Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

sich die Staatsmächte und das Publicum wieder annehmen. Aber freilich ists
mit diesem Princip auch dahin gekommen, daß sein Repertoir einzig auf die
Bedürfnisse der Meßfremden und das Amüsement der sommerlichen Touristen¬
karawanen speculirte; in den Zwischenzeiten war das Frankfurter Publicum der
Probirstein solcher Rentabilität. Ists nnn ein Wunder, daß die dramatische
Fabrik- und Effectarbcit, Uebersetzungen werthloser Dinge, Birch-Pfeisseriadcn,
Gelegenheitsstücke, italienischer und Flotowscher Klingklang das deutsche Original¬
drama und die classische Oper sast gänzlich verdrängte? Ist die Geschmacksver-
wildcrnng des Publicums, wie eines bedeutenden Theils der Darsteller verwunderlich,
besonders da man sommersüber mit unaufhörliche" Gästen die Theaterlnst fieberhaft
aufzustacheln suchte und den "Sternen der Bühne" zu Liebe die gewohnte
Jnscenirung, das Ensemble für nichts achtete, den einheimischen Darsteller aber
blos als Folie oder Lückenbüßer hinstellte? -- Geendet scheint der höchste
Paroxismus dieses Verfalls seit der Uebergabe der Direction in eine Hand und
dem Erstarken der Hoffnung auf Subvention aus Staatsmitteln. Die Verwirk¬
lichung dieser Hoffnung (-16,000 si. jährlich) steht soeben in Verhandlung beiden
Staatsgewalten, nachdem dem jetzigen Unternehmer vorläufig schon so viele
Vortheile zugestanden sind, wie keinem seiner Vorgänger. Erst nach der Fest¬
stellung dieser (voraussichtlich günstigen, aber hoffentlich auch Garantien vom
Director fordernden) Unterhandlungen tritt das gegenwärtige Frankfurter Theater
ans der Nöthigung, sich in speculativen Jagden ans jede ephemere Laune und
unästhetische Neigung abzusetzen. Erst dann wird man wahrhaft künstlerische
Fragen an seine Leitung und Leistungen stellen können. Heute nicht. Wie in
der Oper (Zigarette (Indra) und Norma, Regimentstochter und Venus (Tann¬
häuser) an eine noch wenig geschulte Kraft gegeben sind, während drei Baritonisten
wechselsweise feiern, wo im recitirenden Drama wahllos alle jugendlichen Glanz¬
partien ans zwei Augen gestellt werden -- da ist von einem Organismus im
Personal keine Rede. Ebensowenig gibt es ein organisches Ensemble, wo kein
Monat ohne Gäste vorübergeht. Dazu eine großentheils nrtheillose, theilweise
anbefohlene Localkritik über die Einzelleistungen und über das ganze, die ihrer
Zeit sogar einen Tivoliplan der Theaterdirection mit schreienden Beifall bejanchzcn
mußte -- kann man mehr Elemente des Verkvmmens der Anstalt und der Jrrleitung
des öffentlichen Geschmacks zusammendrängen?

Als die französischen Vaudevilles und Opern des fürstbischöflichen Palastes
ausgespielt und die Pariser Ballettänzerinnen entlassen waren, baute die Stadt
Mainz ein prächtiges Gebäude für Theater, Bälle, Museum und Bibliothek. Den¬
noch war von vornherein nicht zu erwarten, daß die nationale Bühne dort ein
Katheder aufschlagen werde. Mainz konnte auch wirklich immer blos eine Winter¬
saison mit flüchtig zusammengetrommelten Darstellern ermöglichen. Unterbrochen
von einer tollen Faschingszeit, bedingt und abhängig von französireuden Neigungen


sich die Staatsmächte und das Publicum wieder annehmen. Aber freilich ists
mit diesem Princip auch dahin gekommen, daß sein Repertoir einzig auf die
Bedürfnisse der Meßfremden und das Amüsement der sommerlichen Touristen¬
karawanen speculirte; in den Zwischenzeiten war das Frankfurter Publicum der
Probirstein solcher Rentabilität. Ists nnn ein Wunder, daß die dramatische
Fabrik- und Effectarbcit, Uebersetzungen werthloser Dinge, Birch-Pfeisseriadcn,
Gelegenheitsstücke, italienischer und Flotowscher Klingklang das deutsche Original¬
drama und die classische Oper sast gänzlich verdrängte? Ist die Geschmacksver-
wildcrnng des Publicums, wie eines bedeutenden Theils der Darsteller verwunderlich,
besonders da man sommersüber mit unaufhörliche» Gästen die Theaterlnst fieberhaft
aufzustacheln suchte und den „Sternen der Bühne" zu Liebe die gewohnte
Jnscenirung, das Ensemble für nichts achtete, den einheimischen Darsteller aber
blos als Folie oder Lückenbüßer hinstellte? — Geendet scheint der höchste
Paroxismus dieses Verfalls seit der Uebergabe der Direction in eine Hand und
dem Erstarken der Hoffnung auf Subvention aus Staatsmitteln. Die Verwirk¬
lichung dieser Hoffnung (-16,000 si. jährlich) steht soeben in Verhandlung beiden
Staatsgewalten, nachdem dem jetzigen Unternehmer vorläufig schon so viele
Vortheile zugestanden sind, wie keinem seiner Vorgänger. Erst nach der Fest¬
stellung dieser (voraussichtlich günstigen, aber hoffentlich auch Garantien vom
Director fordernden) Unterhandlungen tritt das gegenwärtige Frankfurter Theater
ans der Nöthigung, sich in speculativen Jagden ans jede ephemere Laune und
unästhetische Neigung abzusetzen. Erst dann wird man wahrhaft künstlerische
Fragen an seine Leitung und Leistungen stellen können. Heute nicht. Wie in
der Oper (Zigarette (Indra) und Norma, Regimentstochter und Venus (Tann¬
häuser) an eine noch wenig geschulte Kraft gegeben sind, während drei Baritonisten
wechselsweise feiern, wo im recitirenden Drama wahllos alle jugendlichen Glanz¬
partien ans zwei Augen gestellt werden — da ist von einem Organismus im
Personal keine Rede. Ebensowenig gibt es ein organisches Ensemble, wo kein
Monat ohne Gäste vorübergeht. Dazu eine großentheils nrtheillose, theilweise
anbefohlene Localkritik über die Einzelleistungen und über das ganze, die ihrer
Zeit sogar einen Tivoliplan der Theaterdirection mit schreienden Beifall bejanchzcn
mußte -- kann man mehr Elemente des Verkvmmens der Anstalt und der Jrrleitung
des öffentlichen Geschmacks zusammendrängen?

Als die französischen Vaudevilles und Opern des fürstbischöflichen Palastes
ausgespielt und die Pariser Ballettänzerinnen entlassen waren, baute die Stadt
Mainz ein prächtiges Gebäude für Theater, Bälle, Museum und Bibliothek. Den¬
noch war von vornherein nicht zu erwarten, daß die nationale Bühne dort ein
Katheder aufschlagen werde. Mainz konnte auch wirklich immer blos eine Winter¬
saison mit flüchtig zusammengetrommelten Darstellern ermöglichen. Unterbrochen
von einer tollen Faschingszeit, bedingt und abhängig von französireuden Neigungen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0302" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/97548"/>
            <p xml:id="ID_779" prev="#ID_778"> sich die Staatsmächte und das Publicum wieder annehmen. Aber freilich ists<lb/>
mit diesem Princip auch dahin gekommen, daß sein Repertoir einzig auf die<lb/>
Bedürfnisse der Meßfremden und das Amüsement der sommerlichen Touristen¬<lb/>
karawanen speculirte; in den Zwischenzeiten war das Frankfurter Publicum der<lb/>
Probirstein solcher Rentabilität. Ists nnn ein Wunder, daß die dramatische<lb/>
Fabrik- und Effectarbcit, Uebersetzungen werthloser Dinge, Birch-Pfeisseriadcn,<lb/>
Gelegenheitsstücke, italienischer und Flotowscher Klingklang das deutsche Original¬<lb/>
drama und die classische Oper sast gänzlich verdrängte? Ist die Geschmacksver-<lb/>
wildcrnng des Publicums, wie eines bedeutenden Theils der Darsteller verwunderlich,<lb/>
besonders da man sommersüber mit unaufhörliche» Gästen die Theaterlnst fieberhaft<lb/>
aufzustacheln suchte und den &#x201E;Sternen der Bühne" zu Liebe die gewohnte<lb/>
Jnscenirung, das Ensemble für nichts achtete, den einheimischen Darsteller aber<lb/>
blos als Folie oder Lückenbüßer hinstellte? &#x2014; Geendet scheint der höchste<lb/>
Paroxismus dieses Verfalls seit der Uebergabe der Direction in eine Hand und<lb/>
dem Erstarken der Hoffnung auf Subvention aus Staatsmitteln. Die Verwirk¬<lb/>
lichung dieser Hoffnung (-16,000 si. jährlich) steht soeben in Verhandlung beiden<lb/>
Staatsgewalten, nachdem dem jetzigen Unternehmer vorläufig schon so viele<lb/>
Vortheile zugestanden sind, wie keinem seiner Vorgänger. Erst nach der Fest¬<lb/>
stellung dieser (voraussichtlich günstigen, aber hoffentlich auch Garantien vom<lb/>
Director fordernden) Unterhandlungen tritt das gegenwärtige Frankfurter Theater<lb/>
ans der Nöthigung, sich in speculativen Jagden ans jede ephemere Laune und<lb/>
unästhetische Neigung abzusetzen. Erst dann wird man wahrhaft künstlerische<lb/>
Fragen an seine Leitung und Leistungen stellen können. Heute nicht. Wie in<lb/>
der Oper (Zigarette (Indra) und Norma, Regimentstochter und Venus (Tann¬<lb/>
häuser) an eine noch wenig geschulte Kraft gegeben sind, während drei Baritonisten<lb/>
wechselsweise feiern, wo im recitirenden Drama wahllos alle jugendlichen Glanz¬<lb/>
partien ans zwei Augen gestellt werden &#x2014; da ist von einem Organismus im<lb/>
Personal keine Rede. Ebensowenig gibt es ein organisches Ensemble, wo kein<lb/>
Monat ohne Gäste vorübergeht. Dazu eine großentheils nrtheillose, theilweise<lb/>
anbefohlene Localkritik über die Einzelleistungen und über das ganze, die ihrer<lb/>
Zeit sogar einen Tivoliplan der Theaterdirection mit schreienden Beifall bejanchzcn<lb/>
mußte -- kann man mehr Elemente des Verkvmmens der Anstalt und der Jrrleitung<lb/>
des öffentlichen Geschmacks zusammendrängen?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_780" next="#ID_781"> Als die französischen Vaudevilles und Opern des fürstbischöflichen Palastes<lb/>
ausgespielt und die Pariser Ballettänzerinnen entlassen waren, baute die Stadt<lb/>
Mainz ein prächtiges Gebäude für Theater, Bälle, Museum und Bibliothek. Den¬<lb/>
noch war von vornherein nicht zu erwarten, daß die nationale Bühne dort ein<lb/>
Katheder aufschlagen werde. Mainz konnte auch wirklich immer blos eine Winter¬<lb/>
saison mit flüchtig zusammengetrommelten Darstellern ermöglichen. Unterbrochen<lb/>
von einer tollen Faschingszeit, bedingt und abhängig von französireuden Neigungen</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0302] sich die Staatsmächte und das Publicum wieder annehmen. Aber freilich ists mit diesem Princip auch dahin gekommen, daß sein Repertoir einzig auf die Bedürfnisse der Meßfremden und das Amüsement der sommerlichen Touristen¬ karawanen speculirte; in den Zwischenzeiten war das Frankfurter Publicum der Probirstein solcher Rentabilität. Ists nnn ein Wunder, daß die dramatische Fabrik- und Effectarbcit, Uebersetzungen werthloser Dinge, Birch-Pfeisseriadcn, Gelegenheitsstücke, italienischer und Flotowscher Klingklang das deutsche Original¬ drama und die classische Oper sast gänzlich verdrängte? Ist die Geschmacksver- wildcrnng des Publicums, wie eines bedeutenden Theils der Darsteller verwunderlich, besonders da man sommersüber mit unaufhörliche» Gästen die Theaterlnst fieberhaft aufzustacheln suchte und den „Sternen der Bühne" zu Liebe die gewohnte Jnscenirung, das Ensemble für nichts achtete, den einheimischen Darsteller aber blos als Folie oder Lückenbüßer hinstellte? — Geendet scheint der höchste Paroxismus dieses Verfalls seit der Uebergabe der Direction in eine Hand und dem Erstarken der Hoffnung auf Subvention aus Staatsmitteln. Die Verwirk¬ lichung dieser Hoffnung (-16,000 si. jährlich) steht soeben in Verhandlung beiden Staatsgewalten, nachdem dem jetzigen Unternehmer vorläufig schon so viele Vortheile zugestanden sind, wie keinem seiner Vorgänger. Erst nach der Fest¬ stellung dieser (voraussichtlich günstigen, aber hoffentlich auch Garantien vom Director fordernden) Unterhandlungen tritt das gegenwärtige Frankfurter Theater ans der Nöthigung, sich in speculativen Jagden ans jede ephemere Laune und unästhetische Neigung abzusetzen. Erst dann wird man wahrhaft künstlerische Fragen an seine Leitung und Leistungen stellen können. Heute nicht. Wie in der Oper (Zigarette (Indra) und Norma, Regimentstochter und Venus (Tann¬ häuser) an eine noch wenig geschulte Kraft gegeben sind, während drei Baritonisten wechselsweise feiern, wo im recitirenden Drama wahllos alle jugendlichen Glanz¬ partien ans zwei Augen gestellt werden — da ist von einem Organismus im Personal keine Rede. Ebensowenig gibt es ein organisches Ensemble, wo kein Monat ohne Gäste vorübergeht. Dazu eine großentheils nrtheillose, theilweise anbefohlene Localkritik über die Einzelleistungen und über das ganze, die ihrer Zeit sogar einen Tivoliplan der Theaterdirection mit schreienden Beifall bejanchzcn mußte -- kann man mehr Elemente des Verkvmmens der Anstalt und der Jrrleitung des öffentlichen Geschmacks zusammendrängen? Als die französischen Vaudevilles und Opern des fürstbischöflichen Palastes ausgespielt und die Pariser Ballettänzerinnen entlassen waren, baute die Stadt Mainz ein prächtiges Gebäude für Theater, Bälle, Museum und Bibliothek. Den¬ noch war von vornherein nicht zu erwarten, daß die nationale Bühne dort ein Katheder aufschlagen werde. Mainz konnte auch wirklich immer blos eine Winter¬ saison mit flüchtig zusammengetrommelten Darstellern ermöglichen. Unterbrochen von einer tollen Faschingszeit, bedingt und abhängig von französireuden Neigungen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/302
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/302>, abgerufen am 22.07.2024.