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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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sein solle. -- Die Minister legten die Siegel ihrer betreffenden Aemter in ihre
Hände und erhielten dieselben wieder zurück; -- es erging Befehl, daß die
Stempel beim amtlichen Gebrauch geändert würden; und ebenso auch die kirch¬
lichen Gebete, welche sich ans die königliche Familie bezogen; die ProclamÄion
wurde vorbereitet und von den Geheimen Rathen unterzeichnet; und die Königin
bestimmte den folgenden Tag, Mittwoch, für die Ceremonie. Der erste Gebrauch
des großen Siegels uuter der neuen Negierung wurde mit Beglaubigung der
amtlichen Proclamation gemacht; dieselbe kam an demselben Abend in die Zeitung.
-- Während des ganzen Morgens fuhren Kutscher schnell vor mit Besuchern,
welche begierig waren, ihre Huldigungen darzubringen. Welcher Tag von Un¬
ruhe und Ermüdung für eine Person in so einsamer Stellung, in so jungen
Jahren! Wie willkommen muß ihr die Nacht und die Ruhe ihres Bettes ge¬
wesen sein, was auch ihre Gedanken gewesen sein mögen!' Den nächsten Morgen'
erschien sie "außerordentlich blaß und ermüdet"; kein Wunder: denn sie hatte
einen Tag durchgelebt, dem kein anderer jemals zu vergleichen war.

Vielen lag es nicht sehr fern, zurückzudenken an jenen Mai, in welchem
sie geboren war, und an den bald nachfolgenden Monat -- wo die Zeitungen
von der Krankheit ihres Vaters, des Herzogs von Kent meldeten -- wie er mit
nassen Stiefeln in das Zimmer trat und, "verführt dnrch das Lächeln seiner kleinen
Prinzessin", mit dem Kindchen spielte, anstatt die Stiefeln zu wechseln, bis es
zu spät war und er sich eine Erkältung zuzog, woran er starb. Der Verlauf
der Jahre, während weicher sie das Heranwachsen und die Erziehung der
Prinzessin verfolgt hatten, schienen ihnen jetzt sehr kurz; und nnn war sie ihrer
Minderjährigkeit seit einigen Tagen entwachsen und jetzt Sonveränin. Was sie
gehört hatten, war günstig. Wenn Vernachlässigungen bei ihrer Erziehung vor¬
gekommen waren, so war sie doch nicht falsch geleitet und verdorben. Wenn
der Verstand nicht besonders ausgebildet war, so war ihr sittliches Verhalten rein
und ihr Benehmen fehlerfrei. Von frühen Jahren an sah man die Prinzessin bei
jedem Wetter, ausgehen; -- manchmal im Winter mit dicken Schuhen und einem
warmen Mantel ans einem windigen Felde. Sie war früh ans und war thätig
und gewissenhaft pünktlich -- entschuldigte sich, daß sie eine halbe Minute später
kam, wie bestimmt war, als dieses außerordentliche Ereigniß einmal in ihrem
Leben vorkam. Sie hatte ihr Taschengeld von frühen Jahren her; die Art, wie
sie einen großen Theil davon verwendete, war in Tunbridge Wells und anderen
Orten ihres Sommeraufenthalts bekannt; aber niemand hat jemals gehört, daß
sie eine Stunde lang sechs Pfennige schuldig blieb: -- im Gegentheil, wenn sie
den kindischen Einfall hatte, eine Sache zu einem Geschenk für einen Vetter zu
kaufen, sah man, wie sie sich sogleich entschloß, es aufzugeben, weil sie bis zum
Q-nartaltage nicht Geld genng hatte, es zu bezahlen. Und wenn eine solche
Sache für sie zu ihrer großen Freude -- zurückgelegt worden war, so kam


sein solle. — Die Minister legten die Siegel ihrer betreffenden Aemter in ihre
Hände und erhielten dieselben wieder zurück; — es erging Befehl, daß die
Stempel beim amtlichen Gebrauch geändert würden; und ebenso auch die kirch¬
lichen Gebete, welche sich ans die königliche Familie bezogen; die ProclamÄion
wurde vorbereitet und von den Geheimen Rathen unterzeichnet; und die Königin
bestimmte den folgenden Tag, Mittwoch, für die Ceremonie. Der erste Gebrauch
des großen Siegels uuter der neuen Negierung wurde mit Beglaubigung der
amtlichen Proclamation gemacht; dieselbe kam an demselben Abend in die Zeitung.
— Während des ganzen Morgens fuhren Kutscher schnell vor mit Besuchern,
welche begierig waren, ihre Huldigungen darzubringen. Welcher Tag von Un¬
ruhe und Ermüdung für eine Person in so einsamer Stellung, in so jungen
Jahren! Wie willkommen muß ihr die Nacht und die Ruhe ihres Bettes ge¬
wesen sein, was auch ihre Gedanken gewesen sein mögen!' Den nächsten Morgen'
erschien sie „außerordentlich blaß und ermüdet"; kein Wunder: denn sie hatte
einen Tag durchgelebt, dem kein anderer jemals zu vergleichen war.

Vielen lag es nicht sehr fern, zurückzudenken an jenen Mai, in welchem
sie geboren war, und an den bald nachfolgenden Monat — wo die Zeitungen
von der Krankheit ihres Vaters, des Herzogs von Kent meldeten — wie er mit
nassen Stiefeln in das Zimmer trat und, „verführt dnrch das Lächeln seiner kleinen
Prinzessin", mit dem Kindchen spielte, anstatt die Stiefeln zu wechseln, bis es
zu spät war und er sich eine Erkältung zuzog, woran er starb. Der Verlauf
der Jahre, während weicher sie das Heranwachsen und die Erziehung der
Prinzessin verfolgt hatten, schienen ihnen jetzt sehr kurz; und nnn war sie ihrer
Minderjährigkeit seit einigen Tagen entwachsen und jetzt Sonveränin. Was sie
gehört hatten, war günstig. Wenn Vernachlässigungen bei ihrer Erziehung vor¬
gekommen waren, so war sie doch nicht falsch geleitet und verdorben. Wenn
der Verstand nicht besonders ausgebildet war, so war ihr sittliches Verhalten rein
und ihr Benehmen fehlerfrei. Von frühen Jahren an sah man die Prinzessin bei
jedem Wetter, ausgehen; — manchmal im Winter mit dicken Schuhen und einem
warmen Mantel ans einem windigen Felde. Sie war früh ans und war thätig
und gewissenhaft pünktlich — entschuldigte sich, daß sie eine halbe Minute später
kam, wie bestimmt war, als dieses außerordentliche Ereigniß einmal in ihrem
Leben vorkam. Sie hatte ihr Taschengeld von frühen Jahren her; die Art, wie
sie einen großen Theil davon verwendete, war in Tunbridge Wells und anderen
Orten ihres Sommeraufenthalts bekannt; aber niemand hat jemals gehört, daß
sie eine Stunde lang sechs Pfennige schuldig blieb: — im Gegentheil, wenn sie
den kindischen Einfall hatte, eine Sache zu einem Geschenk für einen Vetter zu
kaufen, sah man, wie sie sich sogleich entschloß, es aufzugeben, weil sie bis zum
Q-nartaltage nicht Geld genng hatte, es zu bezahlen. Und wenn eine solche
Sache für sie zu ihrer großen Freude — zurückgelegt worden war, so kam


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/30>, abgerufen am 04.07.2024.