Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

das müsse eine curiose Musik sein, die sich nicht auch bei einer unvollkommenen Auf¬
führung Bahn bricht. Aber er hat nicht den Muth gehabt, die weitere Konsequenz
zu ziehen, und der Grund davon liegt auf der Hand. Warum bekämpfen wir nicht
Meyerbeer mit dem nämlichen Eifer wie Wagner? Weil über Meyerbeers Char-
latanerie gar kein Zweifel obwaltet, wenigstens unter den Mündigen, und auf die
Meinung der Unmündigen kommt es nicht an. Meyerbeer ist in seiner Charlatanerie
so naiv, so rücksichtslos, so kindlich und unbesonnen, daß der Tiefsinn eines
Mystikers dazu gehören müßte, um in ihm das zu finden, was man gewöhnlich
künstlerisches Wesen nennt. Daher thut er auch eigentlich keinen Schaden. Wag¬
ner dagegen, der in seinen Mitteln grade dieselbe Charlatanerie treibt, verbindet
damit die seltene Eigenschaft, daß er borg. Käs handelt; er ist ein Fanatiker seiner
eigenen Ideen, die ursprünglich weiter nichts bei ihm ausdrücken, als das Be¬
wußtsein von der Grenze seines eigenen Talents, und mit unermüdlichem Eifer
weiht er alle Kräfte seines Lebens diesem imaginären Zweck. Eine solche Hin¬
gebung imponirt uns Deutschen; sie hat Herrn Hinrichs imponirt, sie wird anch
den bessern Theil der Wagnerschen Schule auf seine Seite geführt haben. Denn
wenn auch in dieser Propaganda äußerst menschliche Mittel mitwirken, wenn schon
der cynische Ton, in dem die Schule sich gehen läßt, auf nichts weniger, als auf
einen Adel der Gesinnung hindeutet, so ist der ursprüngliche Eindruck doch wol
jene Freude über eine concentrirte Willenskraft in einer schlaffen Zeit. Dieses
Gefühl ist gewiß sehr schön, und wir wollten um alle Welt nicht, daß es ans
Deutschland verschwände. Aber man muß ihm Widerstand leisten, sonst verführt
es uns zu den unglaublichsten Thorheiten, zu jenen Thorheiten, die uns schon
häufig zum Spott aller Welt gemacht haben. Und diese Aufgabe hat die Kritik.
Es gibt sehr viele, selbst unter den besser Gesinnten, die in Beziehung aus den
Inhalt mit uns ganz einer Meinung sind, denen es aber doch peinlich wird, daß
wir zerstören, wo wir nichts Besseres an die Stelle zu setzen haben. Wir wissen
sehr wohl, daß die Kritik kein schaffendes Genie hervorbringt, daß sie ihm nicht
einmal eine bestimmte Bahn anweisen kann; aber sie hat die ebenso wichtige Auf¬
gabe, ihm den Weg rein zu erhalten. Der neu auftretende Künstler wird immer
mehr oder weniger von der Stimmung des Volks getragen, und sobald diese so
depravirt ist, in der allergewaltsamsten künstlichsten Reflexion ein Werk des Genies
zu sehen, ist der Entwickelung der Kunst gradezu der Weg abgeschnitten. Erst
muß man die falschen Götzenbilder zerschlagen, ehe der Altar des wahren Gottes
aufgerichtet werden kann.

Der Dilettantismus, sagten wir, führt stets zur Anwendung äußerlicher
Mittel, und hier finden wir die bedenklichste Seite in Wagners Productivität.
Herr Hinrichs möge uns darin ein Beispiel sein. Wagners Stücke, namentlich
der Lohengrin, haben einen großen Eindruck auf ihn gemacht; sein musikalisches
Gefühl sträubt sich gegen diesen Eindruck; um ihn nun aber doch zu rechtfertigen,


43*

das müsse eine curiose Musik sein, die sich nicht auch bei einer unvollkommenen Auf¬
führung Bahn bricht. Aber er hat nicht den Muth gehabt, die weitere Konsequenz
zu ziehen, und der Grund davon liegt auf der Hand. Warum bekämpfen wir nicht
Meyerbeer mit dem nämlichen Eifer wie Wagner? Weil über Meyerbeers Char-
latanerie gar kein Zweifel obwaltet, wenigstens unter den Mündigen, und auf die
Meinung der Unmündigen kommt es nicht an. Meyerbeer ist in seiner Charlatanerie
so naiv, so rücksichtslos, so kindlich und unbesonnen, daß der Tiefsinn eines
Mystikers dazu gehören müßte, um in ihm das zu finden, was man gewöhnlich
künstlerisches Wesen nennt. Daher thut er auch eigentlich keinen Schaden. Wag¬
ner dagegen, der in seinen Mitteln grade dieselbe Charlatanerie treibt, verbindet
damit die seltene Eigenschaft, daß er borg. Käs handelt; er ist ein Fanatiker seiner
eigenen Ideen, die ursprünglich weiter nichts bei ihm ausdrücken, als das Be¬
wußtsein von der Grenze seines eigenen Talents, und mit unermüdlichem Eifer
weiht er alle Kräfte seines Lebens diesem imaginären Zweck. Eine solche Hin¬
gebung imponirt uns Deutschen; sie hat Herrn Hinrichs imponirt, sie wird anch
den bessern Theil der Wagnerschen Schule auf seine Seite geführt haben. Denn
wenn auch in dieser Propaganda äußerst menschliche Mittel mitwirken, wenn schon
der cynische Ton, in dem die Schule sich gehen läßt, auf nichts weniger, als auf
einen Adel der Gesinnung hindeutet, so ist der ursprüngliche Eindruck doch wol
jene Freude über eine concentrirte Willenskraft in einer schlaffen Zeit. Dieses
Gefühl ist gewiß sehr schön, und wir wollten um alle Welt nicht, daß es ans
Deutschland verschwände. Aber man muß ihm Widerstand leisten, sonst verführt
es uns zu den unglaublichsten Thorheiten, zu jenen Thorheiten, die uns schon
häufig zum Spott aller Welt gemacht haben. Und diese Aufgabe hat die Kritik.
Es gibt sehr viele, selbst unter den besser Gesinnten, die in Beziehung aus den
Inhalt mit uns ganz einer Meinung sind, denen es aber doch peinlich wird, daß
wir zerstören, wo wir nichts Besseres an die Stelle zu setzen haben. Wir wissen
sehr wohl, daß die Kritik kein schaffendes Genie hervorbringt, daß sie ihm nicht
einmal eine bestimmte Bahn anweisen kann; aber sie hat die ebenso wichtige Auf¬
gabe, ihm den Weg rein zu erhalten. Der neu auftretende Künstler wird immer
mehr oder weniger von der Stimmung des Volks getragen, und sobald diese so
depravirt ist, in der allergewaltsamsten künstlichsten Reflexion ein Werk des Genies
zu sehen, ist der Entwickelung der Kunst gradezu der Weg abgeschnitten. Erst
muß man die falschen Götzenbilder zerschlagen, ehe der Altar des wahren Gottes
aufgerichtet werden kann.

Der Dilettantismus, sagten wir, führt stets zur Anwendung äußerlicher
Mittel, und hier finden wir die bedenklichste Seite in Wagners Productivität.
Herr Hinrichs möge uns darin ein Beispiel sein. Wagners Stücke, namentlich
der Lohengrin, haben einen großen Eindruck auf ihn gemacht; sein musikalisches
Gefühl sträubt sich gegen diesen Eindruck; um ihn nun aber doch zu rechtfertigen,


43*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0347" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/97593"/>
          <p xml:id="ID_910" prev="#ID_909"> das müsse eine curiose Musik sein, die sich nicht auch bei einer unvollkommenen Auf¬<lb/>
führung Bahn bricht. Aber er hat nicht den Muth gehabt, die weitere Konsequenz<lb/>
zu ziehen, und der Grund davon liegt auf der Hand. Warum bekämpfen wir nicht<lb/>
Meyerbeer mit dem nämlichen Eifer wie Wagner?  Weil über Meyerbeers Char-<lb/>
latanerie gar kein Zweifel obwaltet, wenigstens unter den Mündigen, und auf die<lb/>
Meinung der Unmündigen kommt es nicht an. Meyerbeer ist in seiner Charlatanerie<lb/>
so naiv, so rücksichtslos, so kindlich und unbesonnen, daß der Tiefsinn eines<lb/>
Mystikers dazu gehören müßte, um in ihm das zu finden, was man gewöhnlich<lb/>
künstlerisches Wesen nennt. Daher thut er auch eigentlich keinen Schaden. Wag¬<lb/>
ner dagegen, der in seinen Mitteln grade dieselbe Charlatanerie treibt, verbindet<lb/>
damit die seltene Eigenschaft, daß er borg. Käs handelt; er ist ein Fanatiker seiner<lb/>
eigenen Ideen, die ursprünglich weiter nichts bei ihm ausdrücken, als das Be¬<lb/>
wußtsein von der Grenze seines eigenen Talents, und mit unermüdlichem Eifer<lb/>
weiht er alle Kräfte seines Lebens diesem imaginären Zweck.  Eine solche Hin¬<lb/>
gebung imponirt uns Deutschen; sie hat Herrn Hinrichs imponirt, sie wird anch<lb/>
den bessern Theil der Wagnerschen Schule auf seine Seite geführt haben. Denn<lb/>
wenn auch in dieser Propaganda äußerst menschliche Mittel mitwirken, wenn schon<lb/>
der cynische Ton, in dem die Schule sich gehen läßt, auf nichts weniger, als auf<lb/>
einen Adel der Gesinnung hindeutet, so ist der ursprüngliche Eindruck doch wol<lb/>
jene Freude über eine concentrirte Willenskraft in einer schlaffen Zeit. Dieses<lb/>
Gefühl ist gewiß sehr schön, und wir wollten um alle Welt nicht, daß es ans<lb/>
Deutschland verschwände.  Aber man muß ihm Widerstand leisten, sonst verführt<lb/>
es uns zu den unglaublichsten Thorheiten, zu jenen Thorheiten, die uns schon<lb/>
häufig zum Spott aller Welt gemacht haben.  Und diese Aufgabe hat die Kritik.<lb/>
Es gibt sehr viele, selbst unter den besser Gesinnten, die in Beziehung aus den<lb/>
Inhalt mit uns ganz einer Meinung sind, denen es aber doch peinlich wird, daß<lb/>
wir zerstören, wo wir nichts Besseres an die Stelle zu setzen haben. Wir wissen<lb/>
sehr wohl, daß die Kritik kein schaffendes Genie hervorbringt, daß sie ihm nicht<lb/>
einmal eine bestimmte Bahn anweisen kann; aber sie hat die ebenso wichtige Auf¬<lb/>
gabe, ihm den Weg rein zu erhalten.  Der neu auftretende Künstler wird immer<lb/>
mehr oder weniger von der Stimmung des Volks getragen, und sobald diese so<lb/>
depravirt ist, in der allergewaltsamsten künstlichsten Reflexion ein Werk des Genies<lb/>
zu sehen, ist der Entwickelung der Kunst gradezu der Weg abgeschnitten. Erst<lb/>
muß man die falschen Götzenbilder zerschlagen, ehe der Altar des wahren Gottes<lb/>
aufgerichtet werden kann.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_911" next="#ID_912"> Der Dilettantismus, sagten wir, führt stets zur Anwendung äußerlicher<lb/>
Mittel, und hier finden wir die bedenklichste Seite in Wagners Productivität.<lb/>
Herr Hinrichs möge uns darin ein Beispiel sein. Wagners Stücke, namentlich<lb/>
der Lohengrin, haben einen großen Eindruck auf ihn gemacht; sein musikalisches<lb/>
Gefühl sträubt sich gegen diesen Eindruck; um ihn nun aber doch zu rechtfertigen,</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 43*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0347] das müsse eine curiose Musik sein, die sich nicht auch bei einer unvollkommenen Auf¬ führung Bahn bricht. Aber er hat nicht den Muth gehabt, die weitere Konsequenz zu ziehen, und der Grund davon liegt auf der Hand. Warum bekämpfen wir nicht Meyerbeer mit dem nämlichen Eifer wie Wagner? Weil über Meyerbeers Char- latanerie gar kein Zweifel obwaltet, wenigstens unter den Mündigen, und auf die Meinung der Unmündigen kommt es nicht an. Meyerbeer ist in seiner Charlatanerie so naiv, so rücksichtslos, so kindlich und unbesonnen, daß der Tiefsinn eines Mystikers dazu gehören müßte, um in ihm das zu finden, was man gewöhnlich künstlerisches Wesen nennt. Daher thut er auch eigentlich keinen Schaden. Wag¬ ner dagegen, der in seinen Mitteln grade dieselbe Charlatanerie treibt, verbindet damit die seltene Eigenschaft, daß er borg. Käs handelt; er ist ein Fanatiker seiner eigenen Ideen, die ursprünglich weiter nichts bei ihm ausdrücken, als das Be¬ wußtsein von der Grenze seines eigenen Talents, und mit unermüdlichem Eifer weiht er alle Kräfte seines Lebens diesem imaginären Zweck. Eine solche Hin¬ gebung imponirt uns Deutschen; sie hat Herrn Hinrichs imponirt, sie wird anch den bessern Theil der Wagnerschen Schule auf seine Seite geführt haben. Denn wenn auch in dieser Propaganda äußerst menschliche Mittel mitwirken, wenn schon der cynische Ton, in dem die Schule sich gehen läßt, auf nichts weniger, als auf einen Adel der Gesinnung hindeutet, so ist der ursprüngliche Eindruck doch wol jene Freude über eine concentrirte Willenskraft in einer schlaffen Zeit. Dieses Gefühl ist gewiß sehr schön, und wir wollten um alle Welt nicht, daß es ans Deutschland verschwände. Aber man muß ihm Widerstand leisten, sonst verführt es uns zu den unglaublichsten Thorheiten, zu jenen Thorheiten, die uns schon häufig zum Spott aller Welt gemacht haben. Und diese Aufgabe hat die Kritik. Es gibt sehr viele, selbst unter den besser Gesinnten, die in Beziehung aus den Inhalt mit uns ganz einer Meinung sind, denen es aber doch peinlich wird, daß wir zerstören, wo wir nichts Besseres an die Stelle zu setzen haben. Wir wissen sehr wohl, daß die Kritik kein schaffendes Genie hervorbringt, daß sie ihm nicht einmal eine bestimmte Bahn anweisen kann; aber sie hat die ebenso wichtige Auf¬ gabe, ihm den Weg rein zu erhalten. Der neu auftretende Künstler wird immer mehr oder weniger von der Stimmung des Volks getragen, und sobald diese so depravirt ist, in der allergewaltsamsten künstlichsten Reflexion ein Werk des Genies zu sehen, ist der Entwickelung der Kunst gradezu der Weg abgeschnitten. Erst muß man die falschen Götzenbilder zerschlagen, ehe der Altar des wahren Gottes aufgerichtet werden kann. Der Dilettantismus, sagten wir, führt stets zur Anwendung äußerlicher Mittel, und hier finden wir die bedenklichste Seite in Wagners Productivität. Herr Hinrichs möge uns darin ein Beispiel sein. Wagners Stücke, namentlich der Lohengrin, haben einen großen Eindruck auf ihn gemacht; sein musikalisches Gefühl sträubt sich gegen diesen Eindruck; um ihn nun aber doch zu rechtfertigen, 43*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/347
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/347>, abgerufen am 22.07.2024.