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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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leere Redensarten seie", weil ja Wagner in der That i --3 Stunden Musik zu
machen übernehme. Wenn er aber dann hinzusetzt, daß trotz dieser Verwerflich¬
keit alles Einzelnen (mit einigen Ausnahmen, die auch wir hervorgehoben habe")
das Ganze doch eine" angenehmen Eindruck mache, so ist das eine so leere
Redensart, daß sie noch weit über das Niveau der "neuen Zeitschrift" hinaus¬
geht. Auf wen soll denn das Ganze einen angenehmen Eindruck machen > wenn
das musikalische Ohr fortwährend beleidigt wird? -- Auf dieses doch wol nicht?
Und so wäre denn die musikalische Streitfrage abgethan, und wir haben nur
zu untersuchen, ob vielleicht in dichterischer Beziehung eine größere Befriedigung
eintreten Mu^n '."'//'I-miM'--:?' '5j-,U 'hö.iUZ.u "Ki '.-<imiiö- 'n'"i'ii4 ^ki'nun'p^

Hier macht es sich Herr Hinrichs ziemlich bequem. Er tadelt unseren Re¬
ferenten, daß er an das Textbuch einen Maßstab angelegt habe, der nur auf
ein wirklich dramatisches Werk anwendbar sei. Aber Wagner und seine An¬
hänger hatten die Idee, den Text dieser neuen "Musikdramen" für bloße
Textbücher zu nehmen, so entschieden zurückgewiesen, daß unser Referent, um
gerecht zu sein, sich zuerst auf ihren Standpunkt stellen und den absolut dramati¬
schen Maßstab anlegen ^ mußte. Nachdem er hier zu dem Resultat gekommen,
daß gerechte Ansprüche nicht befriedigt werden, hat er den Text weiter wie einen
gewöhnlichen Operntext untersucht und hat anerkannt, daß er sehr geschickt gemacht
sei, nur daß er sich zu auffallend, wen" auch mit großem Verstand der auf die
Sinnlichkeit berechneten Mittel bediene und die Wirkung auf das Gefühl zu sehr
hintansetze. Herr Hinrichs kommt zu demselben Resultat.

Bei dieser ausfallenden Uebereinstimmung in den einzelnen Punkten ist man
neugierig, was denu eigentlich der Grund seines Eifers gegen die Grenzboten ist.
Die journalistische Form? Aber sein Artikel ist ja auch ein Journalartikel! Er hat
zwar einen größern Umfang, als der unsere, weil er über Mozart, Beethoven,
Bach, Schiller, Raff und viele andere Dinge seine Meinung an deu Mann
bringt, aber unser Referent wollte ja eben nur über den Tannhäuser schreiben, und
über diesen fertigt Herr Hinrichs feine Leser mit ein paar ganz oberflächlichen
Bemerkungen ab und verweist sie auf die "Trauöscription" des Stücks von
Franz Liszt. Diese Tranöscription, d. h. die Darstellung der Empfindungen,
welche Herr Liszt beim Anhören des Tannhäuser gehabt, wollen wir gern als
vollkommen berechtigt gelten lassen; unsere Aufgabe war aber nicht, eine Trans-
scription zu liefern, sondern eine Kritik.

Aber das ist es ja eben! Herr Hinrichs scheint vorzugsweise an uns zu
tadeln, daß wir überhaupt Kritik macheu; wir sollten uns statt dessen dem un¬
mittelbaren Genuß hingeben. Ein Kunstwerk zu machen sei schwer, zu kritisiren
leicht; denn daS Talent zu kritisiren liege gegenwärtig schon in der Luft, wie das
Talent zu instrumentiren. DaS scheint beiläufig doch uicht ganz der Fall zu sein,
denn in der Jnstrumentation sind die Maximen übereinstimmend, wie sehr dagegen


leere Redensarten seie», weil ja Wagner in der That i —3 Stunden Musik zu
machen übernehme. Wenn er aber dann hinzusetzt, daß trotz dieser Verwerflich¬
keit alles Einzelnen (mit einigen Ausnahmen, die auch wir hervorgehoben habe»)
das Ganze doch eine» angenehmen Eindruck mache, so ist das eine so leere
Redensart, daß sie noch weit über das Niveau der „neuen Zeitschrift" hinaus¬
geht. Auf wen soll denn das Ganze einen angenehmen Eindruck machen > wenn
das musikalische Ohr fortwährend beleidigt wird? — Auf dieses doch wol nicht?
Und so wäre denn die musikalische Streitfrage abgethan, und wir haben nur
zu untersuchen, ob vielleicht in dichterischer Beziehung eine größere Befriedigung
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Hier macht es sich Herr Hinrichs ziemlich bequem. Er tadelt unseren Re¬
ferenten, daß er an das Textbuch einen Maßstab angelegt habe, der nur auf
ein wirklich dramatisches Werk anwendbar sei. Aber Wagner und seine An¬
hänger hatten die Idee, den Text dieser neuen „Musikdramen" für bloße
Textbücher zu nehmen, so entschieden zurückgewiesen, daß unser Referent, um
gerecht zu sein, sich zuerst auf ihren Standpunkt stellen und den absolut dramati¬
schen Maßstab anlegen ^ mußte. Nachdem er hier zu dem Resultat gekommen,
daß gerechte Ansprüche nicht befriedigt werden, hat er den Text weiter wie einen
gewöhnlichen Operntext untersucht und hat anerkannt, daß er sehr geschickt gemacht
sei, nur daß er sich zu auffallend, wen» auch mit großem Verstand der auf die
Sinnlichkeit berechneten Mittel bediene und die Wirkung auf das Gefühl zu sehr
hintansetze. Herr Hinrichs kommt zu demselben Resultat.

Bei dieser ausfallenden Uebereinstimmung in den einzelnen Punkten ist man
neugierig, was denu eigentlich der Grund seines Eifers gegen die Grenzboten ist.
Die journalistische Form? Aber sein Artikel ist ja auch ein Journalartikel! Er hat
zwar einen größern Umfang, als der unsere, weil er über Mozart, Beethoven,
Bach, Schiller, Raff und viele andere Dinge seine Meinung an deu Mann
bringt, aber unser Referent wollte ja eben nur über den Tannhäuser schreiben, und
über diesen fertigt Herr Hinrichs feine Leser mit ein paar ganz oberflächlichen
Bemerkungen ab und verweist sie auf die „Trauöscription" des Stücks von
Franz Liszt. Diese Tranöscription, d. h. die Darstellung der Empfindungen,
welche Herr Liszt beim Anhören des Tannhäuser gehabt, wollen wir gern als
vollkommen berechtigt gelten lassen; unsere Aufgabe war aber nicht, eine Trans-
scription zu liefern, sondern eine Kritik.

Aber das ist es ja eben! Herr Hinrichs scheint vorzugsweise an uns zu
tadeln, daß wir überhaupt Kritik macheu; wir sollten uns statt dessen dem un¬
mittelbaren Genuß hingeben. Ein Kunstwerk zu machen sei schwer, zu kritisiren
leicht; denn daS Talent zu kritisiren liege gegenwärtig schon in der Luft, wie das
Talent zu instrumentiren. DaS scheint beiläufig doch uicht ganz der Fall zu sein,
denn in der Jnstrumentation sind die Maximen übereinstimmend, wie sehr dagegen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/344>, abgerufen am 22.07.2024.