Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

außer die Ketzer, ertönt von der Galerie der Kuppel eine simste Musik von
Posaune" und andern Blasinstrumenten; leider war sie nach deutschen Begriffen
keineswegs der Feierlichkeit des Moments angemessen. Ich sah Pius IX.
nicht ohne eine gewisse Rührung an. In seinem Gesicht ist ein Gemisch von
Herzensgüte und Kummer, man glaubt etwas von der Geschichte der letzten Jahre
darin zu lesen. Ich stand etwa zwanzig Schritt von ihm entfernt, und durfte
keinen Anstand nehmen, ihn durch ein Opernglas anzusehen, es gilt hier nicht
für unanständig. Die Begriffe von Schauspiel und Gottesdienst sind hier nicht
so heterogen wie in Deutschland, und die Italiener denken in vielen conventio-
nellen Dingen freier als wir, und wie sie sich selbst keinen Zwang auflegen, so
fordern sie dies auch nicht von den Fremden. In solchen Dingen ist der Katho¬
licismus nnr in den Ländern intolerant, wo er durch fortwährende Reibung mit
dem Protestantismus gereizt und bösartig ist, wie in Baiern und Belgien. Wäh¬
rend man in München verhaftet wird, wenn man einer Procession aus dem
zweiten Stock mit dem Hut auf dem Kopf zusieht, behält hier alles den Hut auf,
wenn eine Procession vorbeikommt, und nimmt ihn nnr ab, wenn ein Crucifix
oder dergl. vorübergetragen wird. Bei Predigreu liegen gewöhnlich in dem
freien Raum zwischen der Kanzel und den Zuhörern einige Hunde, und selten
geht eine Function vorüber, ohne daß in einem feierlichen Moment ein getretener
Hund heult.

Während der Ceremonie wird ein breiter Raum in der ganzen Länge des
Mittelschiffs vom Tabernakel bis zur Thüre durch zwei Spaliere von Soldaten
frei gehalten, und hier wird der Papst, wenn die Messe ans ist, langsam zur
Kirche Hinausgetrage" und spendet wieder seineu Segen. Die Menge strömt
dann zu beide" Seite" hinab, ergießt sich in die Seitenschiffe und wogt hin und
her. Nun bekommt man erst einen Maßstab sür die Ausdehnung der Kirche.
Es ließ sich berechnen, daß sich etwa 20,000 Menschen darin befanden, die sich
mit der größten Bequemlichkeit hin-- und herbewegten: denn Se. Peter vermag
vierzigtausend, also die Bevölkerung einer nicht unbedeutenden Stadt, zu fassen.

Der folgende Tag gilt in Rom für keinen Feiertag, die Läden sind dann ,
wieder geöffnet. Es ist der Tag des heiligen Stephan, deshalb wird in der
Kirche Se. Stephans rotondo aus dem Cälius , die das ganze Jahr, über ver¬
schlossen ist, Messe gelesen. Se. Stephan war der erste Märtyrer (Protvmartyr);
zwar haben anch die bethlemitischen Kinder (1 s8. wnooentl) und sogar die Mak-
kabäer Ansprüche ans diese Benennung erhoben, aber sie scheinen nicht giltig
befunden zu sein. Aus diesem Gründe ist die ganze innere im Kreise herum¬
laufende Wand der Kirche mit den Geschichten der Märtyrer bemalt, die Jesuiten
haben diese Bilder von Tempasta und Pomeranzio ausführen lassen. Diese Väter
haben vieles in der Kunst verbrochen (und namentlich in Rom lernt man sie von
dieser Seite aus tiefster Seele hassen), aber nichts, was so schlimm wäre. I"


außer die Ketzer, ertönt von der Galerie der Kuppel eine simste Musik von
Posaune» und andern Blasinstrumenten; leider war sie nach deutschen Begriffen
keineswegs der Feierlichkeit des Moments angemessen. Ich sah Pius IX.
nicht ohne eine gewisse Rührung an. In seinem Gesicht ist ein Gemisch von
Herzensgüte und Kummer, man glaubt etwas von der Geschichte der letzten Jahre
darin zu lesen. Ich stand etwa zwanzig Schritt von ihm entfernt, und durfte
keinen Anstand nehmen, ihn durch ein Opernglas anzusehen, es gilt hier nicht
für unanständig. Die Begriffe von Schauspiel und Gottesdienst sind hier nicht
so heterogen wie in Deutschland, und die Italiener denken in vielen conventio-
nellen Dingen freier als wir, und wie sie sich selbst keinen Zwang auflegen, so
fordern sie dies auch nicht von den Fremden. In solchen Dingen ist der Katho¬
licismus nnr in den Ländern intolerant, wo er durch fortwährende Reibung mit
dem Protestantismus gereizt und bösartig ist, wie in Baiern und Belgien. Wäh¬
rend man in München verhaftet wird, wenn man einer Procession aus dem
zweiten Stock mit dem Hut auf dem Kopf zusieht, behält hier alles den Hut auf,
wenn eine Procession vorbeikommt, und nimmt ihn nnr ab, wenn ein Crucifix
oder dergl. vorübergetragen wird. Bei Predigreu liegen gewöhnlich in dem
freien Raum zwischen der Kanzel und den Zuhörern einige Hunde, und selten
geht eine Function vorüber, ohne daß in einem feierlichen Moment ein getretener
Hund heult.

Während der Ceremonie wird ein breiter Raum in der ganzen Länge des
Mittelschiffs vom Tabernakel bis zur Thüre durch zwei Spaliere von Soldaten
frei gehalten, und hier wird der Papst, wenn die Messe ans ist, langsam zur
Kirche Hinausgetrage» und spendet wieder seineu Segen. Die Menge strömt
dann zu beide» Seite» hinab, ergießt sich in die Seitenschiffe und wogt hin und
her. Nun bekommt man erst einen Maßstab sür die Ausdehnung der Kirche.
Es ließ sich berechnen, daß sich etwa 20,000 Menschen darin befanden, die sich
mit der größten Bequemlichkeit hin-- und herbewegten: denn Se. Peter vermag
vierzigtausend, also die Bevölkerung einer nicht unbedeutenden Stadt, zu fassen.

Der folgende Tag gilt in Rom für keinen Feiertag, die Läden sind dann ,
wieder geöffnet. Es ist der Tag des heiligen Stephan, deshalb wird in der
Kirche Se. Stephans rotondo aus dem Cälius , die das ganze Jahr, über ver¬
schlossen ist, Messe gelesen. Se. Stephan war der erste Märtyrer (Protvmartyr);
zwar haben anch die bethlemitischen Kinder (1 s8. wnooentl) und sogar die Mak-
kabäer Ansprüche ans diese Benennung erhoben, aber sie scheinen nicht giltig
befunden zu sein. Aus diesem Gründe ist die ganze innere im Kreise herum¬
laufende Wand der Kirche mit den Geschichten der Märtyrer bemalt, die Jesuiten
haben diese Bilder von Tempasta und Pomeranzio ausführen lassen. Diese Väter
haben vieles in der Kunst verbrochen (und namentlich in Rom lernt man sie von
dieser Seite aus tiefster Seele hassen), aber nichts, was so schlimm wäre. I»


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0232" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/97478"/>
          <p xml:id="ID_602" prev="#ID_601"> außer die Ketzer, ertönt von der Galerie der Kuppel eine simste Musik von<lb/>
Posaune» und andern Blasinstrumenten; leider war sie nach deutschen Begriffen<lb/>
keineswegs der Feierlichkeit des Moments angemessen. Ich sah Pius IX.<lb/>
nicht ohne eine gewisse Rührung an. In seinem Gesicht ist ein Gemisch von<lb/>
Herzensgüte und Kummer, man glaubt etwas von der Geschichte der letzten Jahre<lb/>
darin zu lesen. Ich stand etwa zwanzig Schritt von ihm entfernt, und durfte<lb/>
keinen Anstand nehmen, ihn durch ein Opernglas anzusehen, es gilt hier nicht<lb/>
für unanständig. Die Begriffe von Schauspiel und Gottesdienst sind hier nicht<lb/>
so heterogen wie in Deutschland, und die Italiener denken in vielen conventio-<lb/>
nellen Dingen freier als wir, und wie sie sich selbst keinen Zwang auflegen, so<lb/>
fordern sie dies auch nicht von den Fremden. In solchen Dingen ist der Katho¬<lb/>
licismus nnr in den Ländern intolerant, wo er durch fortwährende Reibung mit<lb/>
dem Protestantismus gereizt und bösartig ist, wie in Baiern und Belgien. Wäh¬<lb/>
rend man in München verhaftet wird, wenn man einer Procession aus dem<lb/>
zweiten Stock mit dem Hut auf dem Kopf zusieht, behält hier alles den Hut auf,<lb/>
wenn eine Procession vorbeikommt, und nimmt ihn nnr ab, wenn ein Crucifix<lb/>
oder dergl. vorübergetragen wird. Bei Predigreu liegen gewöhnlich in dem<lb/>
freien Raum zwischen der Kanzel und den Zuhörern einige Hunde, und selten<lb/>
geht eine Function vorüber, ohne daß in einem feierlichen Moment ein getretener<lb/>
Hund heult.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_603"> Während der Ceremonie wird ein breiter Raum in der ganzen Länge des<lb/>
Mittelschiffs vom Tabernakel bis zur Thüre durch zwei Spaliere von Soldaten<lb/>
frei gehalten, und hier wird der Papst, wenn die Messe ans ist, langsam zur<lb/>
Kirche Hinausgetrage» und spendet wieder seineu Segen. Die Menge strömt<lb/>
dann zu beide» Seite» hinab, ergießt sich in die Seitenschiffe und wogt hin und<lb/>
her. Nun bekommt man erst einen Maßstab sür die Ausdehnung der Kirche.<lb/>
Es ließ sich berechnen, daß sich etwa 20,000 Menschen darin befanden, die sich<lb/>
mit der größten Bequemlichkeit hin-- und herbewegten: denn Se. Peter vermag<lb/>
vierzigtausend, also die Bevölkerung einer nicht unbedeutenden Stadt, zu fassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_604" next="#ID_605"> Der folgende Tag gilt in Rom für keinen Feiertag, die Läden sind dann ,<lb/>
wieder geöffnet. Es ist der Tag des heiligen Stephan, deshalb wird in der<lb/>
Kirche Se. Stephans rotondo aus dem Cälius , die das ganze Jahr, über ver¬<lb/>
schlossen ist, Messe gelesen. Se. Stephan war der erste Märtyrer (Protvmartyr);<lb/>
zwar haben anch die bethlemitischen Kinder (1 s8. wnooentl) und sogar die Mak-<lb/>
kabäer Ansprüche ans diese Benennung erhoben, aber sie scheinen nicht giltig<lb/>
befunden zu sein. Aus diesem Gründe ist die ganze innere im Kreise herum¬<lb/>
laufende Wand der Kirche mit den Geschichten der Märtyrer bemalt, die Jesuiten<lb/>
haben diese Bilder von Tempasta und Pomeranzio ausführen lassen. Diese Väter<lb/>
haben vieles in der Kunst verbrochen (und namentlich in Rom lernt man sie von<lb/>
dieser Seite aus tiefster Seele hassen), aber nichts, was so schlimm wäre. I»</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0232] außer die Ketzer, ertönt von der Galerie der Kuppel eine simste Musik von Posaune» und andern Blasinstrumenten; leider war sie nach deutschen Begriffen keineswegs der Feierlichkeit des Moments angemessen. Ich sah Pius IX. nicht ohne eine gewisse Rührung an. In seinem Gesicht ist ein Gemisch von Herzensgüte und Kummer, man glaubt etwas von der Geschichte der letzten Jahre darin zu lesen. Ich stand etwa zwanzig Schritt von ihm entfernt, und durfte keinen Anstand nehmen, ihn durch ein Opernglas anzusehen, es gilt hier nicht für unanständig. Die Begriffe von Schauspiel und Gottesdienst sind hier nicht so heterogen wie in Deutschland, und die Italiener denken in vielen conventio- nellen Dingen freier als wir, und wie sie sich selbst keinen Zwang auflegen, so fordern sie dies auch nicht von den Fremden. In solchen Dingen ist der Katho¬ licismus nnr in den Ländern intolerant, wo er durch fortwährende Reibung mit dem Protestantismus gereizt und bösartig ist, wie in Baiern und Belgien. Wäh¬ rend man in München verhaftet wird, wenn man einer Procession aus dem zweiten Stock mit dem Hut auf dem Kopf zusieht, behält hier alles den Hut auf, wenn eine Procession vorbeikommt, und nimmt ihn nnr ab, wenn ein Crucifix oder dergl. vorübergetragen wird. Bei Predigreu liegen gewöhnlich in dem freien Raum zwischen der Kanzel und den Zuhörern einige Hunde, und selten geht eine Function vorüber, ohne daß in einem feierlichen Moment ein getretener Hund heult. Während der Ceremonie wird ein breiter Raum in der ganzen Länge des Mittelschiffs vom Tabernakel bis zur Thüre durch zwei Spaliere von Soldaten frei gehalten, und hier wird der Papst, wenn die Messe ans ist, langsam zur Kirche Hinausgetrage» und spendet wieder seineu Segen. Die Menge strömt dann zu beide» Seite» hinab, ergießt sich in die Seitenschiffe und wogt hin und her. Nun bekommt man erst einen Maßstab sür die Ausdehnung der Kirche. Es ließ sich berechnen, daß sich etwa 20,000 Menschen darin befanden, die sich mit der größten Bequemlichkeit hin-- und herbewegten: denn Se. Peter vermag vierzigtausend, also die Bevölkerung einer nicht unbedeutenden Stadt, zu fassen. Der folgende Tag gilt in Rom für keinen Feiertag, die Läden sind dann , wieder geöffnet. Es ist der Tag des heiligen Stephan, deshalb wird in der Kirche Se. Stephans rotondo aus dem Cälius , die das ganze Jahr, über ver¬ schlossen ist, Messe gelesen. Se. Stephan war der erste Märtyrer (Protvmartyr); zwar haben anch die bethlemitischen Kinder (1 s8. wnooentl) und sogar die Mak- kabäer Ansprüche ans diese Benennung erhoben, aber sie scheinen nicht giltig befunden zu sein. Aus diesem Gründe ist die ganze innere im Kreise herum¬ laufende Wand der Kirche mit den Geschichten der Märtyrer bemalt, die Jesuiten haben diese Bilder von Tempasta und Pomeranzio ausführen lassen. Diese Väter haben vieles in der Kunst verbrochen (und namentlich in Rom lernt man sie von dieser Seite aus tiefster Seele hassen), aber nichts, was so schlimm wäre. I»

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/232
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/232>, abgerufen am 01.10.2024.