Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

der Dichter durch den Contrast hat wirken wolle", denn ein solcher mußte fühlbar
gemacht werden; es ist das bloße zwecklose Experimentiren mit der hergebrachten
Maschinerie. -- Die Zeichnung der Figuren ist ganz unbestimmt und lyrisch; der
Held ist eine Verherrlichung der verschiedenen Lebensalter ohne individuellen
Charakter, die andern Personen verlieren sich in kleine Beziehungen.

Wir kommen zum Schluß auf die eigentliche Form. Das charakteristische
Kennzeichen des Epos ist das fortlaufende Metrum, welches bei allen nationalen
Heldengedichten ein gleichmäßiges war, und zwar überall aus nationalen Be¬
dingungen hervorging, das Valmikiversmaß bei den Jndiern, der Hexameter bei
den Griechen, die Nibclungenstrophe bei den Deutsche", der assonirende Trochäus
bei den Spaniern, die Ottave und Terzine bei den Italienern. Das Metrum
gab die ideale Haltung und den gleichmäßigen Rhythmus, der die bewegte Welt
der Thatsache" zur poetischen Harmonie erhob. In neueren Zeiten hat man es
nun dadurch besser zu machen geglaubt, daß mau mit der fortschreitenden Be¬
wegung auch das Metrum fortschreiten ließ, daß man also dem Maß seinen eigent¬
lichen Charakter nah",. Wie fehlerhaft ein solches subjektives Ueberschreiten des
Rhythmus ist, sieht man jetzt allmälig el". Herr Gottschall hat für jeden seiner
Gesänge einen fortlaufenden Rhythmus, aber für jeden Gesaug einen andern.
Der erste Gesaug ist in dem hüpfenden Versmaß, das an den Anapäst erinnert,
das wir Deutschen aber gewöhnlich mit dem Ausdruck Knittelvers bezeichnen; der
zweite im fünffüßigen Jambus, der dritte im Anapäst der Parabase, der vierte
in der Nibelungenstrvphe, der fünfte im vierfüßigen Trochäus, alle diese Verse
in unmittelbar aufeinanderfolgenden Reimen. Eine gewisse Verwandtschaft ist in
diesen Rhythmen nicht zu verkennen, am wenigsten paßt der vierte und der fünfte
für die übrigen. Wir glauben aber doch, daß der Dichter besser daran gethan
hätte, ein charakteristisches Metrum durch das ganze Gedicht hindurch festzuhalten.
Denn die Einheit der äußere" Form ist kein unwesentliches Symbol für die Einheit
der Gestaltung. -- Weniger können wir mit dem Stil zufrieden sei". Zwar ist
auch hier el" Fortschritt gegen "die Göttin" nicht zu verkennen. Die tobenden
Dithyramben der lederen habe" sich etwas gemäßigt, aber doch herrscht noch
eine Zügellosigkeit in der Bildersprache, eine Unklarheit und Nachlässigkeit des
Stils, die das gebildete Gefühl fortwährend beleidigt. Wir wollen ein paar
Beispiele geben. S. 79: ^


Doch keiner seidenen Gewänder Schleppe
Weckt den Rialto aus zu Tanz und Spiel.

Wenn der Dichter dergleichen Nachlässigkeiten überhaupt begeht, so muß er
nachher wenigstens Kritik anwenden. Ferner Seite 9 die Schilderung von der
schlimmen Wirkung des Spiels:


Das Auge erlischt wie el" müdes Gestirn,
Und durch das ausgebrannte Gehirn,

der Dichter durch den Contrast hat wirken wolle», denn ein solcher mußte fühlbar
gemacht werden; es ist das bloße zwecklose Experimentiren mit der hergebrachten
Maschinerie. — Die Zeichnung der Figuren ist ganz unbestimmt und lyrisch; der
Held ist eine Verherrlichung der verschiedenen Lebensalter ohne individuellen
Charakter, die andern Personen verlieren sich in kleine Beziehungen.

Wir kommen zum Schluß auf die eigentliche Form. Das charakteristische
Kennzeichen des Epos ist das fortlaufende Metrum, welches bei allen nationalen
Heldengedichten ein gleichmäßiges war, und zwar überall aus nationalen Be¬
dingungen hervorging, das Valmikiversmaß bei den Jndiern, der Hexameter bei
den Griechen, die Nibclungenstrophe bei den Deutsche«, der assonirende Trochäus
bei den Spaniern, die Ottave und Terzine bei den Italienern. Das Metrum
gab die ideale Haltung und den gleichmäßigen Rhythmus, der die bewegte Welt
der Thatsache» zur poetischen Harmonie erhob. In neueren Zeiten hat man es
nun dadurch besser zu machen geglaubt, daß mau mit der fortschreitenden Be¬
wegung auch das Metrum fortschreiten ließ, daß man also dem Maß seinen eigent¬
lichen Charakter nah»,. Wie fehlerhaft ein solches subjektives Ueberschreiten des
Rhythmus ist, sieht man jetzt allmälig el». Herr Gottschall hat für jeden seiner
Gesänge einen fortlaufenden Rhythmus, aber für jeden Gesaug einen andern.
Der erste Gesaug ist in dem hüpfenden Versmaß, das an den Anapäst erinnert,
das wir Deutschen aber gewöhnlich mit dem Ausdruck Knittelvers bezeichnen; der
zweite im fünffüßigen Jambus, der dritte im Anapäst der Parabase, der vierte
in der Nibelungenstrvphe, der fünfte im vierfüßigen Trochäus, alle diese Verse
in unmittelbar aufeinanderfolgenden Reimen. Eine gewisse Verwandtschaft ist in
diesen Rhythmen nicht zu verkennen, am wenigsten paßt der vierte und der fünfte
für die übrigen. Wir glauben aber doch, daß der Dichter besser daran gethan
hätte, ein charakteristisches Metrum durch das ganze Gedicht hindurch festzuhalten.
Denn die Einheit der äußere» Form ist kein unwesentliches Symbol für die Einheit
der Gestaltung. — Weniger können wir mit dem Stil zufrieden sei». Zwar ist
auch hier el» Fortschritt gegen „die Göttin" nicht zu verkennen. Die tobenden
Dithyramben der lederen habe» sich etwas gemäßigt, aber doch herrscht noch
eine Zügellosigkeit in der Bildersprache, eine Unklarheit und Nachlässigkeit des
Stils, die das gebildete Gefühl fortwährend beleidigt. Wir wollen ein paar
Beispiele geben. S. 79: ^


Doch keiner seidenen Gewänder Schleppe
Weckt den Rialto aus zu Tanz und Spiel.

Wenn der Dichter dergleichen Nachlässigkeiten überhaupt begeht, so muß er
nachher wenigstens Kritik anwenden. Ferner Seite 9 die Schilderung von der
schlimmen Wirkung des Spiels:


Das Auge erlischt wie el» müdes Gestirn,
Und durch das ausgebrannte Gehirn,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0026" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/97272"/>
          <p xml:id="ID_43" prev="#ID_42"> der Dichter durch den Contrast hat wirken wolle», denn ein solcher mußte fühlbar<lb/>
gemacht werden; es ist das bloße zwecklose Experimentiren mit der hergebrachten<lb/>
Maschinerie. &#x2014; Die Zeichnung der Figuren ist ganz unbestimmt und lyrisch; der<lb/>
Held ist eine Verherrlichung der verschiedenen Lebensalter ohne individuellen<lb/>
Charakter, die andern Personen verlieren sich in kleine Beziehungen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_44"> Wir kommen zum Schluß auf die eigentliche Form. Das charakteristische<lb/>
Kennzeichen des Epos ist das fortlaufende Metrum, welches bei allen nationalen<lb/>
Heldengedichten ein gleichmäßiges war, und zwar überall aus nationalen Be¬<lb/>
dingungen hervorging, das Valmikiversmaß bei den Jndiern, der Hexameter bei<lb/>
den Griechen, die Nibclungenstrophe bei den Deutsche«, der assonirende Trochäus<lb/>
bei den Spaniern, die Ottave und Terzine bei den Italienern. Das Metrum<lb/>
gab die ideale Haltung und den gleichmäßigen Rhythmus, der die bewegte Welt<lb/>
der Thatsache» zur poetischen Harmonie erhob. In neueren Zeiten hat man es<lb/>
nun dadurch besser zu machen geglaubt, daß mau mit der fortschreitenden Be¬<lb/>
wegung auch das Metrum fortschreiten ließ, daß man also dem Maß seinen eigent¬<lb/>
lichen Charakter nah»,. Wie fehlerhaft ein solches subjektives Ueberschreiten des<lb/>
Rhythmus ist, sieht man jetzt allmälig el». Herr Gottschall hat für jeden seiner<lb/>
Gesänge einen fortlaufenden Rhythmus, aber für jeden Gesaug einen andern.<lb/>
Der erste Gesaug ist in dem hüpfenden Versmaß, das an den Anapäst erinnert,<lb/>
das wir Deutschen aber gewöhnlich mit dem Ausdruck Knittelvers bezeichnen; der<lb/>
zweite im fünffüßigen Jambus, der dritte im Anapäst der Parabase, der vierte<lb/>
in der Nibelungenstrvphe, der fünfte im vierfüßigen Trochäus, alle diese Verse<lb/>
in unmittelbar aufeinanderfolgenden Reimen. Eine gewisse Verwandtschaft ist in<lb/>
diesen Rhythmen nicht zu verkennen, am wenigsten paßt der vierte und der fünfte<lb/>
für die übrigen. Wir glauben aber doch, daß der Dichter besser daran gethan<lb/>
hätte, ein charakteristisches Metrum durch das ganze Gedicht hindurch festzuhalten.<lb/>
Denn die Einheit der äußere» Form ist kein unwesentliches Symbol für die Einheit<lb/>
der Gestaltung. &#x2014; Weniger können wir mit dem Stil zufrieden sei». Zwar ist<lb/>
auch hier el» Fortschritt gegen &#x201E;die Göttin" nicht zu verkennen. Die tobenden<lb/>
Dithyramben der lederen habe» sich etwas gemäßigt, aber doch herrscht noch<lb/>
eine Zügellosigkeit in der Bildersprache, eine Unklarheit und Nachlässigkeit des<lb/>
Stils, die das gebildete Gefühl fortwährend beleidigt. Wir wollen ein paar<lb/>
Beispiele geben.  S. 79: ^</p><lb/>
          <quote>
            <lg xml:id="POEMID_1" type="poem">
              <l> Doch keiner seidenen Gewänder Schleppe<lb/>
Weckt den Rialto aus zu Tanz und Spiel.</l>
            </lg>
          </quote><lb/>
          <p xml:id="ID_45"> Wenn der Dichter dergleichen Nachlässigkeiten überhaupt begeht, so muß er<lb/>
nachher wenigstens Kritik anwenden. Ferner Seite 9 die Schilderung von der<lb/>
schlimmen Wirkung des Spiels:</p><lb/>
          <quote>
            <lg xml:id="POEMID_2" type="poem">
              <l> Das Auge erlischt wie el» müdes Gestirn,<lb/>
Und durch das ausgebrannte Gehirn,</l>
            </lg>
          </quote><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0026] der Dichter durch den Contrast hat wirken wolle», denn ein solcher mußte fühlbar gemacht werden; es ist das bloße zwecklose Experimentiren mit der hergebrachten Maschinerie. — Die Zeichnung der Figuren ist ganz unbestimmt und lyrisch; der Held ist eine Verherrlichung der verschiedenen Lebensalter ohne individuellen Charakter, die andern Personen verlieren sich in kleine Beziehungen. Wir kommen zum Schluß auf die eigentliche Form. Das charakteristische Kennzeichen des Epos ist das fortlaufende Metrum, welches bei allen nationalen Heldengedichten ein gleichmäßiges war, und zwar überall aus nationalen Be¬ dingungen hervorging, das Valmikiversmaß bei den Jndiern, der Hexameter bei den Griechen, die Nibclungenstrophe bei den Deutsche«, der assonirende Trochäus bei den Spaniern, die Ottave und Terzine bei den Italienern. Das Metrum gab die ideale Haltung und den gleichmäßigen Rhythmus, der die bewegte Welt der Thatsache» zur poetischen Harmonie erhob. In neueren Zeiten hat man es nun dadurch besser zu machen geglaubt, daß mau mit der fortschreitenden Be¬ wegung auch das Metrum fortschreiten ließ, daß man also dem Maß seinen eigent¬ lichen Charakter nah»,. Wie fehlerhaft ein solches subjektives Ueberschreiten des Rhythmus ist, sieht man jetzt allmälig el». Herr Gottschall hat für jeden seiner Gesänge einen fortlaufenden Rhythmus, aber für jeden Gesaug einen andern. Der erste Gesaug ist in dem hüpfenden Versmaß, das an den Anapäst erinnert, das wir Deutschen aber gewöhnlich mit dem Ausdruck Knittelvers bezeichnen; der zweite im fünffüßigen Jambus, der dritte im Anapäst der Parabase, der vierte in der Nibelungenstrvphe, der fünfte im vierfüßigen Trochäus, alle diese Verse in unmittelbar aufeinanderfolgenden Reimen. Eine gewisse Verwandtschaft ist in diesen Rhythmen nicht zu verkennen, am wenigsten paßt der vierte und der fünfte für die übrigen. Wir glauben aber doch, daß der Dichter besser daran gethan hätte, ein charakteristisches Metrum durch das ganze Gedicht hindurch festzuhalten. Denn die Einheit der äußere» Form ist kein unwesentliches Symbol für die Einheit der Gestaltung. — Weniger können wir mit dem Stil zufrieden sei». Zwar ist auch hier el» Fortschritt gegen „die Göttin" nicht zu verkennen. Die tobenden Dithyramben der lederen habe» sich etwas gemäßigt, aber doch herrscht noch eine Zügellosigkeit in der Bildersprache, eine Unklarheit und Nachlässigkeit des Stils, die das gebildete Gefühl fortwährend beleidigt. Wir wollen ein paar Beispiele geben. S. 79: ^ Doch keiner seidenen Gewänder Schleppe Weckt den Rialto aus zu Tanz und Spiel. Wenn der Dichter dergleichen Nachlässigkeiten überhaupt begeht, so muß er nachher wenigstens Kritik anwenden. Ferner Seite 9 die Schilderung von der schlimmen Wirkung des Spiels: Das Auge erlischt wie el» müdes Gestirn, Und durch das ausgebrannte Gehirn,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/26
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/26>, abgerufen am 25.08.2024.