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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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Hältnisse, welche auf ihn einstürmen, hineinarbeiten kann und laßt daher die
Dinge gehn, wie sie wollen. Es ist aber auch wirklich eine verzweifelte Lage,
und wer die Fähigkeit hat, sich zu ärgern, der kann hier an einem Tage -lOmal
des Teufels werden. Mein persönliches Aergerniß sind alle Tage die zahllosen
Ordvnanzen, welche in unser Hauptquartier commandirt sind. Unser Armeecorps,
das jetzt 30,000 Mann stark ist, besteht aus -17, sage siebzehn verschiedenen Kontin¬
genten. Denn da die größte Eile nöthig war, um dasselbe hier zusammenzu¬
ziehen, hat man von Frankfurt ans alle Truppen, wo sie nur irgend mobil waren,
durch die Eisenbahn hierher geschickt. So haben wir einzelne Kontingente bei
uns, die kaum 300 Manu stark send. Von allen diesen Trnppentheileu sind
Uulerosftziere nud Soldaten zu uus ins Hauptquartier commandirt. Bei dem
babylonischen Thurmbau kann keine größere Verwirrung existirt haben, als in
dieser tollen Ordonanzwirthschaft. Jeder Mann unter diesen Ordouauzcn kennt
natürlich nur die Dienstvorschriften, die ihm zu Hause mühsam eingeprägt sind,
und da diese so verschiedenartig als möglich sind, so ist es gegenwärtig gradezu
unerreichbar, Uebereinstimmung anch nur. in diesen Theil des Dienstganges zu
bringen. Schelten und Wettern hilft hier nicht, man macht die Leute dadurch
nut verdutzt und hartnäckig, nur Geduld und stetes Ermahnen wird diese Dis¬
harmonie allmälig überwinden.

Als ich hente in einem eiligen Auftrage Sr. Durchl. von einem
Ritt zum General -- zurückkehrte, begegnete ich einem alten Freunde, dem ehr¬
lichen Hauptmann Sorben, welcher seine Compagnie, die 300 Mann Q.scher
Truppen, spazieren führte; er schritt an der Spitze seines Contingents einher,
nachdenklich aus einem Meerschaumkopf rauchend, grade wie ein Schullehrer vor
seiner Schule. Als ich ihn frug, pohin er sich dirigire, faßte mich der alte
Haudegen bei der Hand, drückte sie mir kräftig und sagte mir leise mit einem
Ausdruck von Schwermuth und Scham, der mich bei dem alten Herrn fast
rührte, "ich führe meine armen Jungen ins nächste Dorf-, um ihnen ein Geschütz
mit Bespannung zu zeigen. Viele von ihnen haben in ihrem Leben noch keine
Kanone gesehen und jetzt sollen sie vielleicht in wenig Tagen den feindlichen
Batterien gegenüberstehen. Es wird doch gut sein, wenn sie wissen, durch welche
Art von Mechanismus sie ihr Leben verlieren sollen." Er wandte sich ab, indem
er zu lächeln versuchte. Ich hielt still, bis seiue Mannschaft vorüber war, ge¬
sunde kräftige Jungen, mancher darunter die Hoffnung und Frende seiner
Eltern, und kam mit einem bitteren Gefühl in der Seele nach Hause. Du
lieber Gott, ein Contingent von 3 -- i00 Mann, welches seine eigenen Signale,
sein eigenes Kommando, und vielleicht noch besonderen Kaliber bei.seinen Mus¬
keten hat, und keine Ahnung davon, was eine feindliche Batterie, was ein Choc
der Cavalerie bedeutet! es ist nichts als Futter für feindliches Pulver!
Und das sind unsre Landsleute, gesunde, kräftige Menschen, die nnter anderen


Hältnisse, welche auf ihn einstürmen, hineinarbeiten kann und laßt daher die
Dinge gehn, wie sie wollen. Es ist aber auch wirklich eine verzweifelte Lage,
und wer die Fähigkeit hat, sich zu ärgern, der kann hier an einem Tage -lOmal
des Teufels werden. Mein persönliches Aergerniß sind alle Tage die zahllosen
Ordvnanzen, welche in unser Hauptquartier commandirt sind. Unser Armeecorps,
das jetzt 30,000 Mann stark ist, besteht aus -17, sage siebzehn verschiedenen Kontin¬
genten. Denn da die größte Eile nöthig war, um dasselbe hier zusammenzu¬
ziehen, hat man von Frankfurt ans alle Truppen, wo sie nur irgend mobil waren,
durch die Eisenbahn hierher geschickt. So haben wir einzelne Kontingente bei
uns, die kaum 300 Manu stark send. Von allen diesen Trnppentheileu sind
Uulerosftziere nud Soldaten zu uus ins Hauptquartier commandirt. Bei dem
babylonischen Thurmbau kann keine größere Verwirrung existirt haben, als in
dieser tollen Ordonanzwirthschaft. Jeder Mann unter diesen Ordouauzcn kennt
natürlich nur die Dienstvorschriften, die ihm zu Hause mühsam eingeprägt sind,
und da diese so verschiedenartig als möglich sind, so ist es gegenwärtig gradezu
unerreichbar, Uebereinstimmung anch nur. in diesen Theil des Dienstganges zu
bringen. Schelten und Wettern hilft hier nicht, man macht die Leute dadurch
nut verdutzt und hartnäckig, nur Geduld und stetes Ermahnen wird diese Dis¬
harmonie allmälig überwinden.

Als ich hente in einem eiligen Auftrage Sr. Durchl. von einem
Ritt zum General — zurückkehrte, begegnete ich einem alten Freunde, dem ehr¬
lichen Hauptmann Sorben, welcher seine Compagnie, die 300 Mann Q.scher
Truppen, spazieren führte; er schritt an der Spitze seines Contingents einher,
nachdenklich aus einem Meerschaumkopf rauchend, grade wie ein Schullehrer vor
seiner Schule. Als ich ihn frug, pohin er sich dirigire, faßte mich der alte
Haudegen bei der Hand, drückte sie mir kräftig und sagte mir leise mit einem
Ausdruck von Schwermuth und Scham, der mich bei dem alten Herrn fast
rührte, „ich führe meine armen Jungen ins nächste Dorf-, um ihnen ein Geschütz
mit Bespannung zu zeigen. Viele von ihnen haben in ihrem Leben noch keine
Kanone gesehen und jetzt sollen sie vielleicht in wenig Tagen den feindlichen
Batterien gegenüberstehen. Es wird doch gut sein, wenn sie wissen, durch welche
Art von Mechanismus sie ihr Leben verlieren sollen." Er wandte sich ab, indem
er zu lächeln versuchte. Ich hielt still, bis seiue Mannschaft vorüber war, ge¬
sunde kräftige Jungen, mancher darunter die Hoffnung und Frende seiner
Eltern, und kam mit einem bitteren Gefühl in der Seele nach Hause. Du
lieber Gott, ein Contingent von 3 — i00 Mann, welches seine eigenen Signale,
sein eigenes Kommando, und vielleicht noch besonderen Kaliber bei.seinen Mus¬
keten hat, und keine Ahnung davon, was eine feindliche Batterie, was ein Choc
der Cavalerie bedeutet! es ist nichts als Futter für feindliches Pulver!
Und das sind unsre Landsleute, gesunde, kräftige Menschen, die nnter anderen


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[0215] Hältnisse, welche auf ihn einstürmen, hineinarbeiten kann und laßt daher die Dinge gehn, wie sie wollen. Es ist aber auch wirklich eine verzweifelte Lage, und wer die Fähigkeit hat, sich zu ärgern, der kann hier an einem Tage -lOmal des Teufels werden. Mein persönliches Aergerniß sind alle Tage die zahllosen Ordvnanzen, welche in unser Hauptquartier commandirt sind. Unser Armeecorps, das jetzt 30,000 Mann stark ist, besteht aus -17, sage siebzehn verschiedenen Kontin¬ genten. Denn da die größte Eile nöthig war, um dasselbe hier zusammenzu¬ ziehen, hat man von Frankfurt ans alle Truppen, wo sie nur irgend mobil waren, durch die Eisenbahn hierher geschickt. So haben wir einzelne Kontingente bei uns, die kaum 300 Manu stark send. Von allen diesen Trnppentheileu sind Uulerosftziere nud Soldaten zu uus ins Hauptquartier commandirt. Bei dem babylonischen Thurmbau kann keine größere Verwirrung existirt haben, als in dieser tollen Ordonanzwirthschaft. Jeder Mann unter diesen Ordouauzcn kennt natürlich nur die Dienstvorschriften, die ihm zu Hause mühsam eingeprägt sind, und da diese so verschiedenartig als möglich sind, so ist es gegenwärtig gradezu unerreichbar, Uebereinstimmung anch nur. in diesen Theil des Dienstganges zu bringen. Schelten und Wettern hilft hier nicht, man macht die Leute dadurch nut verdutzt und hartnäckig, nur Geduld und stetes Ermahnen wird diese Dis¬ harmonie allmälig überwinden. Als ich hente in einem eiligen Auftrage Sr. Durchl. von einem Ritt zum General — zurückkehrte, begegnete ich einem alten Freunde, dem ehr¬ lichen Hauptmann Sorben, welcher seine Compagnie, die 300 Mann Q.scher Truppen, spazieren führte; er schritt an der Spitze seines Contingents einher, nachdenklich aus einem Meerschaumkopf rauchend, grade wie ein Schullehrer vor seiner Schule. Als ich ihn frug, pohin er sich dirigire, faßte mich der alte Haudegen bei der Hand, drückte sie mir kräftig und sagte mir leise mit einem Ausdruck von Schwermuth und Scham, der mich bei dem alten Herrn fast rührte, „ich führe meine armen Jungen ins nächste Dorf-, um ihnen ein Geschütz mit Bespannung zu zeigen. Viele von ihnen haben in ihrem Leben noch keine Kanone gesehen und jetzt sollen sie vielleicht in wenig Tagen den feindlichen Batterien gegenüberstehen. Es wird doch gut sein, wenn sie wissen, durch welche Art von Mechanismus sie ihr Leben verlieren sollen." Er wandte sich ab, indem er zu lächeln versuchte. Ich hielt still, bis seiue Mannschaft vorüber war, ge¬ sunde kräftige Jungen, mancher darunter die Hoffnung und Frende seiner Eltern, und kam mit einem bitteren Gefühl in der Seele nach Hause. Du lieber Gott, ein Contingent von 3 — i00 Mann, welches seine eigenen Signale, sein eigenes Kommando, und vielleicht noch besonderen Kaliber bei.seinen Mus¬ keten hat, und keine Ahnung davon, was eine feindliche Batterie, was ein Choc der Cavalerie bedeutet! es ist nichts als Futter für feindliches Pulver! Und das sind unsre Landsleute, gesunde, kräftige Menschen, die nnter anderen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/215>, abgerufen am 22.07.2024.