Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.bestehen zu können, muß der Theaternnternehmer die beliebten Darsteller auf dem sowol in Beziehung auf das Verhältniß des Publicums zum Repertoir, bestehen zu können, muß der Theaternnternehmer die beliebten Darsteller auf dem sowol in Beziehung auf das Verhältniß des Publicums zum Repertoir, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0268" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/97514"/> <p xml:id="ID_680" prev="#ID_679"> bestehen zu können, muß der Theaternnternehmer die beliebten Darsteller auf dem<lb/> Zettel haben; erst an zweiter Stelle braucht er nach dem dramatischen Werthe<lb/> des aufzuführenden Stückes zu fragen.</p><lb/> <p xml:id="ID_681" next="#ID_682"> sowol in Beziehung auf das Verhältniß des Publicums zum Repertoir,<lb/> als auch zu den Darstellern herrschen übrigens noch besondere Unterschiede<lb/> zwischen den östreichischen und bäuerischen Provinzialbühnen. I» den östreichischen<lb/> Provinzen gibt es zunächst mehre ständige Theater; in Baiern nur ein einziges,<lb/> nämlich in Nürnberg. Es wurde indessen nicht durch das Theaterbedürfuiß im<lb/> Nürnberger Publicum ständig, sondern durch besondere Privatverhältnisse, schwankt<lb/> daher svmmersüber fast immer zwischen Möglichkeit und Unmöglichkeit. Trotzdem,<lb/> daß also keine bäuerische Stadt, außer München, ein Publicum der Theaterhabitnis<lb/> besitzt, sind hier die Ansprüche des Prvviuzpublicums an die Theaternnternehmung<lb/> weit umfassender, als in Oestreich. Der Oestreicher (Prag, vielleicht anch Pesth<lb/> und Lemberg ausgenommen) fordert vom Provinztheater weder das Repertoir<lb/> des HofbnrgtheaterS, noch irgend eine ernste Rivalität mit den Leistungen der<lb/> Oper am Käruthnerthor. Nur die Mannigfaltigkeit der Wiener Vorstadttheater<lb/> in dem Possen-, Zauber- und Lustspiel begehrt er. In dem Repertoir des höhern<lb/> recitirenden Dramas, sowie derjenigen Opern, die sich nnr einigermaßen über<lb/> den vaudevilleartigen Charakter erheben, begnügen sich dagegen selbst die stehenden<lb/> östreichischen Provinzialbühnen mit einer so geringen und größtentheils so ver¬<lb/> alteten Auswahl, wie sie sogar an sehr kleinen, unständigen Theatern Deutsch¬<lb/> lands unmöglich wäre. Abgesehen von vielen andern liegt hierin schon einer der<lb/> Gründe, warum ein relativ so geringer Personenaustausch zwischen den mittlern<lb/> und kleinen Bühnen Oestreichs und Deutschlands stattfindet, warum also anch<lb/> fortwährend die Kluft im Stil des Repertoirs nud der Darstellungsweise zwischen<lb/> dem deutschen und östreichischen Theater fast größer ist, als zwischen national<lb/> verschiedenen Ländern. Werden nnn den östreichischen Provinzstädten die Gaben<lb/> der Wiener Vorstädte, also eiir bestimmtes und noch dazu sich meistens sehr<lb/> gleichbleibendes dramatisches Genre, halbwegs vollständig geböten, so lassen sie<lb/> sogar meistens ein vollkommen ungenügendes Ensemble in den einzelnen Vor¬<lb/> stellungen ungerügt passiren. Das Stück als Organismus, seine Aufführung<lb/> als Gesammtleistung kommt fast gar nicht in Betracht. Man will blos Scenen,<lb/> Situation, Tableaux, Impromptus. Wenn nnr der Komiker möglichst grotesk,<lb/> die Localsonbrette übermüthig muthwillig und der Liebhaber eine hübsche Per¬<lb/> sönlichkeit in eleganter Toilette ist. Reinheit der Sprache, wirkliche Charakteristik,<lb/> sorgfältige Individualisirung sind eben darum meistens ganz untergeordnete An¬<lb/> forderungen. Ja. wenn ein Darsteller durch seine natürlichen Gaben irgend<lb/> beliebt ist, so sieht das Provinzpublicnm Oestreichs meistens das'Bestreben des¬<lb/> selben nicht einmal gern, seine Individualität im darzustellenden Charakter ver-"<lb/> schwinden zu lassen. Der Oestreicher betrachtet in der Provinz das Theater ganz</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0268]
bestehen zu können, muß der Theaternnternehmer die beliebten Darsteller auf dem
Zettel haben; erst an zweiter Stelle braucht er nach dem dramatischen Werthe
des aufzuführenden Stückes zu fragen.
sowol in Beziehung auf das Verhältniß des Publicums zum Repertoir,
als auch zu den Darstellern herrschen übrigens noch besondere Unterschiede
zwischen den östreichischen und bäuerischen Provinzialbühnen. I» den östreichischen
Provinzen gibt es zunächst mehre ständige Theater; in Baiern nur ein einziges,
nämlich in Nürnberg. Es wurde indessen nicht durch das Theaterbedürfuiß im
Nürnberger Publicum ständig, sondern durch besondere Privatverhältnisse, schwankt
daher svmmersüber fast immer zwischen Möglichkeit und Unmöglichkeit. Trotzdem,
daß also keine bäuerische Stadt, außer München, ein Publicum der Theaterhabitnis
besitzt, sind hier die Ansprüche des Prvviuzpublicums an die Theaternnternehmung
weit umfassender, als in Oestreich. Der Oestreicher (Prag, vielleicht anch Pesth
und Lemberg ausgenommen) fordert vom Provinztheater weder das Repertoir
des HofbnrgtheaterS, noch irgend eine ernste Rivalität mit den Leistungen der
Oper am Käruthnerthor. Nur die Mannigfaltigkeit der Wiener Vorstadttheater
in dem Possen-, Zauber- und Lustspiel begehrt er. In dem Repertoir des höhern
recitirenden Dramas, sowie derjenigen Opern, die sich nnr einigermaßen über
den vaudevilleartigen Charakter erheben, begnügen sich dagegen selbst die stehenden
östreichischen Provinzialbühnen mit einer so geringen und größtentheils so ver¬
alteten Auswahl, wie sie sogar an sehr kleinen, unständigen Theatern Deutsch¬
lands unmöglich wäre. Abgesehen von vielen andern liegt hierin schon einer der
Gründe, warum ein relativ so geringer Personenaustausch zwischen den mittlern
und kleinen Bühnen Oestreichs und Deutschlands stattfindet, warum also anch
fortwährend die Kluft im Stil des Repertoirs nud der Darstellungsweise zwischen
dem deutschen und östreichischen Theater fast größer ist, als zwischen national
verschiedenen Ländern. Werden nnn den östreichischen Provinzstädten die Gaben
der Wiener Vorstädte, also eiir bestimmtes und noch dazu sich meistens sehr
gleichbleibendes dramatisches Genre, halbwegs vollständig geböten, so lassen sie
sogar meistens ein vollkommen ungenügendes Ensemble in den einzelnen Vor¬
stellungen ungerügt passiren. Das Stück als Organismus, seine Aufführung
als Gesammtleistung kommt fast gar nicht in Betracht. Man will blos Scenen,
Situation, Tableaux, Impromptus. Wenn nnr der Komiker möglichst grotesk,
die Localsonbrette übermüthig muthwillig und der Liebhaber eine hübsche Per¬
sönlichkeit in eleganter Toilette ist. Reinheit der Sprache, wirkliche Charakteristik,
sorgfältige Individualisirung sind eben darum meistens ganz untergeordnete An¬
forderungen. Ja. wenn ein Darsteller durch seine natürlichen Gaben irgend
beliebt ist, so sieht das Provinzpublicnm Oestreichs meistens das'Bestreben des¬
selben nicht einmal gern, seine Individualität im darzustellenden Charakter ver-"
schwinden zu lassen. Der Oestreicher betrachtet in der Provinz das Theater ganz
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |