystallistrt und dieselben sich so benehmen läßt, wie sie unter den
gegebenen Umständen sich hätten benehmen können. Jede Einmischung wirklich
historischer Charaktere oder Ereignisse, die uns ans der Geschichte bekannt sind,
stört und verwirrt unsere Phantasie nicht blos in dem Fall, wo sie unserer
Kenntniß widerspricht, souderu selbst da, wo sie durch Analogien einigermaßen
entschuldigt wird. Denn fertig überlieferte Charaktere widerstreben der Souve-
ränetät des Dichters. Er muß heterogene Elemente aneinauderkitten, und wir
empfinden sehr schnell heraus, daß wir es weder mit Wahrheit, noch mit Dich¬
tung zu thun haben. Am leichtesten läßt sich so etwas für eine Zeit rechtfertigen,
die uns fern steht, mit der wir durch keine Traditionen verknüpft sind, und die
daher unserer Phantasie nicht in einer bestimmten Farbe gegenwärtig ist. Indessen
auch hier gehört immer eine ganz außerordentliche Dichterkraft dazu, uns so zu
täusche", wie es z. B. Walter Scott mir der Königin Elisabeth, mit Maria
Stuart, mit Karl II., Ludwig XI. u. s. w. gelungen ist. Jedenfalls muß der
Dichter, der so etwas unternimmt, eine tiefere Kenntniß von dem Charakter des
historischen Zeitalters, das er darstellen will, besitze", als der Leser, für den er
schreibt.

Bei L. Mühlbach ist beides nicht der Fall. Der Held, den sie sich gewählt
hat, steht dem gesammten Volke bis in die kleinsten Aeußerlichkeiten seiner Per¬
sönlichkeit so lebhaft vor Augen, daß eine freie Dichtung nicht möglich ist, und
außerdem glauben wir kaum zu viel zu sagen, wenn wir behaupten, daß jeder
beliebige Leser ans den gebildeten Classen, der zufällig dies Buch in die
Hände nimmt, eine bessere Kenntniß von dem Wesen und der Erscheinung des
alten Fritz haben wird, als die Verfasserin. Zwar hat sie mancherlei gelesen,
was von Kammerdienern und ähnlichen Personen über jene Zeit geschrieben ist,
und hat sich daraus ein eignes Bild zusammengesetzt; allein dieses Bild ist ein
durchaus anderes, als was die Geschichte uns zeigt und jedenfalls ein viel
schlechteres.

Zuerst wissen wir alle ganz genau, in welcher Weise der alte Fritz zu reden
pflegte. Diese Weise ist der Dichterin wahrscheinlich zu unpoetisch vorgekommen.
Sie nimmt zwar einzelne Brocken davon ans, die sich uun in dem Uebrigen
wunderlich genug ausnehmen, im allgemeinen aber läßt sie ihn so reden, wie
ein juugdeutscher Literat, der über Friedrich den Großen reflectirt. Das bekommt
noch dadurch einen wunderlicheren Anstrich, daß sie durch ihre Memoiren eine
Reihe widerwärtiger Geschichten erfahren hat, in die Friedrich der Große ver¬
wickelt gewesen sein soll, daß sie aber nebenbei immer das Princip festhält: es war ein
großer Mann und er ist in allem groß gewesen, was er that. Sogar in das
Verhältniß zu Biese, der Liebliugshüudiu, wird ein tiefes Gefühl gelegt. Ob
auch das-Verhältniß zu der schönen Tänzerin, das sie des breiteren erzählt, in


Sitten, Gebräuche nud Ueberzeugungen derselben zu bestimmten poetischen In¬
dividualitäten, krystallistrt und dieselben sich so benehmen läßt, wie sie unter den
gegebenen Umständen sich hätten benehmen können. Jede Einmischung wirklich
historischer Charaktere oder Ereignisse, die uns ans der Geschichte bekannt sind,
stört und verwirrt unsere Phantasie nicht blos in dem Fall, wo sie unserer
Kenntniß widerspricht, souderu selbst da, wo sie durch Analogien einigermaßen
entschuldigt wird. Denn fertig überlieferte Charaktere widerstreben der Souve-
ränetät des Dichters. Er muß heterogene Elemente aneinauderkitten, und wir
empfinden sehr schnell heraus, daß wir es weder mit Wahrheit, noch mit Dich¬
tung zu thun haben. Am leichtesten läßt sich so etwas für eine Zeit rechtfertigen,
die uns fern steht, mit der wir durch keine Traditionen verknüpft sind, und die
daher unserer Phantasie nicht in einer bestimmten Farbe gegenwärtig ist. Indessen
auch hier gehört immer eine ganz außerordentliche Dichterkraft dazu, uns so zu
täusche», wie es z. B. Walter Scott mir der Königin Elisabeth, mit Maria
Stuart, mit Karl II., Ludwig XI. u. s. w. gelungen ist. Jedenfalls muß der
Dichter, der so etwas unternimmt, eine tiefere Kenntniß von dem Charakter des
historischen Zeitalters, das er darstellen will, besitze», als der Leser, für den er
schreibt.

Bei L. Mühlbach ist beides nicht der Fall. Der Held, den sie sich gewählt
hat, steht dem gesammten Volke bis in die kleinsten Aeußerlichkeiten seiner Per¬
sönlichkeit so lebhaft vor Augen, daß eine freie Dichtung nicht möglich ist, und
außerdem glauben wir kaum zu viel zu sagen, wenn wir behaupten, daß jeder
beliebige Leser ans den gebildeten Classen, der zufällig dies Buch in die
Hände nimmt, eine bessere Kenntniß von dem Wesen und der Erscheinung des
alten Fritz haben wird, als die Verfasserin. Zwar hat sie mancherlei gelesen,
was von Kammerdienern und ähnlichen Personen über jene Zeit geschrieben ist,
und hat sich daraus ein eignes Bild zusammengesetzt; allein dieses Bild ist ein
durchaus anderes, als was die Geschichte uns zeigt und jedenfalls ein viel
schlechteres.

Zuerst wissen wir alle ganz genau, in welcher Weise der alte Fritz zu reden
pflegte. Diese Weise ist der Dichterin wahrscheinlich zu unpoetisch vorgekommen.
Sie nimmt zwar einzelne Brocken davon ans, die sich uun in dem Uebrigen
wunderlich genug ausnehmen, im allgemeinen aber läßt sie ihn so reden, wie
ein juugdeutscher Literat, der über Friedrich den Großen reflectirt. Das bekommt
noch dadurch einen wunderlicheren Anstrich, daß sie durch ihre Memoiren eine
Reihe widerwärtiger Geschichten erfahren hat, in die Friedrich der Große ver¬
wickelt gewesen sein soll, daß sie aber nebenbei immer das Princip festhält: es war ein
großer Mann und er ist in allem groß gewesen, was er that. Sogar in das
Verhältniß zu Biese, der Liebliugshüudiu, wird ein tiefes Gefühl gelegt. Ob
auch das-Verhältniß zu der schönen Tänzerin, das sie des breiteren erzählt, in


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[0414] Sitten, Gebräuche nud Ueberzeugungen derselben zu bestimmten poetischen In¬ dividualitäten, krystallistrt und dieselben sich so benehmen läßt, wie sie unter den gegebenen Umständen sich hätten benehmen können. Jede Einmischung wirklich historischer Charaktere oder Ereignisse, die uns ans der Geschichte bekannt sind, stört und verwirrt unsere Phantasie nicht blos in dem Fall, wo sie unserer Kenntniß widerspricht, souderu selbst da, wo sie durch Analogien einigermaßen entschuldigt wird. Denn fertig überlieferte Charaktere widerstreben der Souve- ränetät des Dichters. Er muß heterogene Elemente aneinauderkitten, und wir empfinden sehr schnell heraus, daß wir es weder mit Wahrheit, noch mit Dich¬ tung zu thun haben. Am leichtesten läßt sich so etwas für eine Zeit rechtfertigen, die uns fern steht, mit der wir durch keine Traditionen verknüpft sind, und die daher unserer Phantasie nicht in einer bestimmten Farbe gegenwärtig ist. Indessen auch hier gehört immer eine ganz außerordentliche Dichterkraft dazu, uns so zu täusche», wie es z. B. Walter Scott mir der Königin Elisabeth, mit Maria Stuart, mit Karl II., Ludwig XI. u. s. w. gelungen ist. Jedenfalls muß der Dichter, der so etwas unternimmt, eine tiefere Kenntniß von dem Charakter des historischen Zeitalters, das er darstellen will, besitze», als der Leser, für den er schreibt. Bei L. Mühlbach ist beides nicht der Fall. Der Held, den sie sich gewählt hat, steht dem gesammten Volke bis in die kleinsten Aeußerlichkeiten seiner Per¬ sönlichkeit so lebhaft vor Augen, daß eine freie Dichtung nicht möglich ist, und außerdem glauben wir kaum zu viel zu sagen, wenn wir behaupten, daß jeder beliebige Leser ans den gebildeten Classen, der zufällig dies Buch in die Hände nimmt, eine bessere Kenntniß von dem Wesen und der Erscheinung des alten Fritz haben wird, als die Verfasserin. Zwar hat sie mancherlei gelesen, was von Kammerdienern und ähnlichen Personen über jene Zeit geschrieben ist, und hat sich daraus ein eignes Bild zusammengesetzt; allein dieses Bild ist ein durchaus anderes, als was die Geschichte uns zeigt und jedenfalls ein viel schlechteres. Zuerst wissen wir alle ganz genau, in welcher Weise der alte Fritz zu reden pflegte. Diese Weise ist der Dichterin wahrscheinlich zu unpoetisch vorgekommen. Sie nimmt zwar einzelne Brocken davon ans, die sich uun in dem Uebrigen wunderlich genug ausnehmen, im allgemeinen aber läßt sie ihn so reden, wie ein juugdeutscher Literat, der über Friedrich den Großen reflectirt. Das bekommt noch dadurch einen wunderlicheren Anstrich, daß sie durch ihre Memoiren eine Reihe widerwärtiger Geschichten erfahren hat, in die Friedrich der Große ver¬ wickelt gewesen sein soll, daß sie aber nebenbei immer das Princip festhält: es war ein großer Mann und er ist in allem groß gewesen, was er that. Sogar in das Verhältniß zu Biese, der Liebliugshüudiu, wird ein tiefes Gefühl gelegt. Ob auch das-Verhältniß zu der schönen Tänzerin, das sie des breiteren erzählt, in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/414>, abgerufen am 22.07.2024.