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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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Kunstwerkes nicht leicht erreichen kann. Auch beabsichtigt der Dichter selbst durch¬
aus nicht eine epische Geschlossenheit der Erzählung, wie sie bis jetzt als unum¬
gängliches Erforderniß eines Kunstwerkes galt, zu geben, ja es wird ihm wenig
darauf ankommen, ob man seinen Roman ein Kunstwerk in dem alten Sinne
nenne; der patriotische, also didaktische Zweck steht ihm am höchsten, es war ihm
ein lebhaftes Bedürfniß, durch eine Reihe von Persönlichkeiten die kämpfenden
Ansichten und Stimmungen jeuer Zeit zu veranschaulichen, bei denen oft die Ap¬
plication ans die Parteiungen der Gegenwart nahe gelegt ist. Er fordert für
diese Methode des Schaffens detaillirte Darstellung wirklicher politischer Verhält¬
nisse in poetischer Verkleidung, von seinem Leser Berechtigung. Das ungefähr
ist der Sinn dessen, was der Verfasser in dem Roman selbst für seine Darstel¬
lung anführt.

Jede Abweichung von dem bisherigen Brauch der Komposition in historischen
Romanen soll dem Versasser gestattet sein, wenn es ihm gelingt, für die Nicht-
beobachtung alter Kunstgesetze durch Erreichung neuer, größerer, kunstmäßiger
Wirkungen zu entschädigen. Ja, wenn er bei seiner Methode der Darstellung
nur durchsetzt, uus ein durchweg fesselndes, bis zum Eude interessantes Buch zu
schreibe", so wollen wir ihm seiner patriotischen Gesinnung wegen zustimmen und
ihm helfen, der alten pedantischen Theorie einen Scheiterhaufen zu errichten. --

Allein das hat er nicht vollständig erreicht, und wir sind in der Lage, die
Compositionsgesetze des historischen Romans, wie sie namentlich durch Walter
Scott in einzelnen Fällen so bedeutend angewandt worden sind, gegen den Dichter
selbst vertreten zu müssen. Nicht weil diese Gesetze herkömmlich, nicht weil ^sie durch
ein ästhetisches System legitimirt sind, sondern hier nur deswegen, weil sie noth¬
wendig sind, dem behandelten Stoff bei dem Leser Wirkung zu sichern, d. h. den
Roman als ein Ganzes dem gebildeten Urtheil gefallen zu machen. Bei einer
großen Anzahl dieser Compositionsgesetze ist ihre ewige Nothwendigkeit nicht schwer
einzusehen, wir verweilen hier nur bei einzelnen.

Zunächst sei an allgemein Bekanntes erinnert. Wir fordern vom Roman,
daß er eine Begebenheit erzähle, welche, in allen ihren Theilen verständlich, dnrch
den innern Zusammenhang ihrer Theile als eine geschlossene Einheit erscheint,
und deshalb eine bestimmte einheitliche Färbung in Stil, Schilderung und in Cha¬
rakteristik der darin auftretenden Personen möglich macht. Diese innere Einheit,
der Zusammenhang der Begebenheit in dem Roman muß sich entwickeln aus den
dargestellten Persönlichkeiten und dem logischen Zwange der ihm zu Grunde lie¬
genden Verhältnisse.

Dadurch entsteht dem Leser das behagliche Gefühl der Sicherheit und
Freiheit, er wird in eine kleine freie Welt versetzt, in welcher er den ver-
"ünftigen Zusammenhang der Ereignisse vollständig übersieht, in welchem sein
Geh'U)l für Recht und Unrecht nicht verletzt, er zum Vertrauten starker, idealer


it *

Kunstwerkes nicht leicht erreichen kann. Auch beabsichtigt der Dichter selbst durch¬
aus nicht eine epische Geschlossenheit der Erzählung, wie sie bis jetzt als unum¬
gängliches Erforderniß eines Kunstwerkes galt, zu geben, ja es wird ihm wenig
darauf ankommen, ob man seinen Roman ein Kunstwerk in dem alten Sinne
nenne; der patriotische, also didaktische Zweck steht ihm am höchsten, es war ihm
ein lebhaftes Bedürfniß, durch eine Reihe von Persönlichkeiten die kämpfenden
Ansichten und Stimmungen jeuer Zeit zu veranschaulichen, bei denen oft die Ap¬
plication ans die Parteiungen der Gegenwart nahe gelegt ist. Er fordert für
diese Methode des Schaffens detaillirte Darstellung wirklicher politischer Verhält¬
nisse in poetischer Verkleidung, von seinem Leser Berechtigung. Das ungefähr
ist der Sinn dessen, was der Verfasser in dem Roman selbst für seine Darstel¬
lung anführt.

Jede Abweichung von dem bisherigen Brauch der Komposition in historischen
Romanen soll dem Versasser gestattet sein, wenn es ihm gelingt, für die Nicht-
beobachtung alter Kunstgesetze durch Erreichung neuer, größerer, kunstmäßiger
Wirkungen zu entschädigen. Ja, wenn er bei seiner Methode der Darstellung
nur durchsetzt, uus ein durchweg fesselndes, bis zum Eude interessantes Buch zu
schreibe», so wollen wir ihm seiner patriotischen Gesinnung wegen zustimmen und
ihm helfen, der alten pedantischen Theorie einen Scheiterhaufen zu errichten. —

Allein das hat er nicht vollständig erreicht, und wir sind in der Lage, die
Compositionsgesetze des historischen Romans, wie sie namentlich durch Walter
Scott in einzelnen Fällen so bedeutend angewandt worden sind, gegen den Dichter
selbst vertreten zu müssen. Nicht weil diese Gesetze herkömmlich, nicht weil ^sie durch
ein ästhetisches System legitimirt sind, sondern hier nur deswegen, weil sie noth¬
wendig sind, dem behandelten Stoff bei dem Leser Wirkung zu sichern, d. h. den
Roman als ein Ganzes dem gebildeten Urtheil gefallen zu machen. Bei einer
großen Anzahl dieser Compositionsgesetze ist ihre ewige Nothwendigkeit nicht schwer
einzusehen, wir verweilen hier nur bei einzelnen.

Zunächst sei an allgemein Bekanntes erinnert. Wir fordern vom Roman,
daß er eine Begebenheit erzähle, welche, in allen ihren Theilen verständlich, dnrch
den innern Zusammenhang ihrer Theile als eine geschlossene Einheit erscheint,
und deshalb eine bestimmte einheitliche Färbung in Stil, Schilderung und in Cha¬
rakteristik der darin auftretenden Personen möglich macht. Diese innere Einheit,
der Zusammenhang der Begebenheit in dem Roman muß sich entwickeln aus den
dargestellten Persönlichkeiten und dem logischen Zwange der ihm zu Grunde lie¬
genden Verhältnisse.

Dadurch entsteht dem Leser das behagliche Gefühl der Sicherheit und
Freiheit, er wird in eine kleine freie Welt versetzt, in welcher er den ver-
"ünftigen Zusammenhang der Ereignisse vollständig übersieht, in welchem sein
Geh'U)l für Recht und Unrecht nicht verletzt, er zum Vertrauten starker, idealer


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[0331] Kunstwerkes nicht leicht erreichen kann. Auch beabsichtigt der Dichter selbst durch¬ aus nicht eine epische Geschlossenheit der Erzählung, wie sie bis jetzt als unum¬ gängliches Erforderniß eines Kunstwerkes galt, zu geben, ja es wird ihm wenig darauf ankommen, ob man seinen Roman ein Kunstwerk in dem alten Sinne nenne; der patriotische, also didaktische Zweck steht ihm am höchsten, es war ihm ein lebhaftes Bedürfniß, durch eine Reihe von Persönlichkeiten die kämpfenden Ansichten und Stimmungen jeuer Zeit zu veranschaulichen, bei denen oft die Ap¬ plication ans die Parteiungen der Gegenwart nahe gelegt ist. Er fordert für diese Methode des Schaffens detaillirte Darstellung wirklicher politischer Verhält¬ nisse in poetischer Verkleidung, von seinem Leser Berechtigung. Das ungefähr ist der Sinn dessen, was der Verfasser in dem Roman selbst für seine Darstel¬ lung anführt. Jede Abweichung von dem bisherigen Brauch der Komposition in historischen Romanen soll dem Versasser gestattet sein, wenn es ihm gelingt, für die Nicht- beobachtung alter Kunstgesetze durch Erreichung neuer, größerer, kunstmäßiger Wirkungen zu entschädigen. Ja, wenn er bei seiner Methode der Darstellung nur durchsetzt, uus ein durchweg fesselndes, bis zum Eude interessantes Buch zu schreibe», so wollen wir ihm seiner patriotischen Gesinnung wegen zustimmen und ihm helfen, der alten pedantischen Theorie einen Scheiterhaufen zu errichten. — Allein das hat er nicht vollständig erreicht, und wir sind in der Lage, die Compositionsgesetze des historischen Romans, wie sie namentlich durch Walter Scott in einzelnen Fällen so bedeutend angewandt worden sind, gegen den Dichter selbst vertreten zu müssen. Nicht weil diese Gesetze herkömmlich, nicht weil ^sie durch ein ästhetisches System legitimirt sind, sondern hier nur deswegen, weil sie noth¬ wendig sind, dem behandelten Stoff bei dem Leser Wirkung zu sichern, d. h. den Roman als ein Ganzes dem gebildeten Urtheil gefallen zu machen. Bei einer großen Anzahl dieser Compositionsgesetze ist ihre ewige Nothwendigkeit nicht schwer einzusehen, wir verweilen hier nur bei einzelnen. Zunächst sei an allgemein Bekanntes erinnert. Wir fordern vom Roman, daß er eine Begebenheit erzähle, welche, in allen ihren Theilen verständlich, dnrch den innern Zusammenhang ihrer Theile als eine geschlossene Einheit erscheint, und deshalb eine bestimmte einheitliche Färbung in Stil, Schilderung und in Cha¬ rakteristik der darin auftretenden Personen möglich macht. Diese innere Einheit, der Zusammenhang der Begebenheit in dem Roman muß sich entwickeln aus den dargestellten Persönlichkeiten und dem logischen Zwange der ihm zu Grunde lie¬ genden Verhältnisse. Dadurch entsteht dem Leser das behagliche Gefühl der Sicherheit und Freiheit, er wird in eine kleine freie Welt versetzt, in welcher er den ver- "ünftigen Zusammenhang der Ereignisse vollständig übersieht, in welchem sein Geh'U)l für Recht und Unrecht nicht verletzt, er zum Vertrauten starker, idealer it *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/331>, abgerufen am 22.07.2024.