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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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während der Ausdruck in Kopf und Oberkörper durchaus erschöpfend ist. Die
Gruppe von Drake sehen wir am vortheilhaftesten von der Seite des Schlosses
aus. Eine Victoria setzt einem Krieger in männlichen Jahren, der sein Schwert
in die Scheide steckt, den Lorbeerkranz ans. -- Der bärtige, stämmige Krieger
steht vortrefflich mit einer gewissen Sicherheit da. Man sieht ihm an, er hat
durchgekämpft und den Sieg errungen; er darf sein Schwert zufrieden einstecken,
er hat seinen Kranz verdient. Ungünstig wirkt, von der andern Seite ans ge¬
sehen, der Oberkörper, da er zu kurz und die Hüfte zu hoch unter der Achsel ist.
Auch ist diese Partie etwas roh gearbeitet. Soviel sei genug, da eine specielle
Kritik theils uns "zuweit führen würde, theils' nicht überall möglich ist. Denn
die Gruppen stehen in beliebter Weise wieder so hoch, daß man den Ausdruck
der Köpfe kaum beurtheilen kann. Da, wo man den Kopf übersehen kann, verliert
man bereits die Deutlichkeit,^ da, wo man ihn deutlich sieht, hat man keinen Ueber¬
blick, sondern muß sich mit einer Ansicht unter das Kinn und in die Nasenlöcher
begnügen. -- Was ich im einzelnen noch zuzusetzen hätte, würde jedenfalls mehr
'Lob als Tadel enthalten; soviel ist gewiß, daß die Gruppen von Drake, Möller,
Schievelbein, A. Wolff ein sehr günstiges Zeugniß von dem Stande der Skulptur
in Berlin geben. >-- Die Namen der beiden Künstler, die mit Vollendung der
zwei übrigen Gruppen beauftragt sind, Wredow für die Victoria und Bläser
für die Minerva, bürgen für deren gutes Ausfallen; und so wird die Schloßbrücke
zu den schönsten Zierden Berlins gehören.

Daß das Berliner große Publicum sich diese Gelegenheit nicht hat entgehen
lassen, seine Thorheit in gewohnter Weise zu documentiren, wird Ihnen zur Ge-
nüge bekannt sein. Ich weiß nicht, welcher geistreiche Kopf zuerst auf die Idee
kam, einige dieser Figuren wegen gewisser unbekleideter Partien unanständig, ent¬
sittlichend, und wer weiß was alles zu finden. Natürlich sprang, nachdem ein
Bock vorangesprnngeu war, die ganze Herde nach, und nachdem noch einige
Koryphäen der Straßenjugend darauf bezügliche Witze gemacht hatten, war ein
großer Theil des Publicums, dem das sonst nie eingefallen wäre, entrüstet über
die Zumuthung, diese unmoralischen Statuen sehen zu müssen. Außerdem be¬
wiesen noch verschiedene Feuilletonisten, daß aus dem oben angeführten Grnnde
und wegen Anbringung heidnischer Gottheiten diese Statuen überhaupt nicht in
Unsere Zeit und die christliche Kunst passen; und die Gruppen auf der Schlo߬
brücke waren nach allen Seiten hin von dem lieben großen Publicum verurtheilt.
Hinterher scheint man sich denn, wie gewöhnlich, beruhigt und besonnen zu haben,
""d mancher wagte sich an den Gruppen, wie billig, zu erfreuen. -- Ich würde alle
diese Albernheiten gar nicht erwähnt haben, lägen nicht zum Theil wahre, nnr unrichtig
angewendete Reflexionen zu Grunde. -- Ich will die üblichen Räsonnements der
Reihe "ach verfolgen. Es gibt Leute, welche meinen, die Kunst solle unmittel¬
bar aus unserer Zeit heraus schaffen, alles Traditionelle aufgeben; nur so werde


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während der Ausdruck in Kopf und Oberkörper durchaus erschöpfend ist. Die
Gruppe von Drake sehen wir am vortheilhaftesten von der Seite des Schlosses
aus. Eine Victoria setzt einem Krieger in männlichen Jahren, der sein Schwert
in die Scheide steckt, den Lorbeerkranz ans. — Der bärtige, stämmige Krieger
steht vortrefflich mit einer gewissen Sicherheit da. Man sieht ihm an, er hat
durchgekämpft und den Sieg errungen; er darf sein Schwert zufrieden einstecken,
er hat seinen Kranz verdient. Ungünstig wirkt, von der andern Seite ans ge¬
sehen, der Oberkörper, da er zu kurz und die Hüfte zu hoch unter der Achsel ist.
Auch ist diese Partie etwas roh gearbeitet. Soviel sei genug, da eine specielle
Kritik theils uns "zuweit führen würde, theils' nicht überall möglich ist. Denn
die Gruppen stehen in beliebter Weise wieder so hoch, daß man den Ausdruck
der Köpfe kaum beurtheilen kann. Da, wo man den Kopf übersehen kann, verliert
man bereits die Deutlichkeit,^ da, wo man ihn deutlich sieht, hat man keinen Ueber¬
blick, sondern muß sich mit einer Ansicht unter das Kinn und in die Nasenlöcher
begnügen. — Was ich im einzelnen noch zuzusetzen hätte, würde jedenfalls mehr
'Lob als Tadel enthalten; soviel ist gewiß, daß die Gruppen von Drake, Möller,
Schievelbein, A. Wolff ein sehr günstiges Zeugniß von dem Stande der Skulptur
in Berlin geben. >— Die Namen der beiden Künstler, die mit Vollendung der
zwei übrigen Gruppen beauftragt sind, Wredow für die Victoria und Bläser
für die Minerva, bürgen für deren gutes Ausfallen; und so wird die Schloßbrücke
zu den schönsten Zierden Berlins gehören.

Daß das Berliner große Publicum sich diese Gelegenheit nicht hat entgehen
lassen, seine Thorheit in gewohnter Weise zu documentiren, wird Ihnen zur Ge-
nüge bekannt sein. Ich weiß nicht, welcher geistreiche Kopf zuerst auf die Idee
kam, einige dieser Figuren wegen gewisser unbekleideter Partien unanständig, ent¬
sittlichend, und wer weiß was alles zu finden. Natürlich sprang, nachdem ein
Bock vorangesprnngeu war, die ganze Herde nach, und nachdem noch einige
Koryphäen der Straßenjugend darauf bezügliche Witze gemacht hatten, war ein
großer Theil des Publicums, dem das sonst nie eingefallen wäre, entrüstet über
die Zumuthung, diese unmoralischen Statuen sehen zu müssen. Außerdem be¬
wiesen noch verschiedene Feuilletonisten, daß aus dem oben angeführten Grnnde
und wegen Anbringung heidnischer Gottheiten diese Statuen überhaupt nicht in
Unsere Zeit und die christliche Kunst passen; und die Gruppen auf der Schlo߬
brücke waren nach allen Seiten hin von dem lieben großen Publicum verurtheilt.
Hinterher scheint man sich denn, wie gewöhnlich, beruhigt und besonnen zu haben,
""d mancher wagte sich an den Gruppen, wie billig, zu erfreuen. — Ich würde alle
diese Albernheiten gar nicht erwähnt haben, lägen nicht zum Theil wahre, nnr unrichtig
angewendete Reflexionen zu Grunde. — Ich will die üblichen Räsonnements der
Reihe »ach verfolgen. Es gibt Leute, welche meinen, die Kunst solle unmittel¬
bar aus unserer Zeit heraus schaffen, alles Traditionelle aufgeben; nur so werde


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/251>, abgerufen am 22.07.2024.