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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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mehr in die Gebirge zurückgedrängt, zählt kaum noch eine Million Seelen; die
griechische Bevölkerung aber, in gleichem Maße vermindert, beträgt mit Einschluß
der hellenischen Slawen in Macedonien, den hellenischen Albanesen in Epirus und
des Königreichs Griechenland und der Inseln etwa drei Millionen.

Alle diese fünf Völkerschaften der Halbinsel bekennen sich mit Ausnahme einer
Anzahl Serben und Albanesen oder Arnauten zum Christenthum. Die Tür¬
ken, deren Zahl außerordentlich zusammengeschmolzen ist, sind eigentlich nur
Fremdlinge in der Halbinsel, die ihre Wohnsitze daselbst aufgeschlagen, die festen
Plätze besetzt, aber niemals als wahre Landesbewohner gegolten haben, außer
etwa in Thracien, wo aber die eindringenden bulgarischen Ackerbauer sich mehr
und mehr ausbreiten und sie nach Stambul zurückdrängen. Die muhameda¬
nischen Albanesen und Bosnier streben, wie ihre christlichen Stammesgenossen,
deren Sprache sie reden und denen sie abtrünnig geworden send, nach Unabhän¬
gigkeit und würden, um diese zu erlangen, zuletzt mit ihnen gegen die Türken sich
verbinden. Griechen, Bulgare", Serben, Albanesen und Moldau-
IS alachen, das sind die alleinigen socialen Grundlagen der europäischen Türkei.
Wären diese Völker einig, so würde ihr Wille den Türken gegenüber Gesetz sein:
vereinzelt aber sind sie so schwach, daß eine Truppeumacht von 100,000 Türken
hinreicht, ihre Kräfte zu lähmen. Diese ebenso kriegerischen als geistvollen Stämme
werden von den Nachkommen ihrer Sieger und einem Hausen Fremder, Armenier und
Juden, ausgesogen. Die armenischen Geldmäkler überfluten raubgierig alle grie¬
chisch-slawischen Bazars: sie sind die Pächter aller Staatseinkünfte, die Gläubiger
aller Gemeinden, die sie durch himmelschreienden Wucher an den Bettelstab brin¬
gen. Ebenso große Landplagen sind die Juden und die herumziehenden Zigeu-
ner, die 300,000 an der Zahl, theils Muselmänner, theils Christen sind. Gegen¬
wärtig freilich erstreben die griechisch-slawischen Völker nichts sehnlicher als Ver¬
einigung. Die Entwürfe ihrer Führer, gleichwie ihre Zeitschriften und Volks-
gesänge, drücken einstimmig diesen Wunsch aus. Sie wollen sich nicht vom Reiche
lossagen, sie wollen bei dem Reiche bleiben, aber als Vasallen, nicht als Unter¬
thanen. Gegen den officiellen russischen Panslawismus aber, der sie mit Ertödtung
ihrer nationalen Selbstständigkeit unter den Absolutismus des Zaren beugen
möchte, zeigen sie die größte Abneigung.

Der Boden der Balkanhalbinsel ist der Viehzucht und dem Ackerbau vor¬
zugsweise günstig. Ersterer blüht hauptsächlich in Serbien und in der Moldau-
Walachei. In ihren ausgedehnten Eichenwäldern unterhalten die Serben so zahl¬
reiche Schweineherden, daß sie die Hauptnahruugsquelle des Landes bilden und
dem Volke hinreichende Geldmittel liefern, um die Anschaffung von Munition und
Kriegsbedarf und sonstige Kriegskosten damit zu bestreiten. Man hat deshalb
gesagt, daß die Türken, statt die Serben zu bekämpfen, lieber gegen die Schweine
Serbiens hätten ausziehen und die Eichenwälder, in denen sie Nahrung finden,


mehr in die Gebirge zurückgedrängt, zählt kaum noch eine Million Seelen; die
griechische Bevölkerung aber, in gleichem Maße vermindert, beträgt mit Einschluß
der hellenischen Slawen in Macedonien, den hellenischen Albanesen in Epirus und
des Königreichs Griechenland und der Inseln etwa drei Millionen.

Alle diese fünf Völkerschaften der Halbinsel bekennen sich mit Ausnahme einer
Anzahl Serben und Albanesen oder Arnauten zum Christenthum. Die Tür¬
ken, deren Zahl außerordentlich zusammengeschmolzen ist, sind eigentlich nur
Fremdlinge in der Halbinsel, die ihre Wohnsitze daselbst aufgeschlagen, die festen
Plätze besetzt, aber niemals als wahre Landesbewohner gegolten haben, außer
etwa in Thracien, wo aber die eindringenden bulgarischen Ackerbauer sich mehr
und mehr ausbreiten und sie nach Stambul zurückdrängen. Die muhameda¬
nischen Albanesen und Bosnier streben, wie ihre christlichen Stammesgenossen,
deren Sprache sie reden und denen sie abtrünnig geworden send, nach Unabhän¬
gigkeit und würden, um diese zu erlangen, zuletzt mit ihnen gegen die Türken sich
verbinden. Griechen, Bulgare», Serben, Albanesen und Moldau-
IS alachen, das sind die alleinigen socialen Grundlagen der europäischen Türkei.
Wären diese Völker einig, so würde ihr Wille den Türken gegenüber Gesetz sein:
vereinzelt aber sind sie so schwach, daß eine Truppeumacht von 100,000 Türken
hinreicht, ihre Kräfte zu lähmen. Diese ebenso kriegerischen als geistvollen Stämme
werden von den Nachkommen ihrer Sieger und einem Hausen Fremder, Armenier und
Juden, ausgesogen. Die armenischen Geldmäkler überfluten raubgierig alle grie¬
chisch-slawischen Bazars: sie sind die Pächter aller Staatseinkünfte, die Gläubiger
aller Gemeinden, die sie durch himmelschreienden Wucher an den Bettelstab brin¬
gen. Ebenso große Landplagen sind die Juden und die herumziehenden Zigeu-
ner, die 300,000 an der Zahl, theils Muselmänner, theils Christen sind. Gegen¬
wärtig freilich erstreben die griechisch-slawischen Völker nichts sehnlicher als Ver¬
einigung. Die Entwürfe ihrer Führer, gleichwie ihre Zeitschriften und Volks-
gesänge, drücken einstimmig diesen Wunsch aus. Sie wollen sich nicht vom Reiche
lossagen, sie wollen bei dem Reiche bleiben, aber als Vasallen, nicht als Unter¬
thanen. Gegen den officiellen russischen Panslawismus aber, der sie mit Ertödtung
ihrer nationalen Selbstständigkeit unter den Absolutismus des Zaren beugen
möchte, zeigen sie die größte Abneigung.

Der Boden der Balkanhalbinsel ist der Viehzucht und dem Ackerbau vor¬
zugsweise günstig. Ersterer blüht hauptsächlich in Serbien und in der Moldau-
Walachei. In ihren ausgedehnten Eichenwäldern unterhalten die Serben so zahl¬
reiche Schweineherden, daß sie die Hauptnahruugsquelle des Landes bilden und
dem Volke hinreichende Geldmittel liefern, um die Anschaffung von Munition und
Kriegsbedarf und sonstige Kriegskosten damit zu bestreiten. Man hat deshalb
gesagt, daß die Türken, statt die Serben zu bekämpfen, lieber gegen die Schweine
Serbiens hätten ausziehen und die Eichenwälder, in denen sie Nahrung finden,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/312>, abgerufen am 22.07.2024.