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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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Segen an die Versammlung spendete. Weder hierbei noch bei der Messe war
irgendwo eine Spur von Andacht zu bemerken; alles drängte sich durcheinander,
gaffte, plauderte und lachte wie bei einem Schauspiel. Eifrige Katholiken be¬
haupten, die immer zunehmende Menge der Fremden mit ihrer profanen Schau¬
lust hätte die ehemals ergreifende Ceremonie in ein so uuheiliges Spectakel ver¬
wandelt; ich glaube es nicht, die Fremden, besonders die Engländer, sollen nun
einmal in Rom an allem schuld sein. Uebrigens mögen wol zehntausend Men¬
schen in der Kirche gewesen sein, es konnte kein Apfel zur Erde. Ich bin in
manchem Gedränge gewesen, im Berliner Opernhause, wenn Jenny Lind saug
und am Versailler Bahnhof, an Tagen der großen Wasser -- aber dies war fast
"och ärger, nud ich kann die Todesverachtung der englischen Damen nicht genug
bewundern, die sich in diese Gefahr begaben. Von hier ging ick mit einem Be¬
kannten nach Se. Maria ti Ära Coeli auf dem Capitol, um die Mitternachtsmesse
zu höre". Wir durchstreiften in der Zwischenzeit ganz Rom, vom spanischen
Platz bis auf Campo Vaccino, in der Hoffnung, uns in irgend einem Caffv er¬
frischen zu können -- nicht ein einziges war offen, obwol die sonst um diese Zeit
leeren Straßen überall mit Menschen gefüllt waren. Dies ist echt römisch. Die
Messe i" Ära Coeli zeichnete sich durch nichts ans, als durch eine allenfalls erträg¬
liche, wenn anch immer opernhafte Musik; es ist unglaublich, welch unwürdiges
Gedudel mau gewöhnlich in römischen Kirchen zu hören bekommt.

Die Wonne des Weihnachtsbaumö kennen die italienischen Kinder' nicht,
doch wird am Weihnachtsabend eine Krippe aufgestellt und uach Geschmack
und Vermögen der Familien ausgeputzt. Ich habe den Weihnachtsbaum in einer
katholischen deutschen Familie gesehen. Die Stelle der Tanne vertritt der Lorbeer,
mit Orangen statt Aepfeln behängt; überdies war er mit frischen Rosen und
andern Blume" geschmückt und mit gemachten Lilien geschmackvoll verziert, ganz
oben prangte der Stern der heiligen drei Könige mit herabhängenden Strahlen,
wie ein Komet. Aber der deutsche Weihnachtsbaum mit seinem dunklern Grün,
seinen zahllosen Lichtern und rothbäckigen Aepfeln sieht doch lustiger ans, auch
werden die Blätter des Lorbeers bald schlaff und welk.

Die Function am Sonntag, wo der Papst in Se. Peter das Hochamt hält,
ist eine der prachtvollsten in Rom. Er sowol als die Cardinäle erschienen dabei
M weißen goldgestickten Gewändern. Soldaten, geistliche Officianten und Mini¬
stranten sind sämmtlich in Festtracht, die Nobelgarde in rother Uniform, die
Schweizer in Stahlharnischen, die bei den Offizieren damascirt und über Ketten¬
hemden gezogen sind. Die mannigfachen Trachten der Geistlichen und die vielen
fremde" militärischen und Phantasieuniformcn ans aller Herren Ländern, besonders
englische, machen auch die Masse der Zuschauer bunt genug. In dem Augen¬
blicke, wo der Papst am Altar stehend, erst die Hostie und dann den Kelch in
die Höhe hebt und nach allen Seiten wendet, während alles auf deu Knien liegt,


Segen an die Versammlung spendete. Weder hierbei noch bei der Messe war
irgendwo eine Spur von Andacht zu bemerken; alles drängte sich durcheinander,
gaffte, plauderte und lachte wie bei einem Schauspiel. Eifrige Katholiken be¬
haupten, die immer zunehmende Menge der Fremden mit ihrer profanen Schau¬
lust hätte die ehemals ergreifende Ceremonie in ein so uuheiliges Spectakel ver¬
wandelt; ich glaube es nicht, die Fremden, besonders die Engländer, sollen nun
einmal in Rom an allem schuld sein. Uebrigens mögen wol zehntausend Men¬
schen in der Kirche gewesen sein, es konnte kein Apfel zur Erde. Ich bin in
manchem Gedränge gewesen, im Berliner Opernhause, wenn Jenny Lind saug
und am Versailler Bahnhof, an Tagen der großen Wasser — aber dies war fast
«och ärger, nud ich kann die Todesverachtung der englischen Damen nicht genug
bewundern, die sich in diese Gefahr begaben. Von hier ging ick mit einem Be¬
kannten nach Se. Maria ti Ära Coeli auf dem Capitol, um die Mitternachtsmesse
zu höre». Wir durchstreiften in der Zwischenzeit ganz Rom, vom spanischen
Platz bis auf Campo Vaccino, in der Hoffnung, uns in irgend einem Caffv er¬
frischen zu können — nicht ein einziges war offen, obwol die sonst um diese Zeit
leeren Straßen überall mit Menschen gefüllt waren. Dies ist echt römisch. Die
Messe i» Ära Coeli zeichnete sich durch nichts ans, als durch eine allenfalls erträg¬
liche, wenn anch immer opernhafte Musik; es ist unglaublich, welch unwürdiges
Gedudel mau gewöhnlich in römischen Kirchen zu hören bekommt.

Die Wonne des Weihnachtsbaumö kennen die italienischen Kinder' nicht,
doch wird am Weihnachtsabend eine Krippe aufgestellt und uach Geschmack
und Vermögen der Familien ausgeputzt. Ich habe den Weihnachtsbaum in einer
katholischen deutschen Familie gesehen. Die Stelle der Tanne vertritt der Lorbeer,
mit Orangen statt Aepfeln behängt; überdies war er mit frischen Rosen und
andern Blume» geschmückt und mit gemachten Lilien geschmackvoll verziert, ganz
oben prangte der Stern der heiligen drei Könige mit herabhängenden Strahlen,
wie ein Komet. Aber der deutsche Weihnachtsbaum mit seinem dunklern Grün,
seinen zahllosen Lichtern und rothbäckigen Aepfeln sieht doch lustiger ans, auch
werden die Blätter des Lorbeers bald schlaff und welk.

Die Function am Sonntag, wo der Papst in Se. Peter das Hochamt hält,
ist eine der prachtvollsten in Rom. Er sowol als die Cardinäle erschienen dabei
M weißen goldgestickten Gewändern. Soldaten, geistliche Officianten und Mini¬
stranten sind sämmtlich in Festtracht, die Nobelgarde in rother Uniform, die
Schweizer in Stahlharnischen, die bei den Offizieren damascirt und über Ketten¬
hemden gezogen sind. Die mannigfachen Trachten der Geistlichen und die vielen
fremde» militärischen und Phantasieuniformcn ans aller Herren Ländern, besonders
englische, machen auch die Masse der Zuschauer bunt genug. In dem Augen¬
blicke, wo der Papst am Altar stehend, erst die Hostie und dann den Kelch in
die Höhe hebt und nach allen Seiten wendet, während alles auf deu Knien liegt,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/231>, abgerufen am 22.07.2024.