Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.denn das Drama, welches uns seinen Stoff gegenwärtig machen soll, würde denn das Drama, welches uns seinen Stoff gegenwärtig machen soll, würde <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0020" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/97266"/> <p xml:id="ID_31" prev="#ID_30" next="#ID_32"> denn das Drama, welches uns seinen Stoff gegenwärtig machen soll, würde<lb/> seinem Zwecke durchaus zuwider handeln, wenn es unserer Phantasie zumuthen<lb/> wollte, sich in fremdartige Zustände zu versetzen und so den natürlichen Stand¬<lb/> punkt zu dem Geschehenden in einen künstlichen und reflectirten zu verwandeln.<lb/> Da es außerdem seine Aufgabe ist, seinen ganzen Inhalt in Wirklichkeit zu<lb/> übersetzen, so würde jeder Versuch, die Phantasie durch Schilderungen zu<lb/> befriedigen, wie ein fremdartiger Moment erscheinen und unsere Unbefangenheit<lb/> stören. An dem ersteren Fehler scheitern zum großen Theil die sogenannten<lb/> historischen .Dramen, an dem zweiten unsere lyrischen Dichter, die für landschaft¬<lb/> liche und andere Schilderungen Talent haben und nur glauben, es auch für das<lb/> Drama verwerthen zu könne». Beim romantischen Epos dagegen, wol zu unter¬<lb/> scheiden vom naiven Epos, ist eine Kraft und Fülle der sinnlichen Schilderung<lb/> nothwendig. Denn da unserer Phantasie der Gegenstand nicht in unmittelbarer<lb/> Nachahmung vorgeführt wird, muß ihr zu Hilfe gekommen werden, man muß ihr für<lb/> die fernliegenden Zustände die richtige Perspektive und die richtige Beleuchtung eröff¬<lb/> nen. Wir sind weit von der Behauptung entfernt, daß eine solche Glut der Sinnlichkeit,<lb/> wie sie Byron anwendet, zum Theil auch schon Walter Scott, nothwendig zum Epos<lb/> gehört; ein weiserund geschickter Dichter wird dnrch bescheidene Farben und Striche<lb/> unserer Einbildungskraft in der Versinnlichung der Zustände dieselben Dienste<lb/> leisten, wie es z. B. Goethe auf das vollendetste in „Hermann und Dorothea"<lb/> gelungen ist. Ferner bleibt es immer ein Fehler, die Schilderung so überwuchern<lb/> zu lassen, daß sie nicht mehr der Erzählung dient. Hier dürfte das richtigste<lb/> Maß Walter Scott in seinem „Fräulein vom See" getroffen haben. Es ist<lb/> ein Reichthum und eine Mannigfaltigkeit der Farben darin, wie in keinem andern<lb/> epischen Gedicht, und doch ist alles nur dazu da, um unserer Phantasie die Zustände,<lb/> auf denen die Begebenheit beruht, und die Begebenheit selbst vollkommen deutlich<lb/> zu macheu. Vielleicht ist grade dieses große Talent bei Walter Scott die Ver¬<lb/> anlassung gewesen, daß er im Drama nichts geleistet hat. — Ein zweiter Gegensatz<lb/> liegt darin, daß der Dramatiker vorzüglich die Aufgabe hat, die Bewegungen<lb/> der Seele im Detail nachzuempfinden, während der erzählende Dichter darin ein<lb/> sehr strenges Maß beobachten muß. Dieser Unterschied ist keineswegs willkürlich,<lb/> 'sondern er entspringt aus der Natur der Sache. Der Dramatiker schreibt für<lb/> den Schauspieler, er muß natürlich einen talentvollen voraussetzen; diesem kann<lb/> er die kühnsten, ungewöhnlichsten und gewaltigsten Bewegungen der Seele als<lb/> Aufgabe stellen. Wenn sie überhaupt nur richtig empfunden sind, so wird der<lb/> echte Künstler daraus eine so einheitliche Leistung machen, daß alle psychologische<lb/> Bewegung für den Zuhörer zur Thatsache wird, und daß er darüber gar nicht<lb/> reflectirt, sondern es unmittelbar empfängt. Eine.solche Einheit der psychologischen<lb/> Entwickelung und der factischen kann der epische Dichter nicht erreichen, wenn er<lb/> der ersteren einen zu großen Spielraum läßt; er muß die Bewegung der Seele</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0020]
denn das Drama, welches uns seinen Stoff gegenwärtig machen soll, würde
seinem Zwecke durchaus zuwider handeln, wenn es unserer Phantasie zumuthen
wollte, sich in fremdartige Zustände zu versetzen und so den natürlichen Stand¬
punkt zu dem Geschehenden in einen künstlichen und reflectirten zu verwandeln.
Da es außerdem seine Aufgabe ist, seinen ganzen Inhalt in Wirklichkeit zu
übersetzen, so würde jeder Versuch, die Phantasie durch Schilderungen zu
befriedigen, wie ein fremdartiger Moment erscheinen und unsere Unbefangenheit
stören. An dem ersteren Fehler scheitern zum großen Theil die sogenannten
historischen .Dramen, an dem zweiten unsere lyrischen Dichter, die für landschaft¬
liche und andere Schilderungen Talent haben und nur glauben, es auch für das
Drama verwerthen zu könne». Beim romantischen Epos dagegen, wol zu unter¬
scheiden vom naiven Epos, ist eine Kraft und Fülle der sinnlichen Schilderung
nothwendig. Denn da unserer Phantasie der Gegenstand nicht in unmittelbarer
Nachahmung vorgeführt wird, muß ihr zu Hilfe gekommen werden, man muß ihr für
die fernliegenden Zustände die richtige Perspektive und die richtige Beleuchtung eröff¬
nen. Wir sind weit von der Behauptung entfernt, daß eine solche Glut der Sinnlichkeit,
wie sie Byron anwendet, zum Theil auch schon Walter Scott, nothwendig zum Epos
gehört; ein weiserund geschickter Dichter wird dnrch bescheidene Farben und Striche
unserer Einbildungskraft in der Versinnlichung der Zustände dieselben Dienste
leisten, wie es z. B. Goethe auf das vollendetste in „Hermann und Dorothea"
gelungen ist. Ferner bleibt es immer ein Fehler, die Schilderung so überwuchern
zu lassen, daß sie nicht mehr der Erzählung dient. Hier dürfte das richtigste
Maß Walter Scott in seinem „Fräulein vom See" getroffen haben. Es ist
ein Reichthum und eine Mannigfaltigkeit der Farben darin, wie in keinem andern
epischen Gedicht, und doch ist alles nur dazu da, um unserer Phantasie die Zustände,
auf denen die Begebenheit beruht, und die Begebenheit selbst vollkommen deutlich
zu macheu. Vielleicht ist grade dieses große Talent bei Walter Scott die Ver¬
anlassung gewesen, daß er im Drama nichts geleistet hat. — Ein zweiter Gegensatz
liegt darin, daß der Dramatiker vorzüglich die Aufgabe hat, die Bewegungen
der Seele im Detail nachzuempfinden, während der erzählende Dichter darin ein
sehr strenges Maß beobachten muß. Dieser Unterschied ist keineswegs willkürlich,
'sondern er entspringt aus der Natur der Sache. Der Dramatiker schreibt für
den Schauspieler, er muß natürlich einen talentvollen voraussetzen; diesem kann
er die kühnsten, ungewöhnlichsten und gewaltigsten Bewegungen der Seele als
Aufgabe stellen. Wenn sie überhaupt nur richtig empfunden sind, so wird der
echte Künstler daraus eine so einheitliche Leistung machen, daß alle psychologische
Bewegung für den Zuhörer zur Thatsache wird, und daß er darüber gar nicht
reflectirt, sondern es unmittelbar empfängt. Eine.solche Einheit der psychologischen
Entwickelung und der factischen kann der epische Dichter nicht erreichen, wenn er
der ersteren einen zu großen Spielraum läßt; er muß die Bewegung der Seele
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