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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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des Artikels wurden über Wagner und namentlich über seine Anhänger fast ebenso
schlimme Dinge gesagt, als man sie nur in den Grenzboten finden konnte, und
der erschrockene Redacteur war einmal über das andere genöthigt, zu erklären,
das sei alles falsch, und er nehme es nur auf, um es nächstens zu widerlegen.
Ob eine solche Widerlegung erfolgt ist, wissen wir nicht, wie wir denn überhaupt
gestehen müssen, daß wir damals jenen Artikel wie die ganze Zeitschrift nur
flüchtig angesehen haben. Im allgemeinen fanden wir das Verfahren des Ver¬
fassers nicht grade fein, aber es lag wenigstens Humor darin.

Aber in dem neuen Abdruck hat der Verfasser, Hr. Hinrichs, nicht für gut
gefunden, diesen Humor auf das richtige Maß zurückzuführen, und das verdient
eine kleine Zurechtweisung. Herr Hinrichs hat unsern Artikel gelesen, selbst be-
nntzN), und wenn wir eine augenblickliche Verstimmung erklärlich fanden, so hätte
er seitdem hinlänglich überlegen können, wie lächerlich er sich durch seinen Ton
gemacht. Uebrigens ist unser Artikel im musikalischen Publicum jetzt hinlänglich
bekannt; es ist daher völlig überflüssig, für ihn in die Schranken zu treten. Hier
ist die Sache entschieden. Aber um der vielen "guten Leute" willen, für die Herr
Hinrichs das Wort genommen hat, und die sich immer betrüben, wo einmal ein
bestimmtes Wort gesagt wird, auch wenn sie seine Gerechtigkeit fühlen, um dieser
wohlwollenden "Kunstfreunde" willen geben wir auf seine Vorwürfe ein.

Was ist es eigentlich, das Herr Hinrichs an unserem Referenten auszusetzen
hat? Wir wollen die einzelnen Punkte ins Auge fassen.

Zunächst verlangt er, man solle die Theorie Wagners und seiner Anhänger
von seiner Praxis scheiden, man solle sich durch das Urtheil über die eine nicht
in Beziehung auf die andere bestimmen lassen. -- Das ist von unserem Referenten
geschehen. Er hat Wagners Theorie nur insoweit in Betracht gezogen, als sie
im Tannhäuser zur wirklichen Anwendung gekommen ist. Ueber Wagners Theorien
ist in andern Artikeln gehandelt. Uebrigens stimmt im Urtheil über die Theorie
Herr Hinrichs vollständig mit uns überein. Er erklärt sie für unausführbar und
für schädlich, soweit sie ausführbar ist.

Wenden wir uns zu der Praxis. In Beziehung ans die musikalische Aus¬
führung ist Herr Hinrichs auch unserer Meinung. Im Durchgehen des Ein¬
zelnen findet er ziemlich alles vom musikalischen Standpunkte verdammenswerth,
theils aus Gründen, die wir bereits angeführt haben, theils aus andern. Er
setzt ferner vollkommen richtig auseinander, daß der musikalische Standpunkt aller¬
dings festgehalten werden müsse und daß alle Einwendungen der Wagnerianer



*) Z. B> S. 47 über die bekannten Eriunernngs- und AhnnugSmotivc Wagners: "Der
angebliche Inhalt liegt hier nicht in der Musik, sondern in der Combination oder eigentlich
un Köpfe der richtig Combiuircndcn: es ist eine Randglosse des Componisten für das Publicum,
das liber dem Einzelnen den dramatischen Zusammenhang vergessen konnte" -- das ist doch
wol mehr als eine bloße Reminiscenz aus der betreffende" Stelle unseres Artikels-

des Artikels wurden über Wagner und namentlich über seine Anhänger fast ebenso
schlimme Dinge gesagt, als man sie nur in den Grenzboten finden konnte, und
der erschrockene Redacteur war einmal über das andere genöthigt, zu erklären,
das sei alles falsch, und er nehme es nur auf, um es nächstens zu widerlegen.
Ob eine solche Widerlegung erfolgt ist, wissen wir nicht, wie wir denn überhaupt
gestehen müssen, daß wir damals jenen Artikel wie die ganze Zeitschrift nur
flüchtig angesehen haben. Im allgemeinen fanden wir das Verfahren des Ver¬
fassers nicht grade fein, aber es lag wenigstens Humor darin.

Aber in dem neuen Abdruck hat der Verfasser, Hr. Hinrichs, nicht für gut
gefunden, diesen Humor auf das richtige Maß zurückzuführen, und das verdient
eine kleine Zurechtweisung. Herr Hinrichs hat unsern Artikel gelesen, selbst be-
nntzN), und wenn wir eine augenblickliche Verstimmung erklärlich fanden, so hätte
er seitdem hinlänglich überlegen können, wie lächerlich er sich durch seinen Ton
gemacht. Uebrigens ist unser Artikel im musikalischen Publicum jetzt hinlänglich
bekannt; es ist daher völlig überflüssig, für ihn in die Schranken zu treten. Hier
ist die Sache entschieden. Aber um der vielen „guten Leute" willen, für die Herr
Hinrichs das Wort genommen hat, und die sich immer betrüben, wo einmal ein
bestimmtes Wort gesagt wird, auch wenn sie seine Gerechtigkeit fühlen, um dieser
wohlwollenden „Kunstfreunde" willen geben wir auf seine Vorwürfe ein.

Was ist es eigentlich, das Herr Hinrichs an unserem Referenten auszusetzen
hat? Wir wollen die einzelnen Punkte ins Auge fassen.

Zunächst verlangt er, man solle die Theorie Wagners und seiner Anhänger
von seiner Praxis scheiden, man solle sich durch das Urtheil über die eine nicht
in Beziehung auf die andere bestimmen lassen. — Das ist von unserem Referenten
geschehen. Er hat Wagners Theorie nur insoweit in Betracht gezogen, als sie
im Tannhäuser zur wirklichen Anwendung gekommen ist. Ueber Wagners Theorien
ist in andern Artikeln gehandelt. Uebrigens stimmt im Urtheil über die Theorie
Herr Hinrichs vollständig mit uns überein. Er erklärt sie für unausführbar und
für schädlich, soweit sie ausführbar ist.

Wenden wir uns zu der Praxis. In Beziehung ans die musikalische Aus¬
führung ist Herr Hinrichs auch unserer Meinung. Im Durchgehen des Ein¬
zelnen findet er ziemlich alles vom musikalischen Standpunkte verdammenswerth,
theils aus Gründen, die wir bereits angeführt haben, theils aus andern. Er
setzt ferner vollkommen richtig auseinander, daß der musikalische Standpunkt aller¬
dings festgehalten werden müsse und daß alle Einwendungen der Wagnerianer



*) Z. B> S. 47 über die bekannten Eriunernngs- und AhnnugSmotivc Wagners: „Der
angebliche Inhalt liegt hier nicht in der Musik, sondern in der Combination oder eigentlich
un Köpfe der richtig Combiuircndcn: es ist eine Randglosse des Componisten für das Publicum,
das liber dem Einzelnen den dramatischen Zusammenhang vergessen konnte" — das ist doch
wol mehr als eine bloße Reminiscenz aus der betreffende» Stelle unseres Artikels-
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/343>, abgerufen am 22.07.2024.