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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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Gunst und Ungunst des dramatischen Lebens und seiner Rückwirkung' auf
das Publicum grenzen gleichzeitig so aneinander, daß oft schon eine geringe
Andersgestaltung der Umstände, Ungunst in Gunst, Gunst in Ungunst verkehrt.
Ein unberechenbarer Vorzug bleibt es jedoch unter allen Umstanden, daß längs
des Rheins die Verschiedenheiten des geistigen Bedürfnisses zwischen Stadt und
Land, zwischen Residenz und Provinz, zwischen Stämmen und Coufessioue",
wenn nicht vollkommen ausgeglichen, so doch nicht mehr Gegensätze sind. Die
Allgemeinheit weitläufiger Bildung chüele jene trennenden Klüfte, welche anderwärts
mit unberechtigten Trotze offen erhalten werden, als wären sie blütenreiche Thäler
einer gesunden, in sich gefesteten, zukunftreichen Volkstümlichkeit, nicht klaffende
Wunden im nationalen Organismus. Gunst ist es ferner, daß des Rheinländers
leichtgehobeucr Sinn meistens noch der Zuführung bildender Genüsse ein heiteres
Willkommen bietet, Gunst der Umstände ist endlich jene Perlenschnur blühender
Städte längs dem Rhein in näherer und weiterer Entfernung, deren keine
die andere an Größe, Reichthum und geistigen Entwickelungen soweit überragt,
daß schon der Versuch zu gleichen Bestrebungen in . der andern an der äußern
Unmöglichkeit verzweifeln müßte. Dennoch bringt jeder dieser günstigen Umstände
auch die Gefahr ungünstiger Gestaltungen. Sie treten hier mehr, dort weniger
hervor, ihre Spuren fehlen nirgends.

Vier Mittelbnhnen gruppiren sich um die Verbindung des Malus mit dem
Rhein, durch die Eisenbahnen sind sie kaum je eine Stunde voneinander entfernt.
Inneres Wesen und änßere Verhältnisse aller sind verschieden, Stadttheater sind
überdies Mainz und Frankfurt, Hoftheater: Wiesbaden und Darmstadt. --
Frankfurts Theater hat eine ruhmvolle Vergangenheit. Wer sie nicht genauer
betrachtet, könnte glauben, Frankfurt habe damals unter der Aegide seiner kunst¬
sinnigen Patricier- und Bundestagsaristokratie die Aufgabe einer wahrhaft nationalen
Kunstakademie gelöst. Allein von den modernen Ansprüchen in dieser Richtung
war in der Restaurationsepoche überall keine Rede; Frankfurt hat damals so wenig,
wie Mainz, ein systematisch bildendes Repertoir, eine einheitliche Gestaltung der
Gesammtwirkung gekannt; excellirende Virtuositäten bedingten den Inhalt des
Repertoirs, glänzende Vorführungen modischer Neuigkeiten den weithinschallender
Ruhm. Man würde die heutigen Zustände unterschätzen, wenn man jene über¬
schätzte, in denen sie theilweise ihre Traditionen finden. Freilich war damals
Frankfurt eines der besten Theater am Rhein, nur in der Leitung höheren
Stils vom Düsseldorfer unter Immermann übertroffen. Sein Gehalt ging
"ber wegen der mangelnden höhern Idee mit seinen äußern Schicksalen Hand
Ul Hand. Vom Mäcenatenthum der Actionäre verlassen, von der Stadt oder
dem Staate nicht unterstützt, häufigem Directionswechscl ans Speculation
anheimgegeben, wurde das eine Wahrheit, was von seinen Leitern einer noch
vor kurzem äußerte: nur des vollkommen heruntergebrachten Theaters würden


Gunst und Ungunst des dramatischen Lebens und seiner Rückwirkung' auf
das Publicum grenzen gleichzeitig so aneinander, daß oft schon eine geringe
Andersgestaltung der Umstände, Ungunst in Gunst, Gunst in Ungunst verkehrt.
Ein unberechenbarer Vorzug bleibt es jedoch unter allen Umstanden, daß längs
des Rheins die Verschiedenheiten des geistigen Bedürfnisses zwischen Stadt und
Land, zwischen Residenz und Provinz, zwischen Stämmen und Coufessioue»,
wenn nicht vollkommen ausgeglichen, so doch nicht mehr Gegensätze sind. Die
Allgemeinheit weitläufiger Bildung chüele jene trennenden Klüfte, welche anderwärts
mit unberechtigten Trotze offen erhalten werden, als wären sie blütenreiche Thäler
einer gesunden, in sich gefesteten, zukunftreichen Volkstümlichkeit, nicht klaffende
Wunden im nationalen Organismus. Gunst ist es ferner, daß des Rheinländers
leichtgehobeucr Sinn meistens noch der Zuführung bildender Genüsse ein heiteres
Willkommen bietet, Gunst der Umstände ist endlich jene Perlenschnur blühender
Städte längs dem Rhein in näherer und weiterer Entfernung, deren keine
die andere an Größe, Reichthum und geistigen Entwickelungen soweit überragt,
daß schon der Versuch zu gleichen Bestrebungen in . der andern an der äußern
Unmöglichkeit verzweifeln müßte. Dennoch bringt jeder dieser günstigen Umstände
auch die Gefahr ungünstiger Gestaltungen. Sie treten hier mehr, dort weniger
hervor, ihre Spuren fehlen nirgends.

Vier Mittelbnhnen gruppiren sich um die Verbindung des Malus mit dem
Rhein, durch die Eisenbahnen sind sie kaum je eine Stunde voneinander entfernt.
Inneres Wesen und änßere Verhältnisse aller sind verschieden, Stadttheater sind
überdies Mainz und Frankfurt, Hoftheater: Wiesbaden und Darmstadt. —
Frankfurts Theater hat eine ruhmvolle Vergangenheit. Wer sie nicht genauer
betrachtet, könnte glauben, Frankfurt habe damals unter der Aegide seiner kunst¬
sinnigen Patricier- und Bundestagsaristokratie die Aufgabe einer wahrhaft nationalen
Kunstakademie gelöst. Allein von den modernen Ansprüchen in dieser Richtung
war in der Restaurationsepoche überall keine Rede; Frankfurt hat damals so wenig,
wie Mainz, ein systematisch bildendes Repertoir, eine einheitliche Gestaltung der
Gesammtwirkung gekannt; excellirende Virtuositäten bedingten den Inhalt des
Repertoirs, glänzende Vorführungen modischer Neuigkeiten den weithinschallender
Ruhm. Man würde die heutigen Zustände unterschätzen, wenn man jene über¬
schätzte, in denen sie theilweise ihre Traditionen finden. Freilich war damals
Frankfurt eines der besten Theater am Rhein, nur in der Leitung höheren
Stils vom Düsseldorfer unter Immermann übertroffen. Sein Gehalt ging
"ber wegen der mangelnden höhern Idee mit seinen äußern Schicksalen Hand
Ul Hand. Vom Mäcenatenthum der Actionäre verlassen, von der Stadt oder
dem Staate nicht unterstützt, häufigem Directionswechscl ans Speculation
anheimgegeben, wurde das eine Wahrheit, was von seinen Leitern einer noch
vor kurzem äußerte: nur des vollkommen heruntergebrachten Theaters würden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/301>, abgerufen am 22.07.2024.