Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.Schwieriger wird dagegen der Widerstand der französischen Schweiz zu beugen Eine eidgenössische Universität in der deutschen Schweiz würde die Er¬ Wir traten nicht mit übertriebenen Hoffnungen in das neue Jahr. Doch Schwieriger wird dagegen der Widerstand der französischen Schweiz zu beugen Eine eidgenössische Universität in der deutschen Schweiz würde die Er¬ Wir traten nicht mit übertriebenen Hoffnungen in das neue Jahr. Doch <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0228" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/97474"/> <p xml:id="ID_591" prev="#ID_590"> Schwieriger wird dagegen der Widerstand der französischen Schweiz zu beugen<lb/> sein, und man kaun sich nicht verhehlen, daß hier die Gefahr eines Scheiterns<lb/> des Gesetzes sehr nahe liegt. Denn es läßt sich nicht leugnen, die französische<lb/> Schweiz ist durch das neue Buudeslebeu einigermaßen in den Hintergrund gedrängt<lb/> worden; das deutsche Element ist nul'ehernem das vorherrschende und bedingende<lb/> in der socialpolitischen modernen Entwickelung unserer Zustände. Es ists nicht<lb/> nur als nationales, auch als protestantisches. Und wer beobachten gelernt hat,<lb/> dem mag es darum keineswegs bedeutungslos erscheinen, daß grade seit -1848 im<lb/> altconservativcn Patriziate der deutschen Cantone, speciell in Bern, Solothurn,<lb/> Basel, selbst Zürich französisch sprechen, französische Sitte und Lebensform zu einer<lb/> immer weiter greifenden Modefordernng der Gesellschaft geworden ist, während<lb/> umgekehrt im geschäftlichen und politischen Verkehr die deutsche Sprache und Be-<lb/> habung uach Süden ganz auffallend vordrang und gen Westen ebenfalls nicht<lb/> geringe Vorschütte machte.</p><lb/> <p xml:id="ID_592"> Eine eidgenössische Universität in der deutschen Schweiz würde die Er¬<lb/> oberungen des germanischen Geistes und Wesens fürderhin unaufhaltsam<lb/> machen. Darum wird ebenso natürlich der französische Widerspruch bis aufs<lb/> äußerste getrieben werden. Ja, gestehen wir es ein, soweit wir die Dinge<lb/> beurtheilen können, hat die Annahme der Vertagung auf unbestimmte Zeit große<lb/> Chancen für sich. Ebenso fest steht jedoch auch die Ueberzeugung, daß diese<lb/> Zeit nicht unbestimmbar ist. Nicht gesellschaftliche Laune und Salonformen bedingen<lb/> das schweizer Leben; das Geschäft ists. Das schweizerische Geschäft, sein<lb/> materielles Leben kann aber auf die Dauer das buntscheckige Kleid von cantonalen<lb/> Civil- und Criminalrechteu, in welchem es sich heute schon allerwärts beengt<lb/> fühlt, ebensowenig ertragen, als nach der Herstellung der neuen Bundesver-<lb/> fassung fürderhin cantonales Communications- und Postwesen^ ccmtouales Münz-<lb/> nnd Zollwesen möglich blieb. Eine eidgenössische Rechtsschule wird der erste<lb/> Schritt sein, welcher, wenn selbst mit Widerstreben, gethan werden muß. Die<lb/> Rechtsschule wird ganz von selbst zur umfassenden Universität. Russische Dressur,<lb/> welche den Beamten ohne allgemeine Bildung dritte, dem Arzte encyclopädisches<lb/> Wissen vorenthält, den Priester für eine versteinerte Kirche herrichtet, ist bei uns<lb/> unmöglich. Mag jetzt der Gesetzentwurf fallen; nach wenigen Jahren ersteht er<lb/> von neuem und daun bittet er nicht um Annahme, dann fordert er sie als eherne<lb/> Nothwendigkeit.</p><lb/> <p xml:id="ID_593" next="#ID_594"> Wir traten nicht mit übertriebenen Hoffnungen in das neue Jahr. Doch<lb/> ists so schlecht wahrlich nicht bei uns bestellt, wie es manche Zeitungen gern<lb/> erzählen. Was augenblicklich am schwersten drückt, das ist die materielle Noth,<lb/> Arbeitsmangel in vielen Theilen, Theurung überall. Schlimmer aber sind wir<lb/> darin nicht daran, als alle Nachbarländer; und jedenfalls haben in der Schweiz<lb/> die sociale» Fragen für eine endliche Lösung im allgemeinen bessere Voraus-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0228]
Schwieriger wird dagegen der Widerstand der französischen Schweiz zu beugen
sein, und man kaun sich nicht verhehlen, daß hier die Gefahr eines Scheiterns
des Gesetzes sehr nahe liegt. Denn es läßt sich nicht leugnen, die französische
Schweiz ist durch das neue Buudeslebeu einigermaßen in den Hintergrund gedrängt
worden; das deutsche Element ist nul'ehernem das vorherrschende und bedingende
in der socialpolitischen modernen Entwickelung unserer Zustände. Es ists nicht
nur als nationales, auch als protestantisches. Und wer beobachten gelernt hat,
dem mag es darum keineswegs bedeutungslos erscheinen, daß grade seit -1848 im
altconservativcn Patriziate der deutschen Cantone, speciell in Bern, Solothurn,
Basel, selbst Zürich französisch sprechen, französische Sitte und Lebensform zu einer
immer weiter greifenden Modefordernng der Gesellschaft geworden ist, während
umgekehrt im geschäftlichen und politischen Verkehr die deutsche Sprache und Be-
habung uach Süden ganz auffallend vordrang und gen Westen ebenfalls nicht
geringe Vorschütte machte.
Eine eidgenössische Universität in der deutschen Schweiz würde die Er¬
oberungen des germanischen Geistes und Wesens fürderhin unaufhaltsam
machen. Darum wird ebenso natürlich der französische Widerspruch bis aufs
äußerste getrieben werden. Ja, gestehen wir es ein, soweit wir die Dinge
beurtheilen können, hat die Annahme der Vertagung auf unbestimmte Zeit große
Chancen für sich. Ebenso fest steht jedoch auch die Ueberzeugung, daß diese
Zeit nicht unbestimmbar ist. Nicht gesellschaftliche Laune und Salonformen bedingen
das schweizer Leben; das Geschäft ists. Das schweizerische Geschäft, sein
materielles Leben kann aber auf die Dauer das buntscheckige Kleid von cantonalen
Civil- und Criminalrechteu, in welchem es sich heute schon allerwärts beengt
fühlt, ebensowenig ertragen, als nach der Herstellung der neuen Bundesver-
fassung fürderhin cantonales Communications- und Postwesen^ ccmtouales Münz-
nnd Zollwesen möglich blieb. Eine eidgenössische Rechtsschule wird der erste
Schritt sein, welcher, wenn selbst mit Widerstreben, gethan werden muß. Die
Rechtsschule wird ganz von selbst zur umfassenden Universität. Russische Dressur,
welche den Beamten ohne allgemeine Bildung dritte, dem Arzte encyclopädisches
Wissen vorenthält, den Priester für eine versteinerte Kirche herrichtet, ist bei uns
unmöglich. Mag jetzt der Gesetzentwurf fallen; nach wenigen Jahren ersteht er
von neuem und daun bittet er nicht um Annahme, dann fordert er sie als eherne
Nothwendigkeit.
Wir traten nicht mit übertriebenen Hoffnungen in das neue Jahr. Doch
ists so schlecht wahrlich nicht bei uns bestellt, wie es manche Zeitungen gern
erzählen. Was augenblicklich am schwersten drückt, das ist die materielle Noth,
Arbeitsmangel in vielen Theilen, Theurung überall. Schlimmer aber sind wir
darin nicht daran, als alle Nachbarländer; und jedenfalls haben in der Schweiz
die sociale» Fragen für eine endliche Lösung im allgemeinen bessere Voraus-
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