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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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Dramatiker zu legen. Die Zeitungen haben bereits genugsam erörtert, was
dadurch auf beiden Bühnen für das Repertoir und die Darstellung gewonnen
wurde. Wir können es als bekannt voraussetzen. Dingelstedts Wirksamkeit in
München wird sich auch erst in der Folgezeit vollkommen klar herausstelle" können,
nachdem durch die Restauration des Theaters die unzählbaren materiellen Hemm¬
nisse beseitigt sind, welche einer wahrhaft künstlerischen Entfaltung bisher entgegen¬
standen. Eine andere Frage bleibt dagegen, ob von dielen Bühnen rückwirkend
eine allgemeine Hebung des östreichischen und baienscheu Theaterwesens gewonnen
wurde? ob die Mittelbühnen zu einem bessern Stil im Repertoir und der
Darstellung angeregt wurden? ob dies unter deu bestehenden Verhältnissen
überhaupt zu erwarten je möglich ist?

So gewährt z. B. die zweite Stadt des Königreichs, Augsburg, dem Unter¬
nehmer gegen eine sehr bedeutende Kaution blos das Haus, einen Theil der
Beleuchtung, Heizung und 1300 Fi. baaren Zuschuß für deu Winter, wogegen
derselbe nicht nnr zu allwöchentliche" Operuvorstelluugeu, Armenbenefizen ze. ver¬
pflichtet, sondern auch der Einrede eines Comite's i" seine Geschäftsleitung unter¬
worfen ist. In Regensburg, welches vor wenigen Jahren ein neues Haus her¬
stellte und wo der Fürst Taxis bedeutende Zuschüsse gewährt, hat in der laufenden
Saison die Direction nicht fortbestehe" to"neu, so daß nun auf Theilung gespielt
wird. Aehnlich sind die Verhältnisse in ander" Prvvi"zstädteu und zwar meistens
von vornherein dem Theaternntecnehmer noch weniger günstig.

Die Folgen lassen -sich leicht ermessen. Zunächst gehen die Theaternuter-
nehmer nur selten ihre Contracte auf mehre Jahre ein; und wenn sie es thun,
so erlebt man gewöhnlich im ersten Winter außerordentliche Anstrengungen hin¬
sichtlich des Repertoirs und der Engagements, denen in den folgenden Jahren
der Contractdcmer eine desto tiefere Abspannung folgt, weil die Theilnahme des
Publicums den Aufwand nicht ausgeglichen bat. Selten sieht sich ferner ein
Director im Stande, die bessern Kräfte seines Personals den Sommer über zu¬
sammenzuhalten, um im nächsten Winter sofort mit einem geordneten Zusammen¬
spiel hervorzutreten. Dagegen bleiben die Ansprüche des Publicums auf Mannig¬
faltigkeit des Repertoirs, die Verpflichtungen des Directors gegen das Theater-
comiti und die Commune dieselben. So stellt er natürlich die Massenhaftigkeit
des Personals, die Abwechselung im Repertoir ze. mit der möglichsten Sparsam¬
keit her, d. h. die wohlfeilsten Stücke werden vom wohlfeilste" Personal aus die
wohlfeilste Weise über die Bühne geführt. Handwerksmäßigst lügt überall
hervor, von wahrhaften Kunstbcstrcbuugen ist nur wenig die Rede, noch weniger
von einem Repertoir, welches irgendwie den höhern ästhetischen Anforderungen
Genüge leistet oder geistig erweckend und bildend wirkt. Wir wollen mit diesen
Angaben einzelne Ausnahmen an einzelnen Orten und in einzelnen Jahren nicht
ableugnen. So wird z. B. gegenwärtig das Augsburger Theater unter der


Grenzboten, I> 18Se. ' 33

Dramatiker zu legen. Die Zeitungen haben bereits genugsam erörtert, was
dadurch auf beiden Bühnen für das Repertoir und die Darstellung gewonnen
wurde. Wir können es als bekannt voraussetzen. Dingelstedts Wirksamkeit in
München wird sich auch erst in der Folgezeit vollkommen klar herausstelle» können,
nachdem durch die Restauration des Theaters die unzählbaren materiellen Hemm¬
nisse beseitigt sind, welche einer wahrhaft künstlerischen Entfaltung bisher entgegen¬
standen. Eine andere Frage bleibt dagegen, ob von dielen Bühnen rückwirkend
eine allgemeine Hebung des östreichischen und baienscheu Theaterwesens gewonnen
wurde? ob die Mittelbühnen zu einem bessern Stil im Repertoir und der
Darstellung angeregt wurden? ob dies unter deu bestehenden Verhältnissen
überhaupt zu erwarten je möglich ist?

So gewährt z. B. die zweite Stadt des Königreichs, Augsburg, dem Unter¬
nehmer gegen eine sehr bedeutende Kaution blos das Haus, einen Theil der
Beleuchtung, Heizung und 1300 Fi. baaren Zuschuß für deu Winter, wogegen
derselbe nicht nnr zu allwöchentliche» Operuvorstelluugeu, Armenbenefizen ze. ver¬
pflichtet, sondern auch der Einrede eines Comite's i» seine Geschäftsleitung unter¬
worfen ist. In Regensburg, welches vor wenigen Jahren ein neues Haus her¬
stellte und wo der Fürst Taxis bedeutende Zuschüsse gewährt, hat in der laufenden
Saison die Direction nicht fortbestehe» to»neu, so daß nun auf Theilung gespielt
wird. Aehnlich sind die Verhältnisse in ander» Prvvi»zstädteu und zwar meistens
von vornherein dem Theaternntecnehmer noch weniger günstig.

Die Folgen lassen -sich leicht ermessen. Zunächst gehen die Theaternuter-
nehmer nur selten ihre Contracte auf mehre Jahre ein; und wenn sie es thun,
so erlebt man gewöhnlich im ersten Winter außerordentliche Anstrengungen hin¬
sichtlich des Repertoirs und der Engagements, denen in den folgenden Jahren
der Contractdcmer eine desto tiefere Abspannung folgt, weil die Theilnahme des
Publicums den Aufwand nicht ausgeglichen bat. Selten sieht sich ferner ein
Director im Stande, die bessern Kräfte seines Personals den Sommer über zu¬
sammenzuhalten, um im nächsten Winter sofort mit einem geordneten Zusammen¬
spiel hervorzutreten. Dagegen bleiben die Ansprüche des Publicums auf Mannig¬
faltigkeit des Repertoirs, die Verpflichtungen des Directors gegen das Theater-
comiti und die Commune dieselben. So stellt er natürlich die Massenhaftigkeit
des Personals, die Abwechselung im Repertoir ze. mit der möglichsten Sparsam¬
keit her, d. h. die wohlfeilsten Stücke werden vom wohlfeilste» Personal aus die
wohlfeilste Weise über die Bühne geführt. Handwerksmäßigst lügt überall
hervor, von wahrhaften Kunstbcstrcbuugen ist nur wenig die Rede, noch weniger
von einem Repertoir, welches irgendwie den höhern ästhetischen Anforderungen
Genüge leistet oder geistig erweckend und bildend wirkt. Wir wollen mit diesen
Angaben einzelne Ausnahmen an einzelnen Orten und in einzelnen Jahren nicht
ableugnen. So wird z. B. gegenwärtig das Augsburger Theater unter der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/265>, abgerufen am 25.08.2024.