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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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Die Städte als solche haben gar keine politische Bedeutung. In den
Städten bildet jede Handwcrköclasse eine Genossenschaft oder Zunft, die ihre
eigenen Statuten hat und einem gewählten Haupte oder Richter gehorcht, der,
gleich einem Stareschinen, mit im Bezirksrathe sitzt. Er ist aber kein edler
Stareschtn, kein Stammeshanpt; er vertritt nur Handels- und Gewerbeiuteressen,
ohne politischen Einfluß zu üben. Die Stareschinen dagegen gehören den alten
und edlen Geschlechtern an, die bei den Griechen-Slawen in hoher Achtung
stehen.

So bilden die griechisch-slawischen Stämme eine Vereinigung von freien und
unabhängigen Gemeinden. Diesen Zustand wollen sie erhalten: sie wollen keine
Vermischung, keine Gleichstellung mit den Osmanli, wie sie der Hattischeris von
Gulhane bezweckt, sondern nach eigenem politischen und religiösen Gesetz ihr
Stammesleben führen. Diesen Sinn hatten ihre Revolutionen. Serbien hat
die Türken aus seinem Lande verbannt: die Walachei hat ihnen den Zutritt
versagt. Bosnien, Albanien und die Herzegowina, wo Muselmänner und Christen
sich gemischt finden, trachten darnach, sich in zwei Theile zu trennen, von denen
jeder mit eigenem Oberhaupt und besonderer Verwaltung unmittelbar der höchsten
Staatsgewalt untergeben ist. Ebensowenig wünscht der Muhamedaner eine Ver¬
mischung mit den Rajas; er, der die geistliche Gewalt nicht von der weltlichen
unterscheidet, wird sich niemals herbeilassen, einer christlichen Obrigkeit zu ge¬
horchen. Nur wenn die christliche und muhamedanische Bevölkerung unabhängig
unter dem Schutze des Sultans nebeneinander bestehen, läßt sich Ruhe und Zu¬
friedenheit in der Türkei erwarten.

Es ist daher ein Fehler der türkischen Regierung gewesen, daß sie die na¬
tionale Selbstständigkeit ihrer Slawen vielfach beeinträchtigt und nicht vielmehr
gefördert hat. In diesen Slawen liegen starke Elemente des Beistandes und
Schutzes für die Pforte. Deun dem russischen Absolutismus sich zu unterwerfen,
sind sie keineswegs gemeint und ebensowenig können sie daran denken, ein eigenes
Reich zu gründen. Die Pforte hätte daher rücksichtlich der Serben, Bulgaren
und Bosniaken diejenige Politik befolgen sollen, welche Oestreich so erfolgreich
bei den Kroaten angewendet hat, die ihm geholfen haben, Ungarn wieder zu
erobern. Auch im Balkan würde für die Pforte sich ein Jellacic erheben, und
Konstantinopel kann bei den türkischen Slawen dieselbe Stütze finden, die Wien
bei den östreichischen Slawen gefunden hat. Hätte Oestreich früher es verstanden,
diese mächtige Hilfe zu benutzen, so würde es nicht nöthig gehabt haben, zur
Unterwerfung der Magyaren die bedenkliche Unterstützung Rußlands anzurufen;
und verstände die Türkei, den Beistand der Bulgaro - Serben sich zu sichern, so
würde sie einen auswärtigen Krieg wenig zu fürchten haben.




Die Städte als solche haben gar keine politische Bedeutung. In den
Städten bildet jede Handwcrköclasse eine Genossenschaft oder Zunft, die ihre
eigenen Statuten hat und einem gewählten Haupte oder Richter gehorcht, der,
gleich einem Stareschinen, mit im Bezirksrathe sitzt. Er ist aber kein edler
Stareschtn, kein Stammeshanpt; er vertritt nur Handels- und Gewerbeiuteressen,
ohne politischen Einfluß zu üben. Die Stareschinen dagegen gehören den alten
und edlen Geschlechtern an, die bei den Griechen-Slawen in hoher Achtung
stehen.

So bilden die griechisch-slawischen Stämme eine Vereinigung von freien und
unabhängigen Gemeinden. Diesen Zustand wollen sie erhalten: sie wollen keine
Vermischung, keine Gleichstellung mit den Osmanli, wie sie der Hattischeris von
Gulhane bezweckt, sondern nach eigenem politischen und religiösen Gesetz ihr
Stammesleben führen. Diesen Sinn hatten ihre Revolutionen. Serbien hat
die Türken aus seinem Lande verbannt: die Walachei hat ihnen den Zutritt
versagt. Bosnien, Albanien und die Herzegowina, wo Muselmänner und Christen
sich gemischt finden, trachten darnach, sich in zwei Theile zu trennen, von denen
jeder mit eigenem Oberhaupt und besonderer Verwaltung unmittelbar der höchsten
Staatsgewalt untergeben ist. Ebensowenig wünscht der Muhamedaner eine Ver¬
mischung mit den Rajas; er, der die geistliche Gewalt nicht von der weltlichen
unterscheidet, wird sich niemals herbeilassen, einer christlichen Obrigkeit zu ge¬
horchen. Nur wenn die christliche und muhamedanische Bevölkerung unabhängig
unter dem Schutze des Sultans nebeneinander bestehen, läßt sich Ruhe und Zu¬
friedenheit in der Türkei erwarten.

Es ist daher ein Fehler der türkischen Regierung gewesen, daß sie die na¬
tionale Selbstständigkeit ihrer Slawen vielfach beeinträchtigt und nicht vielmehr
gefördert hat. In diesen Slawen liegen starke Elemente des Beistandes und
Schutzes für die Pforte. Deun dem russischen Absolutismus sich zu unterwerfen,
sind sie keineswegs gemeint und ebensowenig können sie daran denken, ein eigenes
Reich zu gründen. Die Pforte hätte daher rücksichtlich der Serben, Bulgaren
und Bosniaken diejenige Politik befolgen sollen, welche Oestreich so erfolgreich
bei den Kroaten angewendet hat, die ihm geholfen haben, Ungarn wieder zu
erobern. Auch im Balkan würde für die Pforte sich ein Jellacic erheben, und
Konstantinopel kann bei den türkischen Slawen dieselbe Stütze finden, die Wien
bei den östreichischen Slawen gefunden hat. Hätte Oestreich früher es verstanden,
diese mächtige Hilfe zu benutzen, so würde es nicht nöthig gehabt haben, zur
Unterwerfung der Magyaren die bedenkliche Unterstützung Rußlands anzurufen;
und verstände die Türkei, den Beistand der Bulgaro - Serben sich zu sichern, so
würde sie einen auswärtigen Krieg wenig zu fürchten haben.




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[0317] Die Städte als solche haben gar keine politische Bedeutung. In den Städten bildet jede Handwcrköclasse eine Genossenschaft oder Zunft, die ihre eigenen Statuten hat und einem gewählten Haupte oder Richter gehorcht, der, gleich einem Stareschinen, mit im Bezirksrathe sitzt. Er ist aber kein edler Stareschtn, kein Stammeshanpt; er vertritt nur Handels- und Gewerbeiuteressen, ohne politischen Einfluß zu üben. Die Stareschinen dagegen gehören den alten und edlen Geschlechtern an, die bei den Griechen-Slawen in hoher Achtung stehen. So bilden die griechisch-slawischen Stämme eine Vereinigung von freien und unabhängigen Gemeinden. Diesen Zustand wollen sie erhalten: sie wollen keine Vermischung, keine Gleichstellung mit den Osmanli, wie sie der Hattischeris von Gulhane bezweckt, sondern nach eigenem politischen und religiösen Gesetz ihr Stammesleben führen. Diesen Sinn hatten ihre Revolutionen. Serbien hat die Türken aus seinem Lande verbannt: die Walachei hat ihnen den Zutritt versagt. Bosnien, Albanien und die Herzegowina, wo Muselmänner und Christen sich gemischt finden, trachten darnach, sich in zwei Theile zu trennen, von denen jeder mit eigenem Oberhaupt und besonderer Verwaltung unmittelbar der höchsten Staatsgewalt untergeben ist. Ebensowenig wünscht der Muhamedaner eine Ver¬ mischung mit den Rajas; er, der die geistliche Gewalt nicht von der weltlichen unterscheidet, wird sich niemals herbeilassen, einer christlichen Obrigkeit zu ge¬ horchen. Nur wenn die christliche und muhamedanische Bevölkerung unabhängig unter dem Schutze des Sultans nebeneinander bestehen, läßt sich Ruhe und Zu¬ friedenheit in der Türkei erwarten. Es ist daher ein Fehler der türkischen Regierung gewesen, daß sie die na¬ tionale Selbstständigkeit ihrer Slawen vielfach beeinträchtigt und nicht vielmehr gefördert hat. In diesen Slawen liegen starke Elemente des Beistandes und Schutzes für die Pforte. Deun dem russischen Absolutismus sich zu unterwerfen, sind sie keineswegs gemeint und ebensowenig können sie daran denken, ein eigenes Reich zu gründen. Die Pforte hätte daher rücksichtlich der Serben, Bulgaren und Bosniaken diejenige Politik befolgen sollen, welche Oestreich so erfolgreich bei den Kroaten angewendet hat, die ihm geholfen haben, Ungarn wieder zu erobern. Auch im Balkan würde für die Pforte sich ein Jellacic erheben, und Konstantinopel kann bei den türkischen Slawen dieselbe Stütze finden, die Wien bei den östreichischen Slawen gefunden hat. Hätte Oestreich früher es verstanden, diese mächtige Hilfe zu benutzen, so würde es nicht nöthig gehabt haben, zur Unterwerfung der Magyaren die bedenkliche Unterstützung Rußlands anzurufen; und verstände die Türkei, den Beistand der Bulgaro - Serben sich zu sichern, so würde sie einen auswärtigen Krieg wenig zu fürchten haben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/317>, abgerufen am 22.07.2024.