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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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für seine literarhistorische Stellung durch eine solche Wahl schlecht gesorgt wird;
denn die Nachwelt wird immer die Ansicht habe", daß solche Producte nicht ans
dem Organismus der schöpferischen Volkskraft entsprungen sind, sondern augen¬
blicklichen, künstlich hervorgegangen"", Neigungen ihren Ursprung verdanken.
Wer außer den Gelehrten mag heutzutage noch den Parcival lese", trotz seines
formalen Werths, während das echt deutsche Nibelungenlied in alle Kreise
des Volks eingedrungen ist. -- Indessen wollen wir zugeben, daß ein be¬
deutendes poetisches Talent anch fremdartigen Stoffen ihre Berechtigung geben
kann, wie es ja bei Byron der Fall ist, aber zweierlei ist nothwendig: eine
positive historische und locale Grundlage und eine Verwandtschaft der Sitten, auf
denen die Handlung beruht, mit den unsrigen durch das Medium des allgemein
Menschlichen oder Poetische". Nach beiden Seiten hin wird leicht gefehlt. Ein
wunderliches, dem allgemein Menschlichen widerstrebendes Zeitalter ist ein ebenso
unfruchtbarer Boden für die ideale Dichtung, wie der reine substanzlose Aether
der Idealwelt. Ein costümloseö Epos wie Byrons "Lara" ist trotz seiner großen
Schönheiten verwerflich, weil es unserer Einbildungskraft keinen positiven Stoff
darbietet, und ebenso verwerfe" wir alle Fahrten in das phantastische Land des
Märchens, wen" sie nicht in absoluter humoristischer Freiheit ausgeführt werden.
Epische Gedichte, die in dem Fabelreich der beseelten Blumen oder in einer
abstracten Ritterzeit spielen, wie Schutzes ,,bezauberte Rose", Fouquvs "Corona",
Redwitz "Amaranth", Horns "Nosen und Lilien" ermüden unsere Phantasie,
weil sie sich als ein leeres zweckloses Spiel zu erkennen geben, und dadurch unsere
Stimmung beleidige". <-- Deswegen wollen wir nicht behaupte", daß wir die
übersinnliche Welt ganz vom Epos ausschließen. Im Roman halten wir sie nicht
für erlaubt, da dieser eine Nachbildung der Wirklichkeit sein soll, und da wir
bei dem gegenwärtigen Zustande unserer Bildung jede solche Erfindung als eine
Unwahrheit auffassen müssen: sie müßte denn so bescheiden und unbestimmt auf¬
treten, wie in der "Braut von Lammermoor". In Walter Scotts "Kloster"
z. B. ist sie ganz schlecht angewendet, ebenso in den Romanen von Armin; und
bei unsern Tenfelsdichtcrn Hoffmann u. s. w. ist es noch schlimmer, es ist eine
ungesunde und unsittliche Phantasie, die sich ebenso an die dunklen und niedrigen
Kräfte unserer Seele wendet, wie Engen Sue und seinesgleichen. -- Das Epos
verstattet schon durch seine rhythmische Form größere Freiheit; wir erinnern uns
nicht der ganz gewöhnlichen Wirklichkeit, wir haben also auch nicht nöthig, uns
gegen Attentate auf unsere Bildung zu wehren. Daß wir freilich diejenige Ma¬
schinerie, die ma" i" falscher Nachbildung des Homer aus mythologischen Remi¬
niscenzen zusammensetzt, einerlei, ob diese Mythologie den Griechen, den Indern
oder den Aegyptern entnommen ist, für ganz verfehlt halten, dürfen wir wol
kaum hinzusetzen. Man führe nur nicht Dante und Milton an, denn diese
sprechen zu einem wenigstens verhältnismäßig gläubigen Zeitalter. Wenn wir


für seine literarhistorische Stellung durch eine solche Wahl schlecht gesorgt wird;
denn die Nachwelt wird immer die Ansicht habe», daß solche Producte nicht ans
dem Organismus der schöpferischen Volkskraft entsprungen sind, sondern augen¬
blicklichen, künstlich hervorgegangen«», Neigungen ihren Ursprung verdanken.
Wer außer den Gelehrten mag heutzutage noch den Parcival lese», trotz seines
formalen Werths, während das echt deutsche Nibelungenlied in alle Kreise
des Volks eingedrungen ist. — Indessen wollen wir zugeben, daß ein be¬
deutendes poetisches Talent anch fremdartigen Stoffen ihre Berechtigung geben
kann, wie es ja bei Byron der Fall ist, aber zweierlei ist nothwendig: eine
positive historische und locale Grundlage und eine Verwandtschaft der Sitten, auf
denen die Handlung beruht, mit den unsrigen durch das Medium des allgemein
Menschlichen oder Poetische». Nach beiden Seiten hin wird leicht gefehlt. Ein
wunderliches, dem allgemein Menschlichen widerstrebendes Zeitalter ist ein ebenso
unfruchtbarer Boden für die ideale Dichtung, wie der reine substanzlose Aether
der Idealwelt. Ein costümloseö Epos wie Byrons „Lara" ist trotz seiner großen
Schönheiten verwerflich, weil es unserer Einbildungskraft keinen positiven Stoff
darbietet, und ebenso verwerfe» wir alle Fahrten in das phantastische Land des
Märchens, wen» sie nicht in absoluter humoristischer Freiheit ausgeführt werden.
Epische Gedichte, die in dem Fabelreich der beseelten Blumen oder in einer
abstracten Ritterzeit spielen, wie Schutzes ,,bezauberte Rose", Fouquvs „Corona",
Redwitz „Amaranth", Horns „Nosen und Lilien" ermüden unsere Phantasie,
weil sie sich als ein leeres zweckloses Spiel zu erkennen geben, und dadurch unsere
Stimmung beleidige». <— Deswegen wollen wir nicht behaupte», daß wir die
übersinnliche Welt ganz vom Epos ausschließen. Im Roman halten wir sie nicht
für erlaubt, da dieser eine Nachbildung der Wirklichkeit sein soll, und da wir
bei dem gegenwärtigen Zustande unserer Bildung jede solche Erfindung als eine
Unwahrheit auffassen müssen: sie müßte denn so bescheiden und unbestimmt auf¬
treten, wie in der „Braut von Lammermoor". In Walter Scotts „Kloster"
z. B. ist sie ganz schlecht angewendet, ebenso in den Romanen von Armin; und
bei unsern Tenfelsdichtcrn Hoffmann u. s. w. ist es noch schlimmer, es ist eine
ungesunde und unsittliche Phantasie, die sich ebenso an die dunklen und niedrigen
Kräfte unserer Seele wendet, wie Engen Sue und seinesgleichen. — Das Epos
verstattet schon durch seine rhythmische Form größere Freiheit; wir erinnern uns
nicht der ganz gewöhnlichen Wirklichkeit, wir haben also auch nicht nöthig, uns
gegen Attentate auf unsere Bildung zu wehren. Daß wir freilich diejenige Ma¬
schinerie, die ma» i» falscher Nachbildung des Homer aus mythologischen Remi¬
niscenzen zusammensetzt, einerlei, ob diese Mythologie den Griechen, den Indern
oder den Aegyptern entnommen ist, für ganz verfehlt halten, dürfen wir wol
kaum hinzusetzen. Man führe nur nicht Dante und Milton an, denn diese
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/22>, abgerufen am 22.07.2024.