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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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barer Fortschritte. Ihr Resultat erkennt man heute an der Karlsruher Bühne in
einem Wetteifer des Fleißes ihrer Mitglieder, in einer Hingebung an die Ober¬
leitung, in einem Zusammenwirken mit ihren ästhetischen Zwecken, welches ein
Künstlerleben entwickelt hat, jenem der Düsseldorfer und Münchener Malerschule
in ihrer heitersten Epoche schon jetzt vergleichbar. Bei der Herrschaft bloßen
Geschäftsverkehrs zwischen den Künstlern und Leitern betreten sich dagegen die Ab-
"ut Nebenwege nach andern Beziehungen und zur Erreichung von Sondcrabsichten
am leichtesten. Wo ein Band behaglicher Kollegialität den ganzen Organismus
umschlingt, hat die Direction am wenigsten Veranlassung, irgend einer störenden
Einmischung Raum zu gestatten oder ihrer souveränen Autorität das Geringste
zu vergeben.

Solche Voraussetzungen werden zu Lebensbedingungen, wo eine radicale Re¬
organisation weder den alten Bestand des Repertoirs, ja selbst des decorativer
Apparats in die neuen Bühnenränme überführen kann, ohne den Moderduft des
Abgestorbenen mitzubringen. Stil, System und Geschmack im Repertoir, in der
Decoration, Garderobe, i" den Requisiten mußten in Karlsruhe gradezu neuge¬
schaffen oder doch durch die umfassendsten Nachholungen und Einfügungen her¬
gestellt werden. Eine Unmasse nicht blos künstlerischer, sondern auch materieller
Arbeit.' Mußte diese überdies in ganz neuen, theilweise unfertigen Räumen und in
Momenten geschehen, wo selbst das arbeitsschwache Alter und die Unzulänglichkeit
wichtiger Vorstände noch nicht ersetzt ist, so kann selbst der aufopferndste Wett¬
eifer des Kunstpersonals allein nicht ausreichen. Auch in Karlsruhe würde man
an der Unüberwindlichkeit gescheitert sein, wenn uicht der Regent jenen Ausspruch
Goethes, womit dieser die Wunder seiner Bühneuleitnng erklärt, in Bezug auf
die neue Dirertion vollsten Maßes hätte in Erfüllung treten lassen. "Die Haupt¬
sache war -- heißt es in den Tages - und Jahresheften -- daß der Herzog mich
schalten und walten ließ, wie ich es für gut hielt." Um dies aber geschehen zu
lassen, ist allerdings ein gleich erhabener Sinn und ebenso ungewöhnliche Einsicht
in die Bedürfnisse und Nothwendigkeiten des nationalen Theaters nothwendig,
wie sie Ernst August auszeichneten. Und Goethe gegenüber schwieg jede unter¬
geordnete Gegnerschaft, der Karlsruher Neugestaltung gegenüber versuchte sie den
Weg der Appellation an den Landesfürsten am häufigsten. Muß nothwendig der
Souverän alleinbedingend in den Fragen künstlerischer Thätigkeit sein, so erweist
steh dagegen eine souveräne Oberbehörde in den rein administrativen Dingen
neben der direktorialen Autonomie im technischen keineswegs als Hemmniß. Viel¬
mehr müssen grade die Verdienste der Hofdomänenintcndanz (Baron W. F. von
Kettner) um Förderung von Einrichtungen, wie der Beitritt zum Cartellvcrein,
Erhöhung der Antorenhonvrare, Honorirung schon gedruckter Stücke ?c. aufs
stärkste betont werden.

Nicht virtuose Ausbildung des Einzelnen auf Kosten des Ganzen ist der


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barer Fortschritte. Ihr Resultat erkennt man heute an der Karlsruher Bühne in
einem Wetteifer des Fleißes ihrer Mitglieder, in einer Hingebung an die Ober¬
leitung, in einem Zusammenwirken mit ihren ästhetischen Zwecken, welches ein
Künstlerleben entwickelt hat, jenem der Düsseldorfer und Münchener Malerschule
in ihrer heitersten Epoche schon jetzt vergleichbar. Bei der Herrschaft bloßen
Geschäftsverkehrs zwischen den Künstlern und Leitern betreten sich dagegen die Ab-
»ut Nebenwege nach andern Beziehungen und zur Erreichung von Sondcrabsichten
am leichtesten. Wo ein Band behaglicher Kollegialität den ganzen Organismus
umschlingt, hat die Direction am wenigsten Veranlassung, irgend einer störenden
Einmischung Raum zu gestatten oder ihrer souveränen Autorität das Geringste
zu vergeben.

Solche Voraussetzungen werden zu Lebensbedingungen, wo eine radicale Re¬
organisation weder den alten Bestand des Repertoirs, ja selbst des decorativer
Apparats in die neuen Bühnenränme überführen kann, ohne den Moderduft des
Abgestorbenen mitzubringen. Stil, System und Geschmack im Repertoir, in der
Decoration, Garderobe, i» den Requisiten mußten in Karlsruhe gradezu neuge¬
schaffen oder doch durch die umfassendsten Nachholungen und Einfügungen her¬
gestellt werden. Eine Unmasse nicht blos künstlerischer, sondern auch materieller
Arbeit.' Mußte diese überdies in ganz neuen, theilweise unfertigen Räumen und in
Momenten geschehen, wo selbst das arbeitsschwache Alter und die Unzulänglichkeit
wichtiger Vorstände noch nicht ersetzt ist, so kann selbst der aufopferndste Wett¬
eifer des Kunstpersonals allein nicht ausreichen. Auch in Karlsruhe würde man
an der Unüberwindlichkeit gescheitert sein, wenn uicht der Regent jenen Ausspruch
Goethes, womit dieser die Wunder seiner Bühneuleitnng erklärt, in Bezug auf
die neue Dirertion vollsten Maßes hätte in Erfüllung treten lassen. „Die Haupt¬
sache war — heißt es in den Tages - und Jahresheften — daß der Herzog mich
schalten und walten ließ, wie ich es für gut hielt." Um dies aber geschehen zu
lassen, ist allerdings ein gleich erhabener Sinn und ebenso ungewöhnliche Einsicht
in die Bedürfnisse und Nothwendigkeiten des nationalen Theaters nothwendig,
wie sie Ernst August auszeichneten. Und Goethe gegenüber schwieg jede unter¬
geordnete Gegnerschaft, der Karlsruher Neugestaltung gegenüber versuchte sie den
Weg der Appellation an den Landesfürsten am häufigsten. Muß nothwendig der
Souverän alleinbedingend in den Fragen künstlerischer Thätigkeit sein, so erweist
steh dagegen eine souveräne Oberbehörde in den rein administrativen Dingen
neben der direktorialen Autonomie im technischen keineswegs als Hemmniß. Viel¬
mehr müssen grade die Verdienste der Hofdomänenintcndanz (Baron W. F. von
Kettner) um Förderung von Einrichtungen, wie der Beitritt zum Cartellvcrein,
Erhöhung der Antorenhonvrare, Honorirung schon gedruckter Stücke ?c. aufs
stärkste betont werden.

Nicht virtuose Ausbildung des Einzelnen auf Kosten des Ganzen ist der


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[0307] barer Fortschritte. Ihr Resultat erkennt man heute an der Karlsruher Bühne in einem Wetteifer des Fleißes ihrer Mitglieder, in einer Hingebung an die Ober¬ leitung, in einem Zusammenwirken mit ihren ästhetischen Zwecken, welches ein Künstlerleben entwickelt hat, jenem der Düsseldorfer und Münchener Malerschule in ihrer heitersten Epoche schon jetzt vergleichbar. Bei der Herrschaft bloßen Geschäftsverkehrs zwischen den Künstlern und Leitern betreten sich dagegen die Ab- »ut Nebenwege nach andern Beziehungen und zur Erreichung von Sondcrabsichten am leichtesten. Wo ein Band behaglicher Kollegialität den ganzen Organismus umschlingt, hat die Direction am wenigsten Veranlassung, irgend einer störenden Einmischung Raum zu gestatten oder ihrer souveränen Autorität das Geringste zu vergeben. Solche Voraussetzungen werden zu Lebensbedingungen, wo eine radicale Re¬ organisation weder den alten Bestand des Repertoirs, ja selbst des decorativer Apparats in die neuen Bühnenränme überführen kann, ohne den Moderduft des Abgestorbenen mitzubringen. Stil, System und Geschmack im Repertoir, in der Decoration, Garderobe, i» den Requisiten mußten in Karlsruhe gradezu neuge¬ schaffen oder doch durch die umfassendsten Nachholungen und Einfügungen her¬ gestellt werden. Eine Unmasse nicht blos künstlerischer, sondern auch materieller Arbeit.' Mußte diese überdies in ganz neuen, theilweise unfertigen Räumen und in Momenten geschehen, wo selbst das arbeitsschwache Alter und die Unzulänglichkeit wichtiger Vorstände noch nicht ersetzt ist, so kann selbst der aufopferndste Wett¬ eifer des Kunstpersonals allein nicht ausreichen. Auch in Karlsruhe würde man an der Unüberwindlichkeit gescheitert sein, wenn uicht der Regent jenen Ausspruch Goethes, womit dieser die Wunder seiner Bühneuleitnng erklärt, in Bezug auf die neue Dirertion vollsten Maßes hätte in Erfüllung treten lassen. „Die Haupt¬ sache war — heißt es in den Tages - und Jahresheften — daß der Herzog mich schalten und walten ließ, wie ich es für gut hielt." Um dies aber geschehen zu lassen, ist allerdings ein gleich erhabener Sinn und ebenso ungewöhnliche Einsicht in die Bedürfnisse und Nothwendigkeiten des nationalen Theaters nothwendig, wie sie Ernst August auszeichneten. Und Goethe gegenüber schwieg jede unter¬ geordnete Gegnerschaft, der Karlsruher Neugestaltung gegenüber versuchte sie den Weg der Appellation an den Landesfürsten am häufigsten. Muß nothwendig der Souverän alleinbedingend in den Fragen künstlerischer Thätigkeit sein, so erweist steh dagegen eine souveräne Oberbehörde in den rein administrativen Dingen neben der direktorialen Autonomie im technischen keineswegs als Hemmniß. Viel¬ mehr müssen grade die Verdienste der Hofdomänenintcndanz (Baron W. F. von Kettner) um Förderung von Einrichtungen, wie der Beitritt zum Cartellvcrein, Erhöhung der Antorenhonvrare, Honorirung schon gedruckter Stücke ?c. aufs stärkste betont werden. Nicht virtuose Ausbildung des Einzelnen auf Kosten des Ganzen ist der 38*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/307>, abgerufen am 22.07.2024.