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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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Deutschland drängen, kann ähnliche Gedanken hegen. Aber es ist ein altes
Sprichwort, 'daß die Hunde am. wenigsten beißen, die am lautesten bellen; die
Schweiz wird immer und immer solche bellende Stimmen haben. Die neue
Bttndeöverfassnng wächst trotz der eifrigst betriebenen Euphemismen und Kako-
Phonien in den Parteinamen, im großen Publicum mit immer festeren Wurzeln
fest; sie steht auf dem ganz rechten Boden.

Im Jahr 1831 war es, als man den heutigen National- und Stände-
rath wählte, der dem Bundesrath im Ausbau der Verfassung treu zur Seite
stand. Alle Cantone, und selbst Appenzell-Jnnerrhoden, haben ihre Ver¬
fassungen dem Bnndesgrnndgesetze accommodirt; Schwyz, welches nächstens am
Ende der dreijährigen Periode anlangt (März), innerhalb deren Dauer keine
Revision stattfinden darf, schien noch vor wenigen Wochen dem Siege der Ultra¬
montanen verfallen zu sollen, welche unter Revision die Restauration der alten
Zustände, die Wiederherstellung der cautoualen Sonderung verstehen. Allein den
Antrag auf eine Revisivnscvmmifion wagten sie doch nicht, sie traueten sich selber
nicht und darüber entschlüpfte ihren Händen die Agitation. Die Commission
wurde von den Freunden bnndesgemäßer Entwickelung beantragt, die Wahlen
in dieselbe schlössen mit dem überraschenden Resultate, daß die Hauptleute der
ultramontanen Agitation ausgeschlossen blieben. Nun ist wilder Zorn in Zion.
Besonders da auch Luzern den täuschenden Fahnen der Partei nicht mehr willige
Folge leistet.

Diese Wendungen sind außerordeutlich wichtig. Luzern und Schwyz waren
so bequeme Coucentrationöpnnkte der bnudesseiudlichen Schürnugen, die über den
Gotthard von Italien Hereinstiegen und von Vorarlberg im Rheinthale herauf¬
kamen, um über den Wallersee Schwyz zu erreichen. Von Luzern aus waren
die Beziehungen sehr bequem durchs Berner Oberland hinüber nach Freyburg n"d
ins Wallis zu spinnen. Und dies alles wird weniger leicht, wenn Schwyz
mit Luzern der ultramontanen Herrschaft und sonderbündlerischen Tendenzen nicht
mehr gesichert sind. Freilich kann man diese Netzkuoten des ultramontanen Ge¬
webes noch keineswegs aufgelöst neunen; aber schon die Lockerung der Masche
eines künstlich aufgelegten Systems ist für dessen Macht eine Lebensgefahr.
Diese Lebensgefahr der ultramontanen Macht in den meisten katholischen Cantonen
kann nicht mehr vertuscht werden. Freilich sind nun umsomehr alle Mittel
recht, die einer Wiedererstarkung zu dienen scheinen. Jede politische oder sociale
Partei ans der Welt hat irgend ein Vaterland, eine Bcvvlkerungsschicht oder doch
eine irgendwo bestehende Staatsform, denen sie Freund ist. Nur die ultramontane
nicht. Sie-kennt nur sich, nicht einmal die Kaste der Kleriker als Endziel ihres
Wirkens. Daher ist in ihrem Treiben alles Vorhandene, Gott und die Kirche
selbst blos Mittel, jeder Staatöbestand, jedes Princip, jede Idee, von welcher die
Menschheit bewegt wird, nur ein Instrument, dessen in.an sich gelegentlich bedienen


Deutschland drängen, kann ähnliche Gedanken hegen. Aber es ist ein altes
Sprichwort, 'daß die Hunde am. wenigsten beißen, die am lautesten bellen; die
Schweiz wird immer und immer solche bellende Stimmen haben. Die neue
Bttndeöverfassnng wächst trotz der eifrigst betriebenen Euphemismen und Kako-
Phonien in den Parteinamen, im großen Publicum mit immer festeren Wurzeln
fest; sie steht auf dem ganz rechten Boden.

Im Jahr 1831 war es, als man den heutigen National- und Stände-
rath wählte, der dem Bundesrath im Ausbau der Verfassung treu zur Seite
stand. Alle Cantone, und selbst Appenzell-Jnnerrhoden, haben ihre Ver¬
fassungen dem Bnndesgrnndgesetze accommodirt; Schwyz, welches nächstens am
Ende der dreijährigen Periode anlangt (März), innerhalb deren Dauer keine
Revision stattfinden darf, schien noch vor wenigen Wochen dem Siege der Ultra¬
montanen verfallen zu sollen, welche unter Revision die Restauration der alten
Zustände, die Wiederherstellung der cautoualen Sonderung verstehen. Allein den
Antrag auf eine Revisivnscvmmifion wagten sie doch nicht, sie traueten sich selber
nicht und darüber entschlüpfte ihren Händen die Agitation. Die Commission
wurde von den Freunden bnndesgemäßer Entwickelung beantragt, die Wahlen
in dieselbe schlössen mit dem überraschenden Resultate, daß die Hauptleute der
ultramontanen Agitation ausgeschlossen blieben. Nun ist wilder Zorn in Zion.
Besonders da auch Luzern den täuschenden Fahnen der Partei nicht mehr willige
Folge leistet.

Diese Wendungen sind außerordeutlich wichtig. Luzern und Schwyz waren
so bequeme Coucentrationöpnnkte der bnudesseiudlichen Schürnugen, die über den
Gotthard von Italien Hereinstiegen und von Vorarlberg im Rheinthale herauf¬
kamen, um über den Wallersee Schwyz zu erreichen. Von Luzern aus waren
die Beziehungen sehr bequem durchs Berner Oberland hinüber nach Freyburg n»d
ins Wallis zu spinnen. Und dies alles wird weniger leicht, wenn Schwyz
mit Luzern der ultramontanen Herrschaft und sonderbündlerischen Tendenzen nicht
mehr gesichert sind. Freilich kann man diese Netzkuoten des ultramontanen Ge¬
webes noch keineswegs aufgelöst neunen; aber schon die Lockerung der Masche
eines künstlich aufgelegten Systems ist für dessen Macht eine Lebensgefahr.
Diese Lebensgefahr der ultramontanen Macht in den meisten katholischen Cantonen
kann nicht mehr vertuscht werden. Freilich sind nun umsomehr alle Mittel
recht, die einer Wiedererstarkung zu dienen scheinen. Jede politische oder sociale
Partei ans der Welt hat irgend ein Vaterland, eine Bcvvlkerungsschicht oder doch
eine irgendwo bestehende Staatsform, denen sie Freund ist. Nur die ultramontane
nicht. Sie-kennt nur sich, nicht einmal die Kaste der Kleriker als Endziel ihres
Wirkens. Daher ist in ihrem Treiben alles Vorhandene, Gott und die Kirche
selbst blos Mittel, jeder Staatöbestand, jedes Princip, jede Idee, von welcher die
Menschheit bewegt wird, nur ein Instrument, dessen in.an sich gelegentlich bedienen


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[0223] Deutschland drängen, kann ähnliche Gedanken hegen. Aber es ist ein altes Sprichwort, 'daß die Hunde am. wenigsten beißen, die am lautesten bellen; die Schweiz wird immer und immer solche bellende Stimmen haben. Die neue Bttndeöverfassnng wächst trotz der eifrigst betriebenen Euphemismen und Kako- Phonien in den Parteinamen, im großen Publicum mit immer festeren Wurzeln fest; sie steht auf dem ganz rechten Boden. Im Jahr 1831 war es, als man den heutigen National- und Stände- rath wählte, der dem Bundesrath im Ausbau der Verfassung treu zur Seite stand. Alle Cantone, und selbst Appenzell-Jnnerrhoden, haben ihre Ver¬ fassungen dem Bnndesgrnndgesetze accommodirt; Schwyz, welches nächstens am Ende der dreijährigen Periode anlangt (März), innerhalb deren Dauer keine Revision stattfinden darf, schien noch vor wenigen Wochen dem Siege der Ultra¬ montanen verfallen zu sollen, welche unter Revision die Restauration der alten Zustände, die Wiederherstellung der cautoualen Sonderung verstehen. Allein den Antrag auf eine Revisivnscvmmifion wagten sie doch nicht, sie traueten sich selber nicht und darüber entschlüpfte ihren Händen die Agitation. Die Commission wurde von den Freunden bnndesgemäßer Entwickelung beantragt, die Wahlen in dieselbe schlössen mit dem überraschenden Resultate, daß die Hauptleute der ultramontanen Agitation ausgeschlossen blieben. Nun ist wilder Zorn in Zion. Besonders da auch Luzern den täuschenden Fahnen der Partei nicht mehr willige Folge leistet. Diese Wendungen sind außerordeutlich wichtig. Luzern und Schwyz waren so bequeme Coucentrationöpnnkte der bnudesseiudlichen Schürnugen, die über den Gotthard von Italien Hereinstiegen und von Vorarlberg im Rheinthale herauf¬ kamen, um über den Wallersee Schwyz zu erreichen. Von Luzern aus waren die Beziehungen sehr bequem durchs Berner Oberland hinüber nach Freyburg n»d ins Wallis zu spinnen. Und dies alles wird weniger leicht, wenn Schwyz mit Luzern der ultramontanen Herrschaft und sonderbündlerischen Tendenzen nicht mehr gesichert sind. Freilich kann man diese Netzkuoten des ultramontanen Ge¬ webes noch keineswegs aufgelöst neunen; aber schon die Lockerung der Masche eines künstlich aufgelegten Systems ist für dessen Macht eine Lebensgefahr. Diese Lebensgefahr der ultramontanen Macht in den meisten katholischen Cantonen kann nicht mehr vertuscht werden. Freilich sind nun umsomehr alle Mittel recht, die einer Wiedererstarkung zu dienen scheinen. Jede politische oder sociale Partei ans der Welt hat irgend ein Vaterland, eine Bcvvlkerungsschicht oder doch eine irgendwo bestehende Staatsform, denen sie Freund ist. Nur die ultramontane nicht. Sie-kennt nur sich, nicht einmal die Kaste der Kleriker als Endziel ihres Wirkens. Daher ist in ihrem Treiben alles Vorhandene, Gott und die Kirche selbst blos Mittel, jeder Staatöbestand, jedes Princip, jede Idee, von welcher die Menschheit bewegt wird, nur ein Instrument, dessen in.an sich gelegentlich bedienen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/223>, abgerufen am 03.07.2024.