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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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und anerkennen. Zwei Dinge sind es, sagt der alte Caen, ans welche die Gallier
Werth legen: auf die Moire und anf den Esprit ("plörs^us (-alli^ äaag res m-
an8trio8i8fing persscimtur i-hin militAvsm se arFu,t,e lvMi." Oato orix. I. II.
p. 21 Lion). Die Kelten haben alle Staaten des Alterthums erschüttert, aber
gegründet haben sie keinen von dauerndem Bestand, und schon jene oberflächliche
Weise, in der sie sich festsetzten in den neugewonnenen Landschaften, nicht minder
ihr Verzichten auf Seefahrt und Meerherrschaft beweist, wozu die Geschichte sie
nicht bestimmt hat. Sie waren schlechte Bürger, aber gute Reisläufer und vor¬
treffliche Unterthanen; die Römer haben sie mit derselben Leichtigkeit sich unter¬
worfen, wie sie die Kleinasiaten bezwangen." -- Es zeigen sich in dieser Mono¬
graphie noch manche andere Vorzüge, wir machen nur auf einen aufmerksam. Es
ist sehr schwer, innerhalb der Darstellung selbst wenigstens eine Andeutung von
dem Wege zu geben, anf dem man dazu gekommen ist, sie festzustellen. Es
ist schwer, aber es ist theilweise doch wenigstens nothwendig. Denn die neue
Manier, in der Geschichtschreibung die Darstellung von der Kritik völlig zu tren¬
nen, verfehlt sogar für das gewöhnliche Publicum ihren Zweck. Man hat ein viel
größeres Gefühl der Sicherheit, wenn man hin und wieder eine Ahnung davon
empfängt, wie der Versasser zu seiner Kenntniß gekommen ist; es versteht sich von
selbst, daß auch solche Andeutungen nur auf einen bestimmten und nicht gemeinen
Grad der Bildung berechnet sein können. Aber nur auf diese Weise wird uns
die Forschung wie die Geschichte zur lebendigen Gegenwart. Mommsen ist das hier
schon durch einige Winke vortrefflich gelungen. -- Schließlich können wir einen
bescheidenen Wunsch nicht unterdrücken. Wir haben oben die Sorge der deutschen
Regierungen für unsere schweizer Nachbarn rühmend anerkannt; allein es kann
auch des Guten zuviel geschehen. Es würde doch zweckmäßig sein, diese ganz
außerordentliche wissenschaftliche Kraft in einen Kreis zu ziehen, wo die Bewegung
der Wissenschaft sich lebendiger zusammendrängt. Es würde das ein Gewinn für
die Wissenschaft sein und Deutschland würde dabei auch nicht verlieren. In der
Regel werden die deutschen Gelehrten, die nach der Schweiz berufen werden,
einerlei ob sie früher sich mit Demagogie beschäftigten oder ob sie im russischen
' Staatsdienst wirkten, zu glühenden Verehrern der helvetischen Freiheit, der Alpen,
der biedern patriarchalischen Naturkraft, ,ja selbst des angenehmen Dialekts, den
man dort spricht; sie entblöden sich nicht, zuweilen in kräftigen Toasten vor den hel¬
denmütigen Söhnen Teils über die verkümmerten deutschen Zustände zu spotten,
und es kommt ihnen dabei auch gar nicht darauf an, allenfalls das Reislaufen
als den höchsten Grad republikanischer Tugend darzustellen. Daß Mommsen, der
ein geborener Schleswig-Holsteiner, keine übertriebene Ursache hat, auf die jüngste
deutsche Vergangenheit mit dankbarem Stolz zu blicken, nicht zu dieser Classe ge¬
hört, versteht sich von selbst. Er hat vielmehr in dieser Abhandlung, die öffent¬
lich vorgetragen worden ist, über die politische Berechtigung und Bedeutung der


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und anerkennen. Zwei Dinge sind es, sagt der alte Caen, ans welche die Gallier
Werth legen: auf die Moire und anf den Esprit („plörs^us (-alli^ äaag res m-
an8trio8i8fing persscimtur i-hin militAvsm se arFu,t,e lvMi." Oato orix. I. II.
p. 21 Lion). Die Kelten haben alle Staaten des Alterthums erschüttert, aber
gegründet haben sie keinen von dauerndem Bestand, und schon jene oberflächliche
Weise, in der sie sich festsetzten in den neugewonnenen Landschaften, nicht minder
ihr Verzichten auf Seefahrt und Meerherrschaft beweist, wozu die Geschichte sie
nicht bestimmt hat. Sie waren schlechte Bürger, aber gute Reisläufer und vor¬
treffliche Unterthanen; die Römer haben sie mit derselben Leichtigkeit sich unter¬
worfen, wie sie die Kleinasiaten bezwangen." — Es zeigen sich in dieser Mono¬
graphie noch manche andere Vorzüge, wir machen nur auf einen aufmerksam. Es
ist sehr schwer, innerhalb der Darstellung selbst wenigstens eine Andeutung von
dem Wege zu geben, anf dem man dazu gekommen ist, sie festzustellen. Es
ist schwer, aber es ist theilweise doch wenigstens nothwendig. Denn die neue
Manier, in der Geschichtschreibung die Darstellung von der Kritik völlig zu tren¬
nen, verfehlt sogar für das gewöhnliche Publicum ihren Zweck. Man hat ein viel
größeres Gefühl der Sicherheit, wenn man hin und wieder eine Ahnung davon
empfängt, wie der Versasser zu seiner Kenntniß gekommen ist; es versteht sich von
selbst, daß auch solche Andeutungen nur auf einen bestimmten und nicht gemeinen
Grad der Bildung berechnet sein können. Aber nur auf diese Weise wird uns
die Forschung wie die Geschichte zur lebendigen Gegenwart. Mommsen ist das hier
schon durch einige Winke vortrefflich gelungen. — Schließlich können wir einen
bescheidenen Wunsch nicht unterdrücken. Wir haben oben die Sorge der deutschen
Regierungen für unsere schweizer Nachbarn rühmend anerkannt; allein es kann
auch des Guten zuviel geschehen. Es würde doch zweckmäßig sein, diese ganz
außerordentliche wissenschaftliche Kraft in einen Kreis zu ziehen, wo die Bewegung
der Wissenschaft sich lebendiger zusammendrängt. Es würde das ein Gewinn für
die Wissenschaft sein und Deutschland würde dabei auch nicht verlieren. In der
Regel werden die deutschen Gelehrten, die nach der Schweiz berufen werden,
einerlei ob sie früher sich mit Demagogie beschäftigten oder ob sie im russischen
' Staatsdienst wirkten, zu glühenden Verehrern der helvetischen Freiheit, der Alpen,
der biedern patriarchalischen Naturkraft, ,ja selbst des angenehmen Dialekts, den
man dort spricht; sie entblöden sich nicht, zuweilen in kräftigen Toasten vor den hel¬
denmütigen Söhnen Teils über die verkümmerten deutschen Zustände zu spotten,
und es kommt ihnen dabei auch gar nicht darauf an, allenfalls das Reislaufen
als den höchsten Grad republikanischer Tugend darzustellen. Daß Mommsen, der
ein geborener Schleswig-Holsteiner, keine übertriebene Ursache hat, auf die jüngste
deutsche Vergangenheit mit dankbarem Stolz zu blicken, nicht zu dieser Classe ge¬
hört, versteht sich von selbst. Er hat vielmehr in dieser Abhandlung, die öffent¬
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[0259] und anerkennen. Zwei Dinge sind es, sagt der alte Caen, ans welche die Gallier Werth legen: auf die Moire und anf den Esprit („plörs^us (-alli^ äaag res m- an8trio8i8fing persscimtur i-hin militAvsm se arFu,t,e lvMi." Oato orix. I. II. p. 21 Lion). Die Kelten haben alle Staaten des Alterthums erschüttert, aber gegründet haben sie keinen von dauerndem Bestand, und schon jene oberflächliche Weise, in der sie sich festsetzten in den neugewonnenen Landschaften, nicht minder ihr Verzichten auf Seefahrt und Meerherrschaft beweist, wozu die Geschichte sie nicht bestimmt hat. Sie waren schlechte Bürger, aber gute Reisläufer und vor¬ treffliche Unterthanen; die Römer haben sie mit derselben Leichtigkeit sich unter¬ worfen, wie sie die Kleinasiaten bezwangen." — Es zeigen sich in dieser Mono¬ graphie noch manche andere Vorzüge, wir machen nur auf einen aufmerksam. Es ist sehr schwer, innerhalb der Darstellung selbst wenigstens eine Andeutung von dem Wege zu geben, anf dem man dazu gekommen ist, sie festzustellen. Es ist schwer, aber es ist theilweise doch wenigstens nothwendig. Denn die neue Manier, in der Geschichtschreibung die Darstellung von der Kritik völlig zu tren¬ nen, verfehlt sogar für das gewöhnliche Publicum ihren Zweck. Man hat ein viel größeres Gefühl der Sicherheit, wenn man hin und wieder eine Ahnung davon empfängt, wie der Versasser zu seiner Kenntniß gekommen ist; es versteht sich von selbst, daß auch solche Andeutungen nur auf einen bestimmten und nicht gemeinen Grad der Bildung berechnet sein können. Aber nur auf diese Weise wird uns die Forschung wie die Geschichte zur lebendigen Gegenwart. Mommsen ist das hier schon durch einige Winke vortrefflich gelungen. — Schließlich können wir einen bescheidenen Wunsch nicht unterdrücken. Wir haben oben die Sorge der deutschen Regierungen für unsere schweizer Nachbarn rühmend anerkannt; allein es kann auch des Guten zuviel geschehen. Es würde doch zweckmäßig sein, diese ganz außerordentliche wissenschaftliche Kraft in einen Kreis zu ziehen, wo die Bewegung der Wissenschaft sich lebendiger zusammendrängt. Es würde das ein Gewinn für die Wissenschaft sein und Deutschland würde dabei auch nicht verlieren. In der Regel werden die deutschen Gelehrten, die nach der Schweiz berufen werden, einerlei ob sie früher sich mit Demagogie beschäftigten oder ob sie im russischen ' Staatsdienst wirkten, zu glühenden Verehrern der helvetischen Freiheit, der Alpen, der biedern patriarchalischen Naturkraft, ,ja selbst des angenehmen Dialekts, den man dort spricht; sie entblöden sich nicht, zuweilen in kräftigen Toasten vor den hel¬ denmütigen Söhnen Teils über die verkümmerten deutschen Zustände zu spotten, und es kommt ihnen dabei auch gar nicht darauf an, allenfalls das Reislaufen als den höchsten Grad republikanischer Tugend darzustellen. Daß Mommsen, der ein geborener Schleswig-Holsteiner, keine übertriebene Ursache hat, auf die jüngste deutsche Vergangenheit mit dankbarem Stolz zu blicken, nicht zu dieser Classe ge¬ hört, versteht sich von selbst. Er hat vielmehr in dieser Abhandlung, die öffent¬ lich vorgetragen worden ist, über die politische Berechtigung und Bedeutung der 32*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/259>, abgerufen am 22.07.2024.