Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

und nicht unbedeutende Gedanken darin enthalten sind, eine gewisse Rohheit und
Nachlässigkeit, die jeden gebildeten Geist abstoßen muß, noch ehe er bis zu dem
eigentlichen Kern seines Philosophirenö vorgedrungen ist. Einerseits überhebt
er sich ans eine selbst in Deutschland unerhörte Weise ("nur die Lumpe sind
bescheiden", stottert Herr Frauenstädt dem Dichter nach), die immer ein unsicheres,
krankhaft gereiztes Selbstgefühl verräth, sodann schimpft er nach allen Seiten hin
in dieses Worts verwegenster Bedeutung. Er spricht von Fichte, Schelling,
Hegel nie anders, als von Unverschämter, von Lügnern, von Betrügern, von
Gaunern, die "in des lieben Brotes willen Marktschreierei treiben und dem
Publicum den unerhörtesten Unsinn ins Gesicht werfen u. s. w. Ein verständiger
Apologet hätte diese Seite seines Philosophen, die ihn gewiß dem Publicum nicht
empfehlen kann, soweit als möglich versteckt und sich damit begnügt, den positiven
Inhalt seiner Lehren blos zu legen. Statt dessen berichtet Herr Fräuenstädt sehr
ausführlich über diese Ausdrucksweise und adoptirt sie selber. Sodann kam es
darauf an, da Schopenhauer behauptet, unter der Philosophie etwas ganz Anderes
zu verstehen, als die übrigen gleichzeitigen Philosophen, seinen Begriff und seine
Absichten über die Philosophie so gemeinverständlich, als möglich zu entwickeln.
Nun deferirt Herr Fraueustädt S. ii: "Da die Schopenhanersche Philosophie
als immanenter Dogmatismus nicht mit innerweltlichen Erkenntnißformen über
die Welt hinausgeht, sondern blos bestrebt ist, zu erklären, was die Welt sei,
indem sie dieselben in ihre Fundamente zerlegt, so ist sie ^höchst einfach und mit
einem Blick überschaulich. Die Welt ist nach ihrem Wesen an sich Wille, ihrer
Erscheinung nach Vorstellung. Dies ist daS ganz einfache Resultat der Schopen-
hauerschen Weltzerlegnng und Weltauslegnng. Man könnte dieses Resultat auch
umgekehrt so ausdrücken: Die Welt als Vorstellung oder die vorgestellte Welt
ist nnr Erscheinung, die Welt als (von der Vorstellung und ihren Formen unab¬
hängiger) Wille dagegen ist die reale, wesenhafte, an sich seiende Welt." --
Wen" so etwas am Schluß eines philosophischen Werks vorkäme, wo die einzelnen
mitwirkenden Begriffe analysirt "ut auseinandergelegt sind, so könnte in dieser
Erklärung vielleicht viel Richtiges und Treffendes liegen; aber zu Anfang eines
Commentars dem gesunden Menschenverstand an den Kops geworfen, klingt sie
gradezu wie Abracadabra. Wenn Schopenhauer zu dem Resultat kommt, die Welt
sei ein Wille, so würden wir erst anhören müssen, wie er das erklärt und ihm
dann vielleicht beipflichten; wenn aber Herr Fraueustädt damit anfängt, so ist das
gewiß sehr ungeschickt, denn der gewöhnliche Menschenverstand kann mit jener
Combination von Worten gar keinen Sinn verknüpfen. -- Endlich hätte Herr
Fraueustädt, wenn er nebenbei eine Kritik der übrigen Philosophen gibt, sehr
behutsam sein müssen, um keine Ignoranz und keinen Mangel an Verständniß zu
verrathen. Nun citirt er aber gleich in den ersten Paragraphen (S. 48) einen
Angriff Schopenhauers ans Fichtes "intellectuelle Anschauung", welchem er voll-


und nicht unbedeutende Gedanken darin enthalten sind, eine gewisse Rohheit und
Nachlässigkeit, die jeden gebildeten Geist abstoßen muß, noch ehe er bis zu dem
eigentlichen Kern seines Philosophirenö vorgedrungen ist. Einerseits überhebt
er sich ans eine selbst in Deutschland unerhörte Weise („nur die Lumpe sind
bescheiden", stottert Herr Frauenstädt dem Dichter nach), die immer ein unsicheres,
krankhaft gereiztes Selbstgefühl verräth, sodann schimpft er nach allen Seiten hin
in dieses Worts verwegenster Bedeutung. Er spricht von Fichte, Schelling,
Hegel nie anders, als von Unverschämter, von Lügnern, von Betrügern, von
Gaunern, die »in des lieben Brotes willen Marktschreierei treiben und dem
Publicum den unerhörtesten Unsinn ins Gesicht werfen u. s. w. Ein verständiger
Apologet hätte diese Seite seines Philosophen, die ihn gewiß dem Publicum nicht
empfehlen kann, soweit als möglich versteckt und sich damit begnügt, den positiven
Inhalt seiner Lehren blos zu legen. Statt dessen berichtet Herr Fräuenstädt sehr
ausführlich über diese Ausdrucksweise und adoptirt sie selber. Sodann kam es
darauf an, da Schopenhauer behauptet, unter der Philosophie etwas ganz Anderes
zu verstehen, als die übrigen gleichzeitigen Philosophen, seinen Begriff und seine
Absichten über die Philosophie so gemeinverständlich, als möglich zu entwickeln.
Nun deferirt Herr Fraueustädt S. ii: „Da die Schopenhanersche Philosophie
als immanenter Dogmatismus nicht mit innerweltlichen Erkenntnißformen über
die Welt hinausgeht, sondern blos bestrebt ist, zu erklären, was die Welt sei,
indem sie dieselben in ihre Fundamente zerlegt, so ist sie ^höchst einfach und mit
einem Blick überschaulich. Die Welt ist nach ihrem Wesen an sich Wille, ihrer
Erscheinung nach Vorstellung. Dies ist daS ganz einfache Resultat der Schopen-
hauerschen Weltzerlegnng und Weltauslegnng. Man könnte dieses Resultat auch
umgekehrt so ausdrücken: Die Welt als Vorstellung oder die vorgestellte Welt
ist nnr Erscheinung, die Welt als (von der Vorstellung und ihren Formen unab¬
hängiger) Wille dagegen ist die reale, wesenhafte, an sich seiende Welt." —
Wen» so etwas am Schluß eines philosophischen Werks vorkäme, wo die einzelnen
mitwirkenden Begriffe analysirt »ut auseinandergelegt sind, so könnte in dieser
Erklärung vielleicht viel Richtiges und Treffendes liegen; aber zu Anfang eines
Commentars dem gesunden Menschenverstand an den Kops geworfen, klingt sie
gradezu wie Abracadabra. Wenn Schopenhauer zu dem Resultat kommt, die Welt
sei ein Wille, so würden wir erst anhören müssen, wie er das erklärt und ihm
dann vielleicht beipflichten; wenn aber Herr Fraueustädt damit anfängt, so ist das
gewiß sehr ungeschickt, denn der gewöhnliche Menschenverstand kann mit jener
Combination von Worten gar keinen Sinn verknüpfen. — Endlich hätte Herr
Fraueustädt, wenn er nebenbei eine Kritik der übrigen Philosophen gibt, sehr
behutsam sein müssen, um keine Ignoranz und keinen Mangel an Verständniß zu
verrathen. Nun citirt er aber gleich in den ersten Paragraphen (S. 48) einen
Angriff Schopenhauers ans Fichtes „intellectuelle Anschauung", welchem er voll-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0338" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/97584"/>
          <p xml:id="ID_883" prev="#ID_882" next="#ID_884"> und nicht unbedeutende Gedanken darin enthalten sind, eine gewisse Rohheit und<lb/>
Nachlässigkeit, die jeden gebildeten Geist abstoßen muß, noch ehe er bis zu dem<lb/>
eigentlichen Kern seines Philosophirenö vorgedrungen ist. Einerseits überhebt<lb/>
er sich ans eine selbst in Deutschland unerhörte Weise (&#x201E;nur die Lumpe sind<lb/>
bescheiden", stottert Herr Frauenstädt dem Dichter nach), die immer ein unsicheres,<lb/>
krankhaft gereiztes Selbstgefühl verräth, sodann schimpft er nach allen Seiten hin<lb/>
in dieses Worts verwegenster Bedeutung. Er spricht von Fichte, Schelling,<lb/>
Hegel nie anders, als von Unverschämter, von Lügnern, von Betrügern, von<lb/>
Gaunern, die »in des lieben Brotes willen Marktschreierei treiben und dem<lb/>
Publicum den unerhörtesten Unsinn ins Gesicht werfen u. s. w. Ein verständiger<lb/>
Apologet hätte diese Seite seines Philosophen, die ihn gewiß dem Publicum nicht<lb/>
empfehlen kann, soweit als möglich versteckt und sich damit begnügt, den positiven<lb/>
Inhalt seiner Lehren blos zu legen. Statt dessen berichtet Herr Fräuenstädt sehr<lb/>
ausführlich über diese Ausdrucksweise und adoptirt sie selber. Sodann kam es<lb/>
darauf an, da Schopenhauer behauptet, unter der Philosophie etwas ganz Anderes<lb/>
zu verstehen, als die übrigen gleichzeitigen Philosophen, seinen Begriff und seine<lb/>
Absichten über die Philosophie so gemeinverständlich, als möglich zu entwickeln.<lb/>
Nun deferirt Herr Fraueustädt S. ii: &#x201E;Da die Schopenhanersche Philosophie<lb/>
als immanenter Dogmatismus nicht mit innerweltlichen Erkenntnißformen über<lb/>
die Welt hinausgeht, sondern blos bestrebt ist, zu erklären, was die Welt sei,<lb/>
indem sie dieselben in ihre Fundamente zerlegt, so ist sie ^höchst einfach und mit<lb/>
einem Blick überschaulich. Die Welt ist nach ihrem Wesen an sich Wille, ihrer<lb/>
Erscheinung nach Vorstellung. Dies ist daS ganz einfache Resultat der Schopen-<lb/>
hauerschen Weltzerlegnng und Weltauslegnng. Man könnte dieses Resultat auch<lb/>
umgekehrt so ausdrücken: Die Welt als Vorstellung oder die vorgestellte Welt<lb/>
ist nnr Erscheinung, die Welt als (von der Vorstellung und ihren Formen unab¬<lb/>
hängiger) Wille dagegen ist die reale, wesenhafte, an sich seiende Welt." &#x2014;<lb/>
Wen» so etwas am Schluß eines philosophischen Werks vorkäme, wo die einzelnen<lb/>
mitwirkenden Begriffe analysirt »ut auseinandergelegt sind, so könnte in dieser<lb/>
Erklärung vielleicht viel Richtiges und Treffendes liegen; aber zu Anfang eines<lb/>
Commentars dem gesunden Menschenverstand an den Kops geworfen, klingt sie<lb/>
gradezu wie Abracadabra. Wenn Schopenhauer zu dem Resultat kommt, die Welt<lb/>
sei ein Wille, so würden wir erst anhören müssen, wie er das erklärt und ihm<lb/>
dann vielleicht beipflichten; wenn aber Herr Fraueustädt damit anfängt, so ist das<lb/>
gewiß sehr ungeschickt, denn der gewöhnliche Menschenverstand kann mit jener<lb/>
Combination von Worten gar keinen Sinn verknüpfen. &#x2014; Endlich hätte Herr<lb/>
Fraueustädt, wenn er nebenbei eine Kritik der übrigen Philosophen gibt, sehr<lb/>
behutsam sein müssen, um keine Ignoranz und keinen Mangel an Verständniß zu<lb/>
verrathen. Nun citirt er aber gleich in den ersten Paragraphen (S. 48) einen<lb/>
Angriff Schopenhauers ans Fichtes &#x201E;intellectuelle Anschauung", welchem er voll-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0338] und nicht unbedeutende Gedanken darin enthalten sind, eine gewisse Rohheit und Nachlässigkeit, die jeden gebildeten Geist abstoßen muß, noch ehe er bis zu dem eigentlichen Kern seines Philosophirenö vorgedrungen ist. Einerseits überhebt er sich ans eine selbst in Deutschland unerhörte Weise („nur die Lumpe sind bescheiden", stottert Herr Frauenstädt dem Dichter nach), die immer ein unsicheres, krankhaft gereiztes Selbstgefühl verräth, sodann schimpft er nach allen Seiten hin in dieses Worts verwegenster Bedeutung. Er spricht von Fichte, Schelling, Hegel nie anders, als von Unverschämter, von Lügnern, von Betrügern, von Gaunern, die »in des lieben Brotes willen Marktschreierei treiben und dem Publicum den unerhörtesten Unsinn ins Gesicht werfen u. s. w. Ein verständiger Apologet hätte diese Seite seines Philosophen, die ihn gewiß dem Publicum nicht empfehlen kann, soweit als möglich versteckt und sich damit begnügt, den positiven Inhalt seiner Lehren blos zu legen. Statt dessen berichtet Herr Fräuenstädt sehr ausführlich über diese Ausdrucksweise und adoptirt sie selber. Sodann kam es darauf an, da Schopenhauer behauptet, unter der Philosophie etwas ganz Anderes zu verstehen, als die übrigen gleichzeitigen Philosophen, seinen Begriff und seine Absichten über die Philosophie so gemeinverständlich, als möglich zu entwickeln. Nun deferirt Herr Fraueustädt S. ii: „Da die Schopenhanersche Philosophie als immanenter Dogmatismus nicht mit innerweltlichen Erkenntnißformen über die Welt hinausgeht, sondern blos bestrebt ist, zu erklären, was die Welt sei, indem sie dieselben in ihre Fundamente zerlegt, so ist sie ^höchst einfach und mit einem Blick überschaulich. Die Welt ist nach ihrem Wesen an sich Wille, ihrer Erscheinung nach Vorstellung. Dies ist daS ganz einfache Resultat der Schopen- hauerschen Weltzerlegnng und Weltauslegnng. Man könnte dieses Resultat auch umgekehrt so ausdrücken: Die Welt als Vorstellung oder die vorgestellte Welt ist nnr Erscheinung, die Welt als (von der Vorstellung und ihren Formen unab¬ hängiger) Wille dagegen ist die reale, wesenhafte, an sich seiende Welt." — Wen» so etwas am Schluß eines philosophischen Werks vorkäme, wo die einzelnen mitwirkenden Begriffe analysirt »ut auseinandergelegt sind, so könnte in dieser Erklärung vielleicht viel Richtiges und Treffendes liegen; aber zu Anfang eines Commentars dem gesunden Menschenverstand an den Kops geworfen, klingt sie gradezu wie Abracadabra. Wenn Schopenhauer zu dem Resultat kommt, die Welt sei ein Wille, so würden wir erst anhören müssen, wie er das erklärt und ihm dann vielleicht beipflichten; wenn aber Herr Fraueustädt damit anfängt, so ist das gewiß sehr ungeschickt, denn der gewöhnliche Menschenverstand kann mit jener Combination von Worten gar keinen Sinn verknüpfen. — Endlich hätte Herr Fraueustädt, wenn er nebenbei eine Kritik der übrigen Philosophen gibt, sehr behutsam sein müssen, um keine Ignoranz und keinen Mangel an Verständniß zu verrathen. Nun citirt er aber gleich in den ersten Paragraphen (S. 48) einen Angriff Schopenhauers ans Fichtes „intellectuelle Anschauung", welchem er voll-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/338
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/338>, abgerufen am 22.07.2024.