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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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seiner Mußestunden. Wenn er seine juristischen und numismatischen Studien einen
Augenblick bei Seite legt, so klettert er auf den Alpen'h'erum und sammelt
römische Inschriften, die er dann in einer von allen Gelehrten bewunderten Sorg¬
falt und Genauigkeit herausgibt. Hoffentlich wird jetzt anch bald das deutsche
Volk seine nähere Bekanntschaft machen, da das Erscheinen des ersten Bandes seiner
"römischen Geschichte" nahe bevorsteht. Was wir in derselben zu erwarten
haben, können wir wenigstens schon ans dieser kleinen Monographie ahnen, die
zwar eigentlich gleichfalls für die Wissenden berechnet ist, die aber durch die eigen¬
thümliche Behandlung einen Blick in die Methode seines Schaffens eröffnet. Er
spricht sich darin mit nicht geringem Stolz gegen die Umgekehrten aus. "Die
rechte Geschichtsforschung," sagt er zum Schluß seiner Abhandlung, "sucht nicht
in möglichster Vollständigkeit das Tagebuch der Welt wiederherzustellen,, auch nicht
den Sittenspiegel zu exemplificiren; sie sucht die Hohen und die Ueberblicke; von
glücklichen Punkten, in glücklichen Stunden gelingt es ihr, herniederzusehen anf
die unwandelbaren Gesetze des Nothwendigen, die ewig feststehen wie die Alpen
und auf die mannigfaltigen Leidenschaften der Mensche", die wie die Wolken um
sie kreisen, ohne sie zu ändern. Es ist dies Bild dem, der nicht mit auf den
Berg gestiegen ist und nicht sich selbst in der fremdartigen Welt umgesehen hat,
schwer mitzutheilen, und im besten Fall doch nnr unvollkommen und getrübt.
Der Baum der Wissenschaft trägt wie der der Hesperiden seine goldenen Aepfel
nur für den, der sie selbst sich bricht; andern kann man sie zeigen, aber nicht
geben." -- So schön das gesagt ist, so finden wir doch eine zu stolze Beschei¬
denheit darin. Wozu hätten wir unsere Künstler und Geschichtschreiber, wenn
sie nicht in der That diese freilich sehr schwierige Aufgabe ausführte", uns durch
künstlerische Bearbeitung des Materials wenigstens dem Anschein nach unmittelbar
in die Welt einzuführen, die wirklich zu erreichen unsere Kräfte zu schwach sind.
Der Genuß des absoluten Wissens, sowie der Genuß des freien Schaffens ist
allerdings dem Zuschauer versagt, aber das Geschaffene soll mit der Kraft der
Unmittelbarkeit auf ihn eindringen, sonst hat der Darsteller seinen Zweck verfehlt.
Es scheint dieser Idealismus der reinen Wissenschaft bei unseren Gelehrten jetzt
ebenso herrschend zu werden, wie der Idealismus der absoluten Kunst in der Zeit
unserer classischen Schule. Wenn wir Schillers "Reich der Schatten" und ähn¬
liche Erzeugnisse dieses spröden Künstlerthums anschauen', so wird uns in diesem
Aether der reinen Dichtung, der ganz aus dem Gebiet des Bedingten und Wirk¬
lichen in das Reich der freien Formen flüchtet, kühl und fremdartig zu Muthe.
Und wir können es auch keineswegs als eine blos vorübergehende Aufwallung
auffassen; jene Dichter hatten damals in der That die feste Ueberzeugung, daß
man, "in die Kunst zu finden, das Leben aufgeben müsse. Allein diese theore¬
tische Nichtachtung der umgebenden Wirklichkeit wich doch allmälig der Lust des
Schaffens, und die schönsten Werke dieser Dichter, die ewige Dauer in Anspruch


seiner Mußestunden. Wenn er seine juristischen und numismatischen Studien einen
Augenblick bei Seite legt, so klettert er auf den Alpen'h'erum und sammelt
römische Inschriften, die er dann in einer von allen Gelehrten bewunderten Sorg¬
falt und Genauigkeit herausgibt. Hoffentlich wird jetzt anch bald das deutsche
Volk seine nähere Bekanntschaft machen, da das Erscheinen des ersten Bandes seiner
„römischen Geschichte" nahe bevorsteht. Was wir in derselben zu erwarten
haben, können wir wenigstens schon ans dieser kleinen Monographie ahnen, die
zwar eigentlich gleichfalls für die Wissenden berechnet ist, die aber durch die eigen¬
thümliche Behandlung einen Blick in die Methode seines Schaffens eröffnet. Er
spricht sich darin mit nicht geringem Stolz gegen die Umgekehrten aus. „Die
rechte Geschichtsforschung," sagt er zum Schluß seiner Abhandlung, „sucht nicht
in möglichster Vollständigkeit das Tagebuch der Welt wiederherzustellen,, auch nicht
den Sittenspiegel zu exemplificiren; sie sucht die Hohen und die Ueberblicke; von
glücklichen Punkten, in glücklichen Stunden gelingt es ihr, herniederzusehen anf
die unwandelbaren Gesetze des Nothwendigen, die ewig feststehen wie die Alpen
und auf die mannigfaltigen Leidenschaften der Mensche», die wie die Wolken um
sie kreisen, ohne sie zu ändern. Es ist dies Bild dem, der nicht mit auf den
Berg gestiegen ist und nicht sich selbst in der fremdartigen Welt umgesehen hat,
schwer mitzutheilen, und im besten Fall doch nnr unvollkommen und getrübt.
Der Baum der Wissenschaft trägt wie der der Hesperiden seine goldenen Aepfel
nur für den, der sie selbst sich bricht; andern kann man sie zeigen, aber nicht
geben." — So schön das gesagt ist, so finden wir doch eine zu stolze Beschei¬
denheit darin. Wozu hätten wir unsere Künstler und Geschichtschreiber, wenn
sie nicht in der That diese freilich sehr schwierige Aufgabe ausführte», uns durch
künstlerische Bearbeitung des Materials wenigstens dem Anschein nach unmittelbar
in die Welt einzuführen, die wirklich zu erreichen unsere Kräfte zu schwach sind.
Der Genuß des absoluten Wissens, sowie der Genuß des freien Schaffens ist
allerdings dem Zuschauer versagt, aber das Geschaffene soll mit der Kraft der
Unmittelbarkeit auf ihn eindringen, sonst hat der Darsteller seinen Zweck verfehlt.
Es scheint dieser Idealismus der reinen Wissenschaft bei unseren Gelehrten jetzt
ebenso herrschend zu werden, wie der Idealismus der absoluten Kunst in der Zeit
unserer classischen Schule. Wenn wir Schillers „Reich der Schatten" und ähn¬
liche Erzeugnisse dieses spröden Künstlerthums anschauen', so wird uns in diesem
Aether der reinen Dichtung, der ganz aus dem Gebiet des Bedingten und Wirk¬
lichen in das Reich der freien Formen flüchtet, kühl und fremdartig zu Muthe.
Und wir können es auch keineswegs als eine blos vorübergehende Aufwallung
auffassen; jene Dichter hatten damals in der That die feste Ueberzeugung, daß
man, »in die Kunst zu finden, das Leben aufgeben müsse. Allein diese theore¬
tische Nichtachtung der umgebenden Wirklichkeit wich doch allmälig der Lust des
Schaffens, und die schönsten Werke dieser Dichter, die ewige Dauer in Anspruch


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[0256] seiner Mußestunden. Wenn er seine juristischen und numismatischen Studien einen Augenblick bei Seite legt, so klettert er auf den Alpen'h'erum und sammelt römische Inschriften, die er dann in einer von allen Gelehrten bewunderten Sorg¬ falt und Genauigkeit herausgibt. Hoffentlich wird jetzt anch bald das deutsche Volk seine nähere Bekanntschaft machen, da das Erscheinen des ersten Bandes seiner „römischen Geschichte" nahe bevorsteht. Was wir in derselben zu erwarten haben, können wir wenigstens schon ans dieser kleinen Monographie ahnen, die zwar eigentlich gleichfalls für die Wissenden berechnet ist, die aber durch die eigen¬ thümliche Behandlung einen Blick in die Methode seines Schaffens eröffnet. Er spricht sich darin mit nicht geringem Stolz gegen die Umgekehrten aus. „Die rechte Geschichtsforschung," sagt er zum Schluß seiner Abhandlung, „sucht nicht in möglichster Vollständigkeit das Tagebuch der Welt wiederherzustellen,, auch nicht den Sittenspiegel zu exemplificiren; sie sucht die Hohen und die Ueberblicke; von glücklichen Punkten, in glücklichen Stunden gelingt es ihr, herniederzusehen anf die unwandelbaren Gesetze des Nothwendigen, die ewig feststehen wie die Alpen und auf die mannigfaltigen Leidenschaften der Mensche», die wie die Wolken um sie kreisen, ohne sie zu ändern. Es ist dies Bild dem, der nicht mit auf den Berg gestiegen ist und nicht sich selbst in der fremdartigen Welt umgesehen hat, schwer mitzutheilen, und im besten Fall doch nnr unvollkommen und getrübt. Der Baum der Wissenschaft trägt wie der der Hesperiden seine goldenen Aepfel nur für den, der sie selbst sich bricht; andern kann man sie zeigen, aber nicht geben." — So schön das gesagt ist, so finden wir doch eine zu stolze Beschei¬ denheit darin. Wozu hätten wir unsere Künstler und Geschichtschreiber, wenn sie nicht in der That diese freilich sehr schwierige Aufgabe ausführte», uns durch künstlerische Bearbeitung des Materials wenigstens dem Anschein nach unmittelbar in die Welt einzuführen, die wirklich zu erreichen unsere Kräfte zu schwach sind. Der Genuß des absoluten Wissens, sowie der Genuß des freien Schaffens ist allerdings dem Zuschauer versagt, aber das Geschaffene soll mit der Kraft der Unmittelbarkeit auf ihn eindringen, sonst hat der Darsteller seinen Zweck verfehlt. Es scheint dieser Idealismus der reinen Wissenschaft bei unseren Gelehrten jetzt ebenso herrschend zu werden, wie der Idealismus der absoluten Kunst in der Zeit unserer classischen Schule. Wenn wir Schillers „Reich der Schatten" und ähn¬ liche Erzeugnisse dieses spröden Künstlerthums anschauen', so wird uns in diesem Aether der reinen Dichtung, der ganz aus dem Gebiet des Bedingten und Wirk¬ lichen in das Reich der freien Formen flüchtet, kühl und fremdartig zu Muthe. Und wir können es auch keineswegs als eine blos vorübergehende Aufwallung auffassen; jene Dichter hatten damals in der That die feste Ueberzeugung, daß man, »in die Kunst zu finden, das Leben aufgeben müsse. Allein diese theore¬ tische Nichtachtung der umgebenden Wirklichkeit wich doch allmälig der Lust des Schaffens, und die schönsten Werke dieser Dichter, die ewige Dauer in Anspruch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/256>, abgerufen am 05.02.2025.